Rechte Erlebniswelt und Infrastruktur in Kiel und im Kreis Plön

Die Neonazi-Szene Kiels und Umgebung hat in den letzten Jahren einen starken Wandel durchlaufen. Während vor wenigen Jahren noch Strukturen um die militante “Aktionsgruppe Kiel” (AG Kiel) um die Vorherrschaft auf der Straße kämpften und an dem selbst gesetzten gesellschaftlichen Kristallisationspunkt letztlich auch nach kurzem Kampf scheiterten, geben sich die verbliebenen neonazistischen Organisationen äußerlich angepasster und unauffälliger. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig eine nachhaltige Schwächung, denn zum einen belegen Wahlergebnisse, dass der gesellschaftliche Nährboden für neonazistische Politik unverändert vorhanden ist und zum anderen wird aus der Region Infrastruktur für zum Teil internationale rechte Kreise gestellt. Demnach steht der weitgehende Zusammenbruch der militanten Straßenbewegung und der desolate Zustand der örtlichen NPD zwar für einen Erfolg stetiger antifaschistischer Arbeit, bedeutet allerdings auch teilweise den bloßen Rückzug in kleinere Zirkel, denn ohne die Aufmerksamkeit durch große öffentliche Auftritte und spektakuläre Übergriffe lassen sich lukrative braune Geschäfte machen und jenseits antifaschistischer oder behördlicher Aufmerksamkeit die Eckpfeiler zukünftiger Politik setzen.

Aus diesem Grund hat die Kampagne “An die Substanz! – rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben” das Ziel eben genau jene Strukturen offen zu legen und mit der nötigen antifaschistischen Aufmerksamkeit zu bedenken. Nachfolgend ein Überblick über einige braune Geschäfts- und Erlebniswelten in Kiel und Plön. Getreu dem Motto der Kampagne sind alle Antifaschist_innen aufgerufen weitere Informationen beizusteuern und auch über die gemeinsamen Aktionen hinaus mit eigenen Inhalten und Aktionsformen aktiv zu werden.

Die völkische Neonazi-Szene und ihre Geschäftspraktiken

Insbesondere um die kleine Gemeinde Martensrade im Kreis Plön hat sich ein Zirkel gut vernetzter und vermeintlich intellektueller Neonazis gebildet. Dreh- und Angelpunkt ist das Versand- und Verlagshaus von Dietmar Munier und Gerlind Mörig, deren Aktivitäten unter der “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” zusammengefasst werden.

Dietmar Munier
Munier ist schon seit Jahrzehnten ein Drahtzieher neonazistischer Aktivitäten und dementsprechend ist seine Vita durchzogen von Kontakten zu vielfältigen rechten Strukturen und Personen, weshalb hier nur beispielhaft einige genannt werden. Früher betrieb Munier eine Buchhandlung am Dreiecksplatz in Kiel, zeitweilig zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Thies Christophersen, einem ehemaligen SS-Angehörigen, der in einer Versuchsanstalt für Pflanzenschutz der SS nahe dem KZ Auschwitz eingesetzt war. Über Christophersen bestand auch der Kontakt zu dem Rechtsterroristen Manfred Roeder und dem Holocaustleugner Ernst Zündel, zuletzt 2012 Gast auf Muniers Kastanienhof anlässlich einer Sonnenwendfeier. Neben seinen publizistischen Aktivitäten engagiert sich Munier seit langem in völkisch-neonazistischen Erziehungsmethoden und Gebietsrevisionismus. So ist er in Russland mit einem Einreiseverbot belegt, denn er verfolgt mit verschiedenen Initiativen und Vereinen die “Wiederansiedlung” von vermeintlichen “Deutschen” in Russland. Der wichtigste dieser Vereine wird unten noch thematisiert. Vor allem durch seine Aktivitäten im ehemaligen Ostpreußen hat sich Munier über die “Vertriebenen”-Szene ein weites Kontaktnetz auch über seinen angestammten Neonazismus hinaus geschaffen. So gilt er trotz bester Kontakte zu militanten Neonazis als vertrauenswürdiger Funktionär und Wohltäter quer durch neurechte und konservative Kreise, bis hin zu Teilen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Die “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” ist nach dem Niedergang des NPD-Hausverlags “Deutsche Stimme” der mutmaßlich einflussreichste deutschsprachige Verlag mit explizit neonazistischer Ausrichtung. In dem unübersichtlichen Verlagsgeflecht werden diverse faschistische Schriften und Devotionalien produziert und vertrieben. Augenfällig ist insbesondere die Strategie hinter den bekanntesten Formaten “Zuerst!”, “Deutsche Militärzeitschrift” (DMZ) und “Der Schlesier”. Alle eint eine eindeutig positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus und die Beteiligung neonazistischer Autor_innen. Gleichzeitig werden die Inhalte, im Unterschied zu vielen anderen Neonazi-Schriften, professionell aufbereitet und wird in Layout und Inhalt auf explizite subkulturelle Szene-Codes der klassischen Neonazis verzichtet. Auch kommen Autor_innen der Neuen Rechten zu Wort. So werden die erwähnten Schriften auch über ohnehin schon politisierte eigene Kreise hinaus als “Fachzeitschriften” wahrgenommen, schließlich gelten die Analysen militärischer Strategien in der DMZ bei Militärangehörigen als zutreffend, die “Vertriebenen” betrachten den “Schlesier” als ihr Sprachrohr und rechtskonservative Kreise beziehen sich schon einmal auf “Zuerst!”. Dementsprechend hoch sind die Auflagen, “Zuerst!” hatte eine Erstauflage von 86 000 Exemplaren, “Der Schlesier” soll eine wöchentliche Auflage von 12 000 Stück haben. An diesem für Neonazis ungewohnt lukrativen Geschäft verdienen auch andere kräftig mit. So ist sich der bekannte Bauer-Verlag nicht zu schade, den Vertrieb für “Zuerst!” zu übernehmen. Zu dem Martensrader Publikationshaus gehören verschiedene Verlage und Vertriebe, wobei die “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” eineManuel Ochsenreiter übergeordnete Rolle spielt, so läuft die Infrastruktur (Fuhrpark, Webseiten) unter dem Dach von “Lesen und Schenken”. Weitere Namen aus dem Geflecht sind “Arndt-Verlag”, “Nation [&] Europa”, “Orion-Heimreiter-Verlag” oder “Fortuna-Buchservice”. Als Mitarbeiter_innen und Redakteur_innen sind schon viele aus dem Personenkreis der Neuen Rechten oder dem organisierten Neonazismus in Martensrade tätig gewesen. Redaktionelle Hauptfigur ist Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur der wichtigsten Publikation “Zuerst!”. Ochsenreiter ist omnipräsent auch in anderen Publikationen aus Muniers Verlagen und tritt als Referent auf. Strategisch positionieren Ochsenreiter und Munier “Zuerst!” zwischen der Bedienung der angestammten Klientel, so nimmt “Zuerst!” an Fachmessen für rechte Publizistik teil, wie 2012 am “Zwischentag” der Zeitschrift “Sezession”, und einem weltpolitischen Anstrich. Ochsenreiter reist regelmäßig in den nahen Osten und versucht sich dort als vermeintlich seriöser Korrespondent, wobei das Resultat meist doch nur einschlägige Erlebnisberichte für Neonazis und Militaristen sind. So ließ sich Ochsenreiter 2008 auf einem von der Hisbollah abgeschossenen Panzer der Israelischen Armee ablichten und aktuell füllt er die Martensrader Formate mit seinen Berichten aus Syrien. Jüngst für Aufsehen sorgte “Zuerst!”, als es zur Urlaubssaison die zehn schönsten “Deutschen” Reiseziele benannte, von denen ein guter Teil nicht in den heutigen Grenzen Deutschlands liegt. Auf seinem früheren Posten als Chefredakteur von der “Deutschen Militärzeitschrift” wurde Ochsenreiter von Guido Kraus beerbt.

