Kieler Rathaus: Ein Ort für Nazis

+++ 50 Antifaschist_innen demonstrieren vor konstituierender Ratssitzung gegen Nazi-Gutsche +++ Antifaschistische Unmutsbekundungen auch im Ratssaal +++ Hausverbote und Platzverweise für Antifaschist_innen +++ Hermann Gutsche für weitere fünf Jahre zum Ratsherrn vereidigt +++

Am verregneten Donnerstagnachmittag des 13. Juni 2013 beteiligten sich insgesamt etwa 50 Antifaschist_innen an Aktionen gegen den Wiedereinzug des NPD-Mitglieds Hermann Gutsche für seine Tarnliste WaKB ins Kieler Rathaus anlässlich der zeitgleich stattgefundenen konstituierenden Ratssitzung. Unmittelbar vor Beginn der ersten Zusammenkunft der neuen städtischen Vertretung, die aus den Kommunalwahlen vom 26. Mai hervorgegangen ist, hielt der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel eine Kundgebung auf dem Rathausplatz ab und verteilte Flugblätter.

Kundgebung Rathausplatz

Eine Rednerin des Runden Tischs rief die Ratsmitglieder dazu auf, nicht widerspruchslos die Zugehörigkeit eines Neonazis zur Ratsversammlung hinzunehmen und forderte das u.a. auch am Rathaus prangende Schild der städtischen Image-Kampagne „Kein Ort für Nazis“ ernst zu nehmen und konsequenterweise Hermann Gutsche vor die Tür zu setzen. Ein anschließender Redebeitrag der Autonomen Antifa-Koordination Kiel warf einen Blick auf die breit gefächerte rechte Infrastruktur im Land, die den verschiedenen faschistischen Listen auch ohne aufwändigen Wahlkampf eine stets abrufbare Wähler/innenbasis sichere. Sowohl NPD, Rechtsstaatliche Liga und WaKB hatten bei den Kommunalwahlen Sitze in schleswig-holsteinischen Rathäusern und Kreistagen erlangen können. Um diesen Sumpf langfristig auszutrocknen, gelte es auch die Vielzahl an rechten Kneipen, Verlagen, und Läden im Norden ins Visier antifaschistischer Politik zu nehmen. Abschließend wurde eine Solidaritätserklärung in Gedenken an den linken Aktivisten Clément Méric verlesen, der am 5. Juni in Paris von Faschisten ermordet wurde.

Clément Méric – ni oubli, ni pardon!

Während einige Kundgebungsteilnehmer_innen auch parallel zur Sitzung noch vor dem Rathaus präsent blieben, beobachteten andere als kritische Besucher_innen die Eröffnung der neuen Ratsversammlung. Als beim obligatorischen Überprüfen der Anwesenheit der Ratsmitglieder der Name Hermann Gutsches aufgerufen wurde, wurde von der Besucher_innentribüne ein Transparent „Keine Zukunft für Nazi-Gutsche“ gezeigt und mit „Nazischwein“- und „Gutsche aus dem Rathaus fegen!“-Rufen lautstark gegen dessen Anwesenheit demonstriert. Die Alterspräsidentin Erika Diehr (CDU) kam darauf jedoch nicht etwa der zuvor auf der Kundgebung aufgestellten Forderung nach einem Hausverbot für den NPDler nach, sondern kehrte diese in ihr Gegenteil: Sie erteilte ein solches den protestierenden Antifaschist_innen. Drei Besucher_innen wurden anschließend von bereits im Saal lauernden Polizist_innen aus dem Ratssaal befördert, ihre Personalien kontrolliert und mit einem Platzverweis selbst für den Rathausplatz belegt. Die Sitzung konnte danach weitestgehend ohne größeres Aufsehen fortgesetzt werden, lediglich die Fraktion der Grünen machte während der Vereidigung Gutsches noch einmal durch eine T-Shirt-Aktion ihre Ablehnung symbolisch deutlich.

Einmal mehr hat sich gezeigt, welch Farce eine vermeintliches städtisches Engagement gegen Neonazis ist, das sich auf das Aufhängen von Blechschildern beschränkt und obendrein wiederholt Hausverbote für Antifaschist_innen ausspricht. Der braune Sitz Hermann Gutsches im Kieler Rat, den 810 Kieler/innen mit ihrem Kreuz ermöglicht haben, ist mit dessen Vereidigung am Donnerstag währenddessen ein weiteres Stück mehr unschöne Kieler Normalität geworden, die allen Antfaschist_innen in der Landeshauptstadt eine Aufforderung sein sollte, in den kommenden fünf Jahren auf vielfältige Weise an ihrer baldigen Beendigung zu arbeiten.

 

>> Artikel von KN-online

Kieler Neonazi-Tarnliste WAKB macht sich rar

Im April ließ Jörn Lemke, Pressesprecher der schleswig-holsteinischen NPD, über die Internetpräsenz seines Landesverbands verkünden, dass die Neonazipartei oder von ihr inszenierte bzw. unterstützte Wahlbündnisse in vier Kreisen bzw. Städten zu den Kommunalwahlen am 26. Mai 2013 antreten werden. Für die Landeshauptstadt prophezeite er schlagzeilenträchtige Wochen einer „Wahlalternative Kieler Bürger“ (WAKB).