Antifaschist_innen fällt das Martensrader Verlagshaus auch immer wieder im Zusammenhang mit der örtlichen Neonazi-Szene auf. Insbesondere die NPD hat über ihren bei Munier angestelltenJens Lütkestellvertretenden Landesvorsitzenden Jens Lütke gute Kontakte zu dem Verlagshaus. So können Firmenwagen für Aktionen der Neonazi-Szene genutzt werden, kann Lütke auch immer wieder Parteiarbeit während seiner Arbeitszeit verrichten, bekommt für Aktionen frei und fungiert das Martensrader Verlagshaus als interne Kontaktadresse der NPD. Über den finanziellen Zusammenhang zwischen Munier und der NPD ist noch nicht alles bekannt, direkte Förderung über Spenden liegt im Bereich des Möglichen und das Ausmaß der stattfindenen indirekten Förderung (Fuhrpark, Räumlichkeiten, Arbeitszeit, sonstige Infrastruktur) dürfte auch noch nicht in Gänze bekannt sein.

Das Anwesen in Martensrade umfasst Wohngebäude, Ställe, Verlagsgebäude und Druckerei. Unter dem Schutz eines Wachturms entstand eine braune Parallelwelt, deren Strukturen trotz des großen Bekanntheitsgrades weitgehend intransparent sind. Neonazis können sich in dem kleinen Ort abgeschieden von der kritischen Öffentlichkeit vernetzen und ideologische wie wirtschaftliche Grundlagen für verschiedene Bereiche rechter Politik legen.

Die Neonazi-Szene betrachtet die “Lesen und Schenken Verlagsgesellschaft” zwiegespalten. Angerechnet wird Munier, dass er sich trotz der großen Bekanntheit nie distanziert hat von den klassischen neonazistischen Spektren um NPD und Kameradschaften. Im Gegenteil stellt Munier Neonazis immer wieder Treffpunkte, Fahrzeuge, Arbeitsplätze und vermutlich Geld zur Verfügung. Auch genießen die Führungspersonen der Kreise um Munier ein hohes Ansehen, schließlich haben diese erreicht wovon die schlecht organisierten und zerstrittenen Milieus der Kameradschaften oft nur träumen können: Gut vernetzte und über Jahrzehnte etablierte Strukturen, die auch eine praktische politische Relevanz jenseits des “Kampfes um die Strasse” haben. Andererseits wird der “weichgespülte” inhaltliche Kurs der Martensrader Publikationen kritisiert. Teile der Neonazis fordern außerdem eine Aufklärung der Rolle Tino Brandts, V-Person des “Verfassungsschutzes” und mutmaßliche Schlüsselperson im “NSU”-Komplex. Dieser hatte vor seinem Outing als V-Person bei dem “Zuerst!”-Vorläufer “Nation [&] Europa” gearbeitet. Gerade weil Munier damals offiziell noch nicht an der Publikation beteiligt war, verwundert sein mangelnder Aufklärungswillen einige Neonazis. Stimmen in der Szene mutmaßen, dass der “Verfassungsschutz” weitreichenderen Einfluss auf rechte Publizistik hatte als allgemein bekannt und auch der “NSU”, über den Multifunktionär Tino Brandt, in diesem Netzwerk eine Rolle spielen könnte.

Als einer der engsten Vertrauten Muniers bei der Umsetzung seiner politischen Ziele gilt Henning Pless. Die neonazistischen Aktivitäten von Pless wurden vomHenning Plessantifaschistischen Recherche-Portal La Quimera ausführlich beschrieben. An dieser Stelle deshalb nur einige grundlegende Informationen, für eine Vertiefung sei der oben genannte Artikel empfohlen. Pless ist Vorsitzender des “Schulvereins zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreussen e.V”, einem von Munier gegründeten Verein der versucht über eine Schule und diverse Kulturveranstaltungen “Deutsche” Traditionen in dem Dorf Jasnaja Poljana (ehemals Trakehnen) zu reaktivieren. Früher war Pless 1. Bundesführer der “Heimattreuen Deutschen Jugend”, einem völkischen Jugendverband, der aufgrund seiner offensichtlichen Anlehnung an die “Hitler-Jugend” verboten wurde. Damals schon galt Dietmar Munier als treibende Kraft im Hintergrund. So übernimmt Henning Pless immer wieder Aufgaben neonazistischer Politik als Vertrauensperson von Munier. Aktuell organisiert er dessen “Lesertreffen”, die sich zu einem der wichtigsten Zusammenkünfte der verschiedenen rechten Strömungen im deutschsprachigen Raum entwickelt haben. Dort treffen neben Neonazis auch Militaristen, Neue Rechte und “Vertriebenen”-Verbände zusammen um jenseits großer öffentlicher Aufmerksamkeit Strategien rechter Politik zu diskutieren. Diese Vernetzungstreffen der Deutschen Rechten werden offiziell von Pless´ “Schulverein” ausgerichtet. Referent_innen berichten zu einschlägigen Themen, so referierte 2012 “Zuerst!”-Chefredakteur Manuel Ochsenreiter im neonazistischen Duktus über “Medien-Manipulationen”, Alfred Mechtersheimer sprach über “Deutschland als Friedensmacht” und Dmitrij Chmelnizki gab seine Thesen zu “Stalins Angriffskrieg” zum Besten. Für einen Überblick über das Treffen 2013 sei wiederum ein Blick in den La Quimera-Artikel empfohlen.

Privat und beruflich lebt Pless ein, im Vergleich zu anderen langjährigen neonazistischen Funktionären, unauffälliges Leben. Er nimmt nicht an Demonstrationen und Übergriffen der Szene teil, betreibt mit dem “Heilcentrum Pless” eine vermeintlich seriöse Heilpraxis mitten in der Kieler Innenstadt und pflegt sein Image als Wohltäter für die Sache der “Vertriebenen”. So richteten der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis und das ehemalige Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ortwin Lowack Grußworte an den “Schulverein” anläßlich der Jahreshauptversammlung 2012, die im Rahmen des “Lesertreffens” in Weißenstein (Bayern) stattfand. Persönlich an Pless lobte Ortwin Lowack dessen “Idealismus, positive Lebenseinstellung und vorbildhafte Arbeit” die “den jungen Menschen in Ostpreußen eine neue (oder alte?) kulturelle und geistige Perspektive und Tiefe” vermitteln könne. Dieses Statement verdeutlicht einmal mehr die Gefährlichkeit von Henning Pless und Dietmar Munier, denn trotz ihrer explizit neonazistischen Ausrichtung haben sie durch den Verzicht auf militanten Szene-Habitus Fürsprecher bis in den Bundestag gewinnen können.

Weitere rechte Publizistik

Etwas weniger bekannt aber nicht minder beachtenswert ist der Kieler “Regin-Verlag” um Dietmar Sokoll. Der Verlag des ehemaligen Burschenschaftlers Sokoll (“Alte Hallesche Burschenschaft Rhenania-Salingia zu Düsseldorf”, einer Verbindung des Rechtsaußen-Dachverbands “Deutsche Burschenschaft”) verlegt und vertreibt diverse rechte Literatur. So verlegte der “Regin-Verlag” Werke in Andenken an rechte VordenkerInnen wie Oswald Spengler oder Savitri Devi. Auch aktuelle AutorInnen sind der Neuen Rechten oder dem Neonazi-Spektrum zuzuordnen. Schlagzeilen machte der Verlag 2013, als er ein Werk über “Inselfaschismus” des Autors Eric Fröhlich ankündigte. Das Werk wird im Spätsommer erwartet. Fröhlich war eine Führungsfigur der “Nationalen Sozialisten Chemnitz” und stand der “Weißen Bruderschaft Erzgebirge” nahe. So nahm er mit wichtigen UnterstützerInnen der “NSU”-TerroristInnen an Szene-Veranstaltungen wie paramilitärischen Märschen teil. Außerdem soll er zu Ralf Wohlleben, mutmaßlicher Hauptunterstützer der neonazistischen Terrorzelle, Kontakt gehalten haben, weshalb sich auch die Bundesanwaltschaft im Rahmen des “NSU”-Verfahrens für ihn interessiert.
Der “Regin-Verlag” wurde im April 2013 vom NDR in einem Beitrag thematisiert.


Geschäfte der militanten Szene


Das aktuell bekannteste voTimo Räweln Neonazis betriebene Geschäft Kiels ist “PLS-Werkzeuge” (“PLS” = “Polenschlüssel”) am Vinetaplatz. Unter dem rassistischen Namen werden von Personen aus der Mischszene zwischen militanten Neonazi- und “Bandido”-Strukturen Einbruchswerkzeug und Bewaffnung vertrieben. Die Hintergründe des Geschäfts wurden im Januar von La Quimera beschrieben, weshalb wir darauf aufbauend hier nur einige aktuelle Entwicklungen beleuchten werden. Das Geschäft hat im Moment Montag bis Freitag ab 10.00 Uhr bis nachmittags geöffnet. Der Hauptakteur Alexander Hardt hat, nachdem die Geschäftsführung im Nachgang der Veröffentlichung der neonazistischen Hintergründe schon einmal wechselte, aktuell wieder den Posten des Geschäftsführers übernommen. Er selbst ist seit einem Umbau vor einigen Wochen seltener im Geschäft anzutreffen, stattdessen haben Kieler Neonazis um Timo Räwel und Tobias Schulz die Verantwortung vor Ort übernommen. Bei dem Umbau half auch Timo Räwels BrudeAndy Räwelr Andy Räwel. Die Neonazis geben sich zunehmend aggressiv, zeigen oft mit mehreren Personen Präsenzvor dem Laden und bedrohen Menschen. Die Aufteilung der Verantwortung zwischen verschiedenen Neonazis spricht zum einen für eine wirtschaftliche Etablierung, zum anderen für eine Absicherung des Geschäfts in Anbetracht der drohenden Inhaftierung von Hardt. Weiterhin unklar ist die Rolle Peter Borcherts, zigfach vorbestrafter neonazistischer Gewalttäter und ehemaliger NPD-Landesvorsitzender, der vermutlich in einigen Monaten aus der Haft entlassen wird. Bei der Eröffnung firmierte Borchert mit auf dem Klingelschild am Geschäft. Eine Möglichkeit besteht darin, dass “PLS-Werkzeuge” als braunes Resozialisierungsprojekt für Borchert vorgesehen ist und sich Borchert aus der Haft kommend und der mit Haft bedrohte Hardt buchstäblich die Klinke in die Hand geben. Borchert verbindet eine längere Geschichte mit dem Kieler Stadtteil Gaarden, in welchem der Vinetaplatz liegt. Bei früheren Versuchen sich in Gaarden zu etablieren musste er stets nach teils heftigen Auseinandersetzungen mit Antifaschist_innen den Stadtteil wieder verlassen. Eine mögliche aktive Rolle Borcherts bei “PLS” würde also für eine Eskalation der Lage sprechen.

Unauffälliger aber nicht weniger explizit neonazistisch ist der Versandhandel “Support Wear” von Matthias Kussin. Die dahinter stehende Firma “MK-Service” (“MK” = Matthias Kussin) betreibt unter den Namen “Asathor-Auktion”, “Support-Wear”, “Aryan Blood Records” und “Amalek-Textilien” Produktion und Versand von Artikeln für die militante Neonazi-Szene. Die Aufmachung der Produkte und Webseiten ist eindeutig nationalsozialistisch und beworben wird das Geschäft auf einschlägigen Portalen wie “Altermedia”. Um die Bindung an die Kameradschaftsszene unter Beweis zu stellen, wurde beispielsweise zu dem neonazistischen “Tag der Deutschen Zukunft” ein Sonderverkauf mit Solidaritätsbeitrag veranstaltet. Ansässig ist der Versandhandel an der Privatadresse von Kussin im Göteborgring in Kiel-Mettenhof.
Hinter dem Namen Matthias Kussin verbirgt sich Matthias Lehnecke, früherer NPD-Kandidat und neonazistischer Gewalttäter aus Kiel. Lehnecke betrieb früher den “Ruf des Nordens”-Versandhandel, dessen Emailadresse immer noch als Kontaktadresse von “MK-Service” genutzt wird. Verheiratet ist Matthias mit Melanie Kussin, langjährige Aktivistin des Kieler Kameradschaftsspektrums und mit guten Kontakten zu “Club88″-AktivistInnen um Christiane Dolscheid, Frank Rieckmann oder Michael Denz, deren Nachnamen er annahm.

Neonazistische Urlaubswelten

Ein besonderes Beispiel für gesellschaftliche Verankerung auf der einen und neonazistische Politik auf der anderen Seite ist Eckart August. Öffentlich gibt sich August als familienfreundlicher Betreiber des “Eselpark Nessendorf” im Kreis Plön. Das Konzept ist aufgegangen: Der Eselpark wird omnipräsent im ganzen Bundesland als Ausflugsziel beworben und auch Ausflugstipps von großen Medien und Tourismusindustrie weisen oft auf den Betrieb der Familie August hin.

Antifaschist_innen stellt sich jedoch ein ganz anderes Bild der Szenerie dar. Eckart August ist bekannt für sein langjähriges Engagement in der NPD und soll auch finanziell der klammen Neonazi-Partei schon das eine oder andere Mal ausgeholfen haben. Jüngst in die Schlagzeilen geriet August, als bekannt wurde, dass der “NSU” im Urlaub auf seinem Eselpark zu Gast war. Dies ist kein Beweis dafür, dass August wusste es mit der untergetauchten neonazistischen Terror-Zelle zu tun zu haben, allerdings gibt es viele Hinweise, dass die Gruppe um Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt sich ihre GastgeberInnen sehr sorgfältig aussuchte. So häuften sich Anschläge in Regionen wo Kontaktpersonen der drei Terroristen lebten und auch Anschlagspläne für Schleswig-Holstein wurden bekannt. Die TerroristInnen machten gern Urlaub im nahen Fehmarn und besuchten anscheinend auch Szene-Veranstaltungen in Schleswig-Holstein. Da entsprechend des Vorgehens in anderen Regionen auch für die Aktivitäten im Norden Deutschlands mutmaßlich örtliche Unterstützung vorhanden war, bleiben an August als eine der wenigen belegten Kontaktpersonen einige Fragen offen, die dieser wohl nie beantworten wird.

It’s up to you!

Dies war kurzer Einblick in neonazistische Geschäftswelten in Kiel und Umgebung. Auch wenn sicherlich die prominentesten Beispiele aufgeführt wurden, entziehen sich viele kleine und große Rückzugsräume der Neonazis oft der kritischen Öffentlichkeit. Um den Namen der Kampagne “An die Substanz!” auch Programm werden zu lassen, rufen wir alle Antifaschist_innen auf, zu helfen neonazistische Infrastruktur aufzudecken und gegen bekannte rechte Geschäfte aktiv zu werden. Teilt uns eure Informationen mit und organisiert euch!