Diese WAKB, die zu den bevorstehenden Wahlen als solche zum ersten Mal überhaupt das politische Parkett betreten hat, sei ein Bündnis zwischen „NPD und freien Kräften“, an ihrer Spitze niemand Geringeres als der Kieler Ratsherr Hermann Gutsche, der 2008 mit 1,7% der Stimmen knapp in die Stadtvertretung gewählt worden war. Der braune Gehalt hinter dem harmlos anmutenden Namen wurde von Beginn an kaum verschleiert, zu sehr ähnelt auch das Programm der mit „Liste gegen Deutschfeindlichkeit“ untertitelten selbsternannten Wahlalternative an altbekannte NPD-Hetze, das vermeintlich gerechtigkeitstiftende Forderungen nach Förderung finanzschwacher Familien oder sozialem Wohnungsbau mit offen rassistischen Parolen à la „Keine Überfremdung unserer Heimat!“ vermengt. Darüber können auch anderslautende Selbstdarstellungen der WAKB als „enttäuschte Fußballer, deren Fußballturnier im September 2012 unterbunden wurde“ oder „Zusammenschluss von größtenteils parteilosen Bürgern aus Kiel“ nicht hinweg täuschen.

 

Kieler Noch-NPD-Ratsherr Hermann Gutsche

 

Denn dass alle diese an verschiedenen Stellen veröffentlichten Selbstbilder sich freilich nicht widersprechen müssen, zeigt die im vergangenen Jahr von Antifaschist_innen initiierte Aufdeckung der Zusammensetzung des Mettenhofer Freizeitfußballclubs „Bollstein Kiel“, die die Turnierabsage herbeiführte, auf die sich jenes auf den WAKB-Seiten im Internet geäußerte Statement eines Mitglieds nicht zufällig bezieht. Hier kickten jahrelang bekannte Neonazis aus dem Umfeld der NPD mit deutschtümmelden Mettenhofern zusammen, die politisch bis dahin aber nicht in Erscheinung getreten waren.

Konsequenterweise sind auf der aktuellen Wahlliste der WAKB außer dem Hermann Gutsches nur Namen gelistet, die Antifaschist_innen bisher nicht näher aufgefallen sind. Gleich 23 der insgesamt 25 Kandidat/innen sind in Mettenhof wohnhaft, 15 von ihnen gar im selben Haus. Dass es Mitglieder von „Bollstein Kiel“ sind, die zur diesjährigen Kommunalwahl die Füllmasse der Liste der krisengeschüttelten Kieler NPD stellen, die diese vor fünf Jahren noch den heute nicht mehr existenten organisierten Neonazistrukturen um die „AG Kiel“ abkaufen konnte, ist offenkundig.

 

Mettenhofer Straßenfußballclub „Bollstein Kiel“

Wahrnehmbar gebracht hat Gutsche sein neuer Anhang bis dato jedoch herzlich wenig: Ein paar mittelgroße Schlagzeilen bescherten der WAKB allenfalls aufmerksame Journalist_innen, die die Neonazi-Hintergründe der Liste beleuchteten. Ein Wahlkampf aber hat bis heute, nur wenige Tage vor dem Abstimmungstag, de Facto nicht stattgefunden. Einige in den letzten Tagen in wenigen Ecken Kiels aufgetauchte Aufkleber und Flugblätter bilden die äußerst sparsame Ausnahme. Wertvolle Wahlkampfzeit ging dem jüngst in die Gaardener Blitzstraße umgezogenen braunen Ratsherr zudem durch die Lappen, als sein Auto Anfang Mai abermals Ziel antifaschistischer Umgestaltungsmaßnahmen wurde und er sich veranlasst sah, sein Gefährt von grüner Lackfarbe zu säubern und einen selbstmitleidigen Antrag gegen „politische Gewalt“ an die Ratsversammlung zu formulieren – der wie immer keine Beachtung fand.

Im Land sieht es derweil kaum kaum anders aus: Öffentliche Auftritte der NPD sind außer einem einzigen Wahlkampfstand am 4. Mai in Neumünster nicht zu vernehmen gewesen. Zudem bröckelt die Partei auch intern zusehends weiter: Kai Oelke, der 2008 noch für die NPD in den lauenburgischen Kreistag gewählt worden war und seiner autoritären und rassistischen Gesinnung seit Kurzem mit der Neugründung „Rechtsstaatliche Liga“ (RL) eine neue politische Erdung verpasst hat, gilt in NPD-Kreisen nach öffentlichen Distanzierungen von seinen alten Kameraden nun als Verräter. Und überall in Schleswig-Holstein sorgte die antifaschistische Kampagne „DIY“ mit zahlreichen Aktionen und Outings für erheblich erschwerte Wahlkampfbedingungen bei den Neonazis.

 

Antifaschistische „DIY“-Aktion beim NPD-Landesvorsitzenden Ingo Stawitz in Uetersen

Die Wahlprognosen für die rechten Listen im nördlichsten Bundesland fallen aus ihrer Perspektive entsprechend nüchtern aus. Es ist mehr als fraglich, ob sie überhaupt wieder einen Sitz in den Kommunalvertretungen erobern können, ob nun im Gewand der NPD, der WAKB oder der RL. Gerade in der Landeshauptstadt erscheint ein Wiedereinzug Gutsches ins Rathaus in Anbetracht der irritierenden Funkstille in den letzten Wochen als unwahrscheinlich. Nichtsdestotrotz sollten kieler Antifaschist_innen nicht vergessen, dass schon 2008 1478 Stimmen knapp genügten, um aus dem NPD-Mann für fünf Jahre einen Ratsherren zu machen. Den Wahlabend an diesem Sonntag gilt es von daher trotz vergleichsweise entspannter Ausgangslage genauso wie die restlichen verbleibenden Wahlkampftage aufmerksam zu verfolgen.

 

Neonazi-Mob inkl. Gutsche vorm Kieler Rathaus am Kommunalwahlabend Mai 2008