Versalzen wir die braune Brühe! Nazi-Läden zu Autonomen Zentren, Nazis zu Pleitegeiern und rassistische Schundblätter ins Klo!

andiesubstanz.noblogs.org

Kiel: Antifa-Fahrradtour geht an die Substanz

Am frühen Abend des gestrigen Donnerstags, den 29. August 2013, führten Antifaschist_innen im Rahmen der Kampagne “An die Substanz! Rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben!” eine Fahrradtour im Kieler Stadtgebiet durch und machten Station an insgesamt drei Objekten, die sich der rechten Geschäftswelt zurechnen lassen. Im Fokus öffentlichkeitswirksamer Aktionen standen das “Heilcentrum Pless” in der Innenstadt, der “Support-Wear”-Versand in Mettenhof und “PLS-Werkzeuge” in Gaarden.


Vor Matthias Kussins Wohnhaus in Kiel-Mettenhof


Die Auftaktaktion der Tour fand beim renommierten “Heilcentrum Pless” am Kleinen Kuhberg statt. Betreiber der politisch unscheinbaren und etablierten Heilpraxis ist der seit Jahrzehnten aktive Protagonist des bundesweiten völkischen Neonazismus Henning Pless, der in den 1990ern z.B. Vorsitzender der mittlerweile verbotenen “Heimattreuen Deutschen Jungend” war und sich bis heute in Kreisen der Vordenkerschaft und Publizistik der völkischen Rechten im Umfeld des Martensrader Großverlegers Dietmar Munier sowie im Bereich des Gebietsrevisionismus engagiert.

Nachdem kritische Medien und antifaschistische Initiativen die neonazistischen Hintergründe Henning Pless’ bereits mehrfach thematisiert hatten, wurde dieser nun erstmalig Ziel antifaschistischer Proteste in und im Umfeld seiner Praxis. Gegen 16.30 Uhr betrat eine Delegation des “Vereins zur Schließung neonazistischer Infrastruktur in SH” die Praxis, um Henning Pless für besondere Leistungen im Laufe seiner langjährigen Karriere im braunen Netzwerk zu ehren und ihm eine entsprechende Urkunde zu überreichen. Nachdem seine Vorzimmerdame auf das Gesuch, den Praxisbetreiber persönlich anzutreffen, zunächst auf einen Termin pochte, sich die Delegation ob des gewünschten Überraschungseffektes aber nicht einfach abwiegeln lassen wollte, erschien Pless selbst tatsächlich im öffentlichen Bereich der Praxis. Obwohl dieser eine kurze Zeit um Professionalität bemüht schien, verweigerte er sich dann zur Enttäuschung der Delegierten doch der Urkundenübergabe, hielt seine Sekretärin zum Polizeiruf an und verschwand hektisch in einem Hinterzimmer. Die Urkunde wurde trotzdem nebst zahlreicher Flugblätter in der Praxis zurückgelassen. Zwei anwesende Kundinnen, denen die politischen Hintergründe Pless’ bis dahin offenbar nicht bekannt waren, zeigten sich interessiert an der neuen Erkenntnis.

Zeitgleich zum Besuch in der Praxis hielten etwa 25 Aktivist_innen vor der Praxis eine Kundgebung ab und verteilten Flugblätter, die auch die Nachbarschaft des “Heilcentrum Pless” über die Hintergründe der zeitlich parallel erfolgten unrühmlichen Ehrung informierte. Erst an deren Ende erschien die alarmierte Polizei, die sich in Anbetracht ihrer Unterbesetzung zu diesem Zeitpunkt jedoch noch zurückhielt. Sie begnügte sich damit, einen größeren Pulk Radfahrer_innen zu verfolgen, der sich nach planmäßiger Beendigung der Aktion gemeinsam vom Ort des Geschehens entfernte.

Dass es dabei nicht bleiben sollte, zeichnete sich bereits ab, als die Einsatzfahrzeuge, die die mutmaßlichen vorherigen Kundgebungsteilnehmer_innen nicht ohne Mühen versuchten im Blick zu behalten, sich vermehrten und sogar eine Zivilstreife durch den Schrevenpark rollte, während die Radfahrer_innen ihren Weg unbeeindruckt fortsetzten. Die kurzzeitige Ruhepause vor dem staatlichen Überwachungsdrang, die sich einstellte, als die Reisegruppe den autoberuhigten Eichhof durchquerte, kam abrupt zu einem Ende, als eine weitere herbeieilende Besatzung Bereitschaftspolizist_innen in letzter Minute mit einem nicht ungefährlichen Einparkmanöver, das kaum der Straßenverkehrordnung entsprochen haben dürfte, den Friedhofsausgang Kronshagen kurzerhand zuparkte und einen Teil der Fahradfahrer_innen am passieren hinderte. Anschließend wurden etwa ein Dutzend Radfahrer_innen auf dem Friedhofsgelände hektisch eingekesselt, ihre Personalien überprüft und fotografiert. Dies wurde nachträglich mit einem vermeintlichen Hausfriedensbruch in der “Heilpraxis Pless” begründet. Auch hier ist überaus fragwürdig, wie der offensichtlich völlig konfuse Einsatz mit der Friedhofsordnung, genauso wie mit dem kirchlichen Hausrecht zu vereinbaren ist. Gleichsam unverschämte wie absurde Drohungen von Polizist_innen gegenüber einer Betroffenen, die in Begleitung ihres Kindes unterwegs war, dieser das Sorgerecht nehmen zu wollen, taten ihr übriges, um den Einsatz selbst unter Berücksichtigung diverser negativer Erfahrungswerte mit der Kieler Polizei als völlig maßlos bewerten zu müssen. Nach Abwicklung der Überprüfungen drohte die Polizei mit Ingewahrsamnamen, falls “ähliche Vorfälle sich wiederholen würden”, verzichtete aber auf eine weitere Verfolgung der Radfahrer_innen.

Nichtsdestotrotz kam es gegen 18 Uhr zu einer weiteren antifaschistischen Aktion gegen einen Kieler neonazistischen Gewerbetreibenden. Vor einem Mehrfamilienhaus im Göteborgring im Stadtteil Mettenhof wurde vor der Privatwohnung des langjährigen Neonazis Matthias Kussin, vormals Lehnecke, eine Kundgebung abgehalten. In einem Redebeitrag und auf verteilten Flugblättern wiesen etwa 20 Antifaschist_innen darauf hin, dass dieser von gleicher Adresse aus, u.a. mit dem Mailorder “Support-Wear”, die Neonazi-Szene mit einschlägigen Klamotten, Tonträgern und sonstigen Accessoires versorgt. Hier war die Resonanz sowohl der Passant_innen, als auch im daneben liegenden Imbiss und von Nachbar_innen auf den angrenzenden Balkons durchweg positiv, was sich durch Applaus und in Gesprächen äußerte. Das braune Business in der Nachbarschaft schien auch hier bisher weitestgehend unbekannt gewesen zu sein. Der Besuch bei Kussins “Support-Wear” konnte ungestört und planmäßig beendet werden und die Beteiligten verließen geschlossen per Rad die Gegend.

Als dritte und letzte Station wurde etwa eine Stunde später der Laden von “PLS-Werkzeuge” am Vinetaplatz in Gaarden angefahren, das bisher wohl prominenteste und am ausgiebigsten thematisierte Kieler Beispiel für Geschäfte mit Verwicklungen in die rechte Szene. Das Geschäft vor allem für Bewaffnung und Einbruchswerkzeuge existiert in dieser Form seit Dezember 2012 und wird betrieben von Alexander Hardt aus Neumünster, der im Laufe des letzten Jahrzehnts durch seine Aktivitäten im militanten Kameradschaftsspektrum zunächst in Ostholstein und seit einigen Jahren in Neumünster als Neonazi bekannt geworden ist. Zuletzt gehörte er zum Umfeld des dortigen Szenetreffpunkts “Club88″ und tritt seit längerem zudem als Mitglied der Rockergang “Bandidos” auf. Zu seinen Mitarbeitern zählen desweiteren die Kieler Neonazis Timo Räwel und Tobias Schulz, die bereits im Zusammenhang mit den zunehmend inaktiven “Freien Nationalisten Kiel” aufgefallen sind. Der Laden stand in diesem Jahr bereits wiederholt im Fokus von antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit, Straßenprotesten und anderen Aktionen, die das Ziel der Schließung des Ladens im durch Migration geprägten Stadtteil verfolgten.

Nachdem wiederum etwa 20 Aktivist_innen mit Fahrrädern auf dem Vinetaplatz Halt gemacht hatten, wurden vor dem geschlossenen Laden ein Transparent entrollt, ein Redebeitrag verlesen und Flugblätter in der belebten Umgebung verteilt. Währenddessen wurden zudem zahlreiche antifaschistische Aufkleber an der Ladenfassade angebracht. Im Laufe der Kundgebung kam es wiederholt zu Unmutsbekundungen in Richtung der Antifaschist_innen, die zunächst noch als Ausdruck eines allgemeinen Ordnungsfetischismus ob der Stickeraktion eingeordnet werden konnten, sich jedoch in der anschließenden Dynamik schnell mit Sympathiebekundungen für die Ladenbetreiber vermischten. Diese Situation verdeutlichte recht unschön, was gleichzeitig in dem Redebeitrag thematisiert wurde. Nämlich, dass es Hardt und seinem Umfeld bei Teilen seiner Nachbarschaft durchaus gelungen ist, sich durch Zurückhaltung und teils Leugnung ihres nachweisbaren rechten Backgrounds als freundliche und vertrauenswürdige Geschäftsleute zu etablieren. Dass dies freilich nicht überall der Fall ist, zeigten andere Reaktionen, die gestern jedoch leider nicht zu den lautstärksten gehörten.

Nachdem sich die Aktivist_innen nach Beendigung der Aktion wieder entfernt hatten, rollten umgehend vier Wagenbesatzungen Polizist_innen an, die einzelne vermeintliche Antifaschist_innen über den Vinetaplatz jagten, wobei sie teils von Aktiv-Bürger_innen unterstützt wurden, und anschließend wahllose Personenkontrollen durchführten. Auch zwei offenbar alarmierte und sichtlich wütende, zum Laden gehörige, Neonazis, darunter Schulz, trafen einige Zeit später vor Ort ein und begannen mit der Beseitigung der antifaschistischen Zurücklassungen an ihrer Fassade.

Insgesamt kann die antifaschistische Fahrradtour als Auftaktaktion der “An die Substanz!”-Kampagne als gelungen bewertet werden. Insbesondere die Präsenz bei den bisher aktionistisch unbehelligt gebliebenen neonazistischen Gewerbetreibenden Pless und Kussin dürfte seine Wirkung nicht verfehlt haben. Ihnen wird die Erledigung ihres Geschäftsbetrieb nun wohl ungleich weniger entspannt von der Hand gehen als zuvor, wo sie aus der Anonymität agieren konnten und nicht mit unerwünschtem Besuch rechnen mussten. Die Erfahrungen am Vinetaplatz haben dagegen das bestätigt, was Antifaschist_innen seit jeher befürchtet und in der letzten Zeit verstärkt beobachten konnten: Dass sich “PLS-Werkzeuge” mitten in Gaarden eben nicht nur Feinde gemacht hat, was die Betreiber vor allem ihrer opportunistische Strategie im Umgang mit ihren Verwicklungen in die Neonazi-Szene zu verdanken haben. Einer weiteren Festsetzung von Hardt und seinem Anhang in Gaarden muss daher umso dringlicher entgegen gewirkt werden, wobei die konkrete Vorgehensweise der Gemengelage entsprechend wohlüberlegt sein sollte. Die Kampagne “An die Substanz!” bietet einen Rahmen, in dem antifaschistische Arbeit nicht nur gegen “PLS”, sondern gegen alle anderen zahlreichen Objekte neonazistischer Infra- und Geschäftsstruktur in Schleswig-Holstein, auch in den kommenden Wochen ausdrücklich auch eigeninitiativ stattfinden kann. Dazu sind alle Antifaschist_innen herzlich und mit Nachdruck eingeladen.


Kundgebung vor dem “Heilcentrum Pless”


…die ersten Polizist_innen erscheinen, sichtlich überfordert

Kundgebung in Mettenhof


Kundgebung in Mettenhof


Aktion vor “PLS-Werkzeuge” am Vinetaplatz in Kiel

Aktion vor “PLS-Werkzeuge” am Vinetaplatz in Kiel

andiesubstanz.noblogs.org

Start der Kampagne “An die Substanz!”

Wir dokumentieren einen Beitrag von andiesubstanz.noblogs.org:

In Schleswig-Holstein startet in diesen Tagen die Kampagne “An die Substanz – rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben”. Verschiedene antifaschistische Gruppen rufen in diesem Zusammenhang dazu auf, rechte Rückzugsräume und Geschäftswelten aus der Deckung zu holen und anzugehen. Neben den gemeinsamen öffentlichen Aktionen in den nächsten Monaten können sich alle Antifaschist_innen, die sich als Teil der Kampagne begreifen wollen, mit ihren eigenen Inhalten und Aktionsformen einbringen.

Aktuelle Informationen zu der Kampagne gibt es regelmäßig auf dem Blog andiesubstanz.noblogs.org. Dort gibt es auch eine Übersicht über rechte Geschäftswelten in Kiel, Plön und Neumünster. Eine Broschüre und weiteres Material wird in Kürze an mehreren Orten ausliegen.

In den nächsten Tagen folgen Hintergrundberichte zur Situation rechter Geschäfte in Neumünster und im Großraum Kiel.

Im Folgenden noch der Aufruf zu der Kampagne:

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An die Substanz:

Rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben!

Nach den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein vom 26. Mai 2013 mussten Antifaschist_innen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass es neofaschistischen Wahllisten landesweit in insgesamt drei Städten und einem Kreis gelungen war, Kandidaten für die nächsten fünf Jahre in Rathäuser und Kreistage zu schicken. Dies gelang ihnen, obwohl es kaum wahrnehmbaren Wahlkampf gab und Kandidaturen von Neofaschisten sich auf wenige Regionen beschränkten.

Vier rechte Kommunalwahl-Mandate 2013
In Kiel schaffte NPD-Ratsherr Hermann Gutsche den Wiedereinzug ins Rathaus, diesmal angetreten auf der Tarnliste WaKB („Wahlalternative Kieler Bürger“). In Neumünster zog Mark Proch für die NPD in die Ratsversammlung ein, im Kreis Herzogtum-Lauenburg gelang es dem kurz vor der Wahl aus der NPD ausgetretenen Kay Oelke mit der Splittergruppe “Rechtsstaatliche Liga” seinen Sitz im Kreistag zu verteidigen und ins Geesthachter Rathaus einzuziehen. Trotz teilweise sinkender Wähler_innenzahlen lautet die nüchterne Bilanz aus antifaschistischer Perspektive am Wahlabend, dass neofaschistische Bewerber in Schleswig-Holstein die Anzahl ihrer kommunalen Parlamentarier im Land von zwei auf drei bzw. vier zu erhöhen konnten.

Der stete Niedergang neofaschistischer Politik-Strukturen in Schleswig-Holstein
Unweigerlich drängt sich in Anbetracht dessen die Frage auf, welche Schlüsse Antifaschist_innen daraus ziehen müssen, wenn es dem Rechtsaußenlager gelingt, ein erfolgreiches Wahlergebnis zu erzielen, vor allem angesichts der niedrigen Erwartungen im Vorfeld und der allgemein desolaten Verfassung. Zur Erinnerung: Die Schleswig-Holsteinische NPD und ihre Umfeldstrukturen befinden sich seit einigen Jahren im stetigen Niedergang. Im letzten Jahr (2012) war die Neonaziszene so schwach organisiert, dass ihr Mobilisierungspotenzial auf der Straße kaum einmal den dreistelligen Bereich bei entsprechenden Aktionen erreichte. Die NPD demonstrierte ihre Unfähigkeit dann eindrucksvoll am 1. Mai in Neumünster, als ihre Demoroute von hunderten Antifaschist_innen blockiert wurde und eine eigenmächtig gewählte Ausweichroute nach wenigen hundert Metern im Polizeigewahrsam endete.

Die öffentliche Präsenz von organisierten Neonazis beschränkt sich aktuell daher auf wenige, in der Regel unangekündigte Stände und Kleinstkundgebungen, die meist auf Dörfern und in Kleinstädten durchgeführt werden. Beunruhigende Ausnahmen waren nicht-explizit neonazistische Aufmärsche zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern, die 2012 in Leck und Neumünster von Rechten, darunter besagter NPD-Neu-Ratsherr-Mark Proch, angeführt wurden und zeitweilig Mobilisierungserfolge auswiesen. Abgesehen davon hat das einzige regelmäßige Event der Szene mit Ausstrahlungskraft, der „Trauermarsch in Lübeck“, die Fahrt nach Walhalla angetreten und ist auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Er wurde 2013 einfach abgesagt. Verantwortlich dafür sind neben der abgenommen Mobilisierungskraft und den kontinuierlichen antifaschistischen Gegenaktivitäten sicher auch andauernde parteiinterne Querelen. Zum einen zog sich der langjährige Anmelder des Aufmarsches, Roland Siegfried Fischer, von seiner Parteiarbeit zurück, zum anderen ist ein aktuelles Beispiel der Austritt Kay Oelkes kurz vor der Wahl. In Kiel musste Hermann Gutsche nach dem Wegbrechen der Strukturen der „AG Kiel“ auf den Nazi-unterwanderten Hobbyfußballclub “Bollstein Kiel” zurückgreifen, um seine Wahllisten zu füllen.

Dies verweist bereits auf den Umstand, dass die Tendenz bei den “freien Kräften” keinesfalls anders aussieht: Einzelne Gruppen und Protagonist_innen der Neonaziszene, die formal außerhalb der NPD organisiert sind, machen durch Propaganda und Übergriffe ihre Präsenz deutlich. Dies betrifft die Kreise Stormarn, Ostholstein und Nordfriesland, wo der “Freie Widerstand Südschleswig” in Leck maßgeblich an Inszenierung und Zuspitzung der Proteste beteiligt war. Der Aktivismus und die Vernetzung ist aber nicht annähernd mehr mit den Zeiten des zeitweisen Hypes um “Autonome Nationalisten” in Schleswig-Holstein vor nur wenigen Jahren zu vergleichen.
Auch das faschistische Spektrum jenseits der NPD und den oft mit ihnen verbundenen „Freien“ kann dieses Vakuum nicht füllen. Parteien wie “Die Freiheit” oder ” Die Rechte” und reale Gruppen des Internet-Phänomens “Identitäre Bewegung” sind zwar mal mehr, mal weniger existent, wirkliche Relevanz konnten sie aber bisher auf keinem Gebiet erzielen.

Zwischen Büchern, Wellness, Bier und Rechtsrock: Die blühende rechte Geschäftswelt im hohen Norden
Kurzum: Organisierte rechte Strukturen kriseln in Schleswig-Holstein nicht erst seit gestern größtenteils vor sich hin und doch haben neofaschistische Parteien ihre Sitze in den Rathäusern. Neben den bekannten Parteien und Organisationen muss es noch mehr rechte Lebenswelten im Land geben. Es existiert eine rechte Infra- und Geschäftsstruktur mit teilweise bundesweiter Ausstrahlung, auf die Antifaschist_innen und kritische Journalist_innen zwar regelmäßig hinweisen, die in der antifaschistischen Praxis aber oft zu kurz gekommen sind.

Allein in Kiel und Umland gibt es mehrere Läden, deren Betreiber_innen und teils auch Sortiment schlichtweg als unappetitlich zu bezeichnen sind. Der Regin-Verlag aus Kiel und vor allem aber das Verlagsimperium von Dietmar Munier, ansässig in Martensrade (Kreis Plön), versorgen die ganze Bundesrepublik mit nationalistischer, verschwörungstheoretischer, militaristischer und faschistischer Literatur.

Die namhafte Heilpraxis „Heilcentrum Pless“ wird mitten in Kiel von Henning Pless betrieben, einem in den frühen 1990ern als Vorsitzender der “Heimattreuen Jugend” bekannt gewordenen Neonazi, heute vor allem im Bereich des organisierten Gebietsrevisionismus führend tätig.

In Kiel-Gaarden existiert seit einigen Monaten der Laden “PLS-Werkzeuge”, der von dem langjährigen Nazischläger und Mittlerweile-Bandido Alexander Hardt geschmissen wird. Hardt gehört zum Umfeld des seit 15 Jahren existierenden Neonazitreffpunkts „Club 88“ in Neumünster, wo die Kneipe „Titanic“, betrieben vom sich mittlerweile offen zur NPD bekennenden Horst Micheel, ein Anlaufpunkt für die rechte Szene der Region ist.

In Nessendorf (Kreis Plön) war mutmaßlich sogar schon die Neonazi-Mörder-Bande “NSU” beim seit Jahren als NPD-Unterstützer bekannten Eckart August reiten, dessen Eselpark zu den führenden Ausflugstipps Schleswig-Holsteinischer Reiseführer gehört. Und im stormarnischen Glinde wird die Szene im “Thor Steinar”-Laden “Tönsberg” eingekleidet, um sich dann fesch auf rechten Events wie “Wir sprechen Deutsch – ehrlich und laut!”-Grauzonen-Festivals in Schacht-Audorf, “Freiwild”-Auftritten in Dithmarschen, “Kategorie C”-Konzerten in Flensburg und Kiel und Neonazi-Liederabenden an geheimgehaltenen Orten zur Schau zu stellen. Solche Musikveranstaltungen gehörten in den letzten Jahren beständig zur rechten Erlebniswelt in Schleswig-Holstein dazu. Den Soundtrack zu Mord und Totschlag dazu liefert der Mailorder „Support-Wear“ des Kieler Neonazis Matthias Kussin bequem frei Haus.

Nazi-business as usual
Dass überdies in einigen Teilen des Landes neonazistische Übergriffe auch ohne sich öffentlich spektakulär in Szene setzende Gruppen zum Alltag gehören, belegen zu viele Beispiele in hässlicher Regelmäßigkeit. Ein aktuelles, erschreckendes Beispiel ereignete sich Himmelfahrt in der Gemeinde Rieseby bei Eckernförde, Antifaschist_innen als Hochburg rechter Jugendbanden bekannt. Neonazis belagerten und bedrohten unter rassistischen Parolen, Böllerwürfen und Hitlergrüßen das Grundstück einer iranisch-stämmigen Familie. Der Mob konnte eine Zeitlang ungestört agieren und löste sich erst auf, als die Polizei endlich mit genug Kapazitäten eingriff.

An die Substanz gehen!
Auch wenn der rechte Sumpf in Schleswig-Holstein nicht immer übermäßig stark präsent ist, verfügt er zwischen einflussreichen Publizisten, unscheinbaren Geschäftsleuten, NPD-Umfeld, rechter Kneipen-Szene, trister Dorfjugend und rassistischen Sarazzin-Leser_innen im Land über eine feste Verankerung. Soll er trocken gelegt und auf diesem Wege auch das ohne größere Mühen stets abrufbare neofaschistische Wähler_innenpotenzial dezimiert werden, müssen wir als Antifaschist_innen unser Blickfeld auch dorthin erweitern, wo sich ihre Klientel seine Nischen, Geldquellen, ideologische Versicherungen und Erlebniswelten geschaffen hat. Dies sind auch Felder, die uns mitunter nicht zwangsläufig auf offener Straße ins Auge springen und die über letzten paar verbliebenen großen Namen auf den NPD-Wahllisten hinausgehen.

Die Demos und Aktionen gegen “PLS-Werkzeuge” in Kiel und “Tönsberg” in Glinde sind aktuelle positive Beispiele für die richtige Richtung, in deren Fußstapfen wir uns mit der Kampagne “An die Substanz! Rechte Infrastruktur aufdecken – Nazis in die Pleite treiben!” begeben wollen. Unser Ziel ist es, Informationen über die rechte Infrastruktur breit zugänglich zu machen, gemeinsam zur Tat zur schreiten und rechten Gewerbetreibenden die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz zu nehmen. Einige der genannten Beispiele haben sich in den vergangenen Jahren als hartnäckig auch gegenüber langjährigen antifaschistischen Kampagnen erwiesen, andere sind von antifaschistischen Interventionen bisher weitestgehend unbehelligt geblieben. Insgesamt sehen wir jedoch noch eine Menge ungenutzt gebliebenen Spielraum dafür, den Druck auf die rechten Geschäftsleute im Land merkbar zu erhöhen und zur einen oder anderen Ladenpleite beizutragen.

In der vorliegenden Broschüre geben wir eine kurze Übersicht über Geschäfte, Hintergründe und Personal des rechten Wirtschaftslebens in Schleswig-Holstein. Ausführlichere Informationen sind zudem auf unserem Blog andiesubstanz.noblogs.org zu finden. Dort werden wir auch aktuelle Termine und Aktionen im Rahmen der Kampagne veröffentlichen. Auch wenn der gemeinsamen Aktion ein hoher Stellenwert eingeräumt werden soll, sind alle Antifaschist_innen darüber hinaus selbstredend auch dazu aufgerufen, sich im Rahmen von “An die Substanz!” zu organisieren und auf ihre Weise und mit ihren Mitteln selbstständig aktiv zu werden, gerade auch in Bezug auf Infrastruktur, die von uns an dieser Stelle nicht explizit selbst in den Fokus genommen wurde.

Nutzen wir die nächsten Monate, um all das, was zur rechten Infrastruktur und Erlebniswelt zu zählen ist, dort wo sich die Wähler/innen von Gutsche, Oelke, Proch und Co. herumtreiben, kräftig aufzumischen, auszuhebeln und in der Versenkung verschwinden zu lassen.

It’s up to you! Zusammen mit langem Atem und viel Phantasie: Gegen rechte Strukturen und rechten Lifestyle vorgehen – Nazis in die Pleite treiben!

Kiel: 200 beschimpfen NPD-Flaggschiffbesatzung

+++ Lautstarke Gegenkundgebung gegen NPD-„Deutschlandtour“ in Kiel +++ Bis zu 200 Antifaschist_innen am frühen Vormittag am Asmus-Bremer-Platz +++ Farbeier und Tomaten Richtung nicht-verständliche Nazi-Redner ++++ Kaum lokale Unterstützung für die Bundes-NPD +++

Nachdem die ambitionierte NPD-„Deutschlandtour“ mit dem selbsternannten „Flaggschiff“ zum Start am gestrigen Montag entgegen eigener Ankündigungen nicht über die Grenzen Mecklenburg-Vorpommerns hinaus gekommen war, die für den frühen Abend angekündigte Kundgebung in Neumünster dem defizitären Zeitmanagement sowie dem technischen Ungeschick der Reise-Nazis zum Opfer gefallen war und das antifaschistische Empfangskomitee erfreulicherweise unverrichteter Dinge den Nachhauseweg antreten konnte, warteten heute, am Vormittag des 13. August 2013 bis zu 200 Antifaschist_innen nicht vergebens in der Kieler Innenstadt. Nach einigem Hin und Her bezüglich des genauen Kundgebungsortes im Vorfeld, hatte sich schlussendlich der Asmus-Bremer-Platz mit großer Gewissheit als Ziel der Nazi-Karawane herauskristallisiert. Antifaschistische Gruppen hatten deshalb kurzfristig für 9 Uhr zu einer Gegenkundgebung am selben Ort aufgerufen.

asmusBereits vor dem Eintreffen der ersten Demonstrant_innen hatte die Polizei die Hafenstraße vor dem ehemaligen Karstadt Sport-Gebäude abgeriegelt und ließ hier nur ausgewählte Passant_innen durch. Nachdem es noch kurz zu einer allseitig Verwirrung stiftenden Situation gekommen war, bei der auf einmal der allein angereiste lokale NPD-Anmelder und Kieler Ratsherr Hermann Gutsche ungewollt inmitten der Antifaschist_innen stand, aber schnell von Polizist_innen auf seine Seite gerettet werden konnte, formierte sich noch vor Eintreffen des Nazi-Lasters eine Kundgebung mit zunächst etwa 100 Teilnehmer_innen. In einem kurzen Redebeitrag wurde darauf aufmerksam gemacht, weshalb man sich noch vor allgemeiner Ladenöffnung in der Kieler City versammele und dazu aufgerufen, die Neonazis, die zu diesem Zeitpunkt bereits am IKEA-Parkplatz am Stadtrand gesichtet worden waren, möglichst unangenehm zu empfangen.

Gegen 9.30 Uhr rollte dann tatsächlich der NPD-Werbelaster samt der zwei Busladungen obligatorischer Ordnertruppe und dem bescheidenen lokalen Support in Jens Lütkes Kleinwagen, der außer den Fahrzeughalter selbst noch die Lübecker Jörn Lemke und Jörn Gronemann transportierte, in den polizeilich reservierten braunen Korridor. Als Hermann Gutsche nach der Aufbauphase schließlich mit seiner Eröffnungsrede loslegte, hallten wüste Beschimpfungen, Antifa-Parolen und Störgeräusche aus diversen Lärmquellen durch die Holstenstraße. Garniert wurde das für die frühe Uhrzeit doch recht wütende Begrüßungsszenario mit einigen braunen Farbeiern und gammeligen Tomaten, die in Richtung Nazi-Kundgebung flogen. Der von den am Ende bis zu 200 Gegendemonstrant_innen verschiedener Spektren fabrizierte Lärmpegel konnte durchweg aufrecht gehalten werden, so dass es auch für die NPDler selbst schwierig gewesen sein dürfte, der anschließenden ellenlangen Rede Holger Apfels und dem nachfolgenden Gestotter Ronny Zasows zu folgen.

ffNoch vor 10.30 Uhr kamen die Nazi-Redner der lautstarken Forderung ihres Publikums, nämlich die Fresse zu halten, endlich nach. Die Roadies räumten den Schrott zusammen und der Wanderzirkus verließ Kiel mit dem mutmaßlichen Ziel Hamburg. Wie schon im letzten Jahr ließ sich der Sinn dahinter, dutzende Städte bundesweit abzuklappern, um sich dort beschimpfen zu lassen, auch bei der diesjährigen Station des „Flaggschiffs“ in Kiel nicht endgültig erschließen. Für die antifaschistische Mobilisierung kann jedoch einmal mehr resümiert werden, dass trotz undankbarer Zeit wirklich beeindruckend viele Leute gekommen sind, um der NPD ihre Abneigung zu demonstrieren, dass es durchgängig amtlich laut gewesen ist und dass an der Förde nach wie vor auf eine Menge Leute Verlass ist, wenn es darauf ankommt, spontan und flexibel auf Nazi-Auftritte zu reagieren. Nichtsdestotrotz heißt es Daumen drücken, dass der hässliche Laster möglichst bald eine der vielen noch angekündigten Stationen nicht überlebt, so dass das heutige hoffentlich als sein letztes Gastspiel in Schleswig-Holstein in die Geschichte eingehen kann.

Weitere Berichte:


La Quimera | enough is enough! | blick nach rechts | KN

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Jens Lütke

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Aktueller Stand zur NPD-Kundgebung und Pressemitteilung

Wie heute bestätigt werden konnte, hat die NPD ihre Kundgebung ab 9 Uhr auf dem Asmus-Bremer-Platz angemeldet. Antifaschistische Gruppen aus Kiel mobilisieren seit Sonntagabend ebenfalls zum Asmus-Bremer-Platz, um wenn möglich dort die NPD-Kundgebung zu blockieren oder von dort aus flexibel auf mögliche Ausweichorte der NPD reagieren zu können.

Für Morgen wird es einen Ermittlungsausschuss (EA) geben, wo Betroffene von Polizeimaßnahmen, Gewahrsam- oder Festnahmen gemeldet werden können. Der EA ist unter der Nummer 0431 – 5303435 zu erreichen.

Da zeitgleich zur NPD-Kundgebung in Kiel mehrere Stolpersteine verlegt werden, haben wir heute untenstehende Pressemitteilung an die Medien und Verantwortlichen in der Stadt verschickt.

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PM: Verlegung von Stolpersteinen zeitgleich zu NPD-Kundgebung in Kiel

Um an die Opfer von nationalsozialistischer Gewalt zu erinnern, werden vor ihren letzten selbstgewählten Wohnorten Stolpersteine eingelassen. Am Dienstag, 13. August, werden ab 9 Uhr in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel 24 neue Gedenksteine verlegt. Zeitgleich will die NPD im Rahmen ihrer „Deutschlandtour“ eine Wahlkampfkundgebung in Kiel abhalten. Dabei sollen ein mit Werbung versehener Kleinlaster, mehrere Begleitfahrzeuge und Parteiprominenz rassistische Botschaften verbreiten. Im Rahmen einer ähnlichen Veranstaltung versuchten die Neonazis bereits im vergangenen Jahr vergeblich, eine Kundgebung auf dem Asmus-Bremer-Platz für rassistische, nationalistische und antisemitische Hetze zu nutzen.

Der Künstler Gunter Demnig erinnert mit Gedenksteinen aus Messing, auf denen die Namen und die wichtigsten Lebensdaten der Opfer stehen, seit 1997 an die Verbrechen des Nazi-Regimes. Es wurden bereits mehr als 40.000 Stolpersteine in 700 europäischen Orten verlegt. In Kiel sind es bisher 146 Gedenksteine. Zwischen den Gedenkorten (Schloßstraße, Kronshagener Weg, Waitzstraße, Küterstraße) und den möglichen Auftrittsorten der NPD-Führungsriege liegen nur wenige Meter.

„Rassistische und sozial-chauvinistische Parolen sind in unmittelbarer Nähe einer Gedenkveranstaltung, die unter anderem von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein, Schüler*innen der Humboldtschule und dem Gymnasium Altenholz organisiert wird, nicht hinnehmbar und höhnen der Opfer“ kommentiert Julia Schmidt von der Autonomen Antifa-Koordination Kiel.

Und weiter: „An der Denkweise alter und neuer Nazis hat sich seit dem Tod der Familien Levy und Weitz, an deren Deportation am Dienstag erinnert werden soll, nicht viel geändert. Umso unerträglicher ist es, wenn heutzutage immer noch Neonazis ihre menschenverachtenden Meinungen verbreiten.“

Wie jetzt bestätigt wurde, hat die NPD ihre Kundgebung ab 9 Uhr auf dem Asmus-Bremer-Platz angemeldet. Weitere Plätze sollen als Ausweichort für den Fall von Protesten angemeldet worden sein. Aus diesem Grund rufen antifaschistische Gruppen für Dienstag ab 9 Uhr zur Gegenkundgebung auf dem Asmus-Bremer-Platz auf.

HH-St.Georg: Verfahren gegen Kieler Genossen eingestellt

Was eigentlich nur als sogenannter Sprungtermin zur Wahrung formaler Fristen im laufenden Prozess gegen einen Kieler Antifaschisten im Zusammenhang mit den Gegenaktivitäten zum Hamburger Naziaufmarsch am 2. Juni 2012 angelegt war, endete vor dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg heute am 9. August 2013 binnen weniger Minuten überraschend mit der Einstellung des Verfahrens nach §153a StPO. Sowohl Richterin und Staatsanwaltschaft, als auch der Anwalt des Angeklagten stimmten dieser unter der Auflage einer Zahlung von 500€ an die Arbeitsgemeinschaft Neuengamme, der Interessenvertretung ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme, ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen, zu.

Hintergrund des Prozesses, der am 26. Juli 2013 mit dem de facto einzigen Verhandlungstag begonnen hatte und von Protestaktionen antifaschistischer und Antirepression-Gruppen begleitet worden war, an denen sich an einem Freitagmorgen etwa 100 solidarische Menschen beteiligt hatten, war ein nach Zeugenaussagen dreier Polizisten am Abend des 2. Juni 2012 nahe des Hamburger Hauptbahnhofes vermeintlich erfolgter Angriff des Angeklagten auf einen der ihrigen. Beobachter_innen zufolge war es jedoch der Angeklagte selbst gewesen, der während eines rechtswidrigen Einkesselungsversuchs antifaschistischer Demonstrant_innen durch Angehörige einer Brandenburger Bereitschaftspolizeieinheit niedergeschlagen, brutal festgenommen und verletzt wurde. Auch entgegen dieser Tatsache erhielt der Betroffene Anfang des Jahres schließlich einen Strafbefehl unter dem Vorwurf der „Körperverletzung“ und des „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“. Dem eingelegten Widerspruch folgte die heute zu Ende gegangene Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht St. Georg.
Sowohl die Unterstützer_innen außerhalb des Gerichtssaals, wie auch der Anklagte selbst in seiner Prozesserklärung hatten immer wieder betont, dass das vordergründige Anliegen der Prozessführung darauf abziele, brutale Polizeieinsätze wie dem in Hamburg am 2. Juni 2012, die mit der üblicherweise anschließend inszenierten medialen Hetze und der strafrechtlichen Verfolgung von Antifaschist_innen in keinen kausalen Einklang zu bringen sind, nicht unwidersprochen im Raum stehen zu lassen und stattdessen den Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse politisch und juristisch zu führen. Ziel war es gewesen, durch die öffentliche Begleitung, die politische Einordnung und eine offensive Verteidigungsstrategie in die strukturell ungleichen Machtverhältnisse vor Gericht einzugreifen und die polizeiliche Darstellung der Ereignisse in ihrer Glaubwürdigkeit zu beschädigen. Zur juristischen Wahrheitsfindung im bürgerlichen Sinne habe man jedoch nicht beitragen wollen, weshalb der Angeklagte die Aussage verweigert hatte.
Dass der Prozess nun entgegen ursprünglicher Erwartungen mit einer Einstellung endete, werten der Angeklagte und seine Unterstützer_innen als Hinweis darauf, dass diese Strategie aufgegangen ist. Dass die Anklage den billigen Hintergrund gehabt habe, dass die am Einsatz beteiligten Beamten die Tatsache ihres brutalen Übergriffs mit einer prophylaktischen Anzeige unter umgekehrten Vorzeichen verwässern wollten, sei während des Prozesses allzu offensichtlich geworden. Die schwache Polizeilegende sei nicht mehr ohne Weiteres als Begründung für eine Verurteilung aufrecht zu erhalten gewesen, weshalb die Option der einvernehmlichen Einstellung des Verfahrens überhaupt auf den Tisch gekommen sei. Auch wenn es bedauerlich sei, dass die zwei noch nicht gehörten Brandenburger Polizeizeugen sich nun nicht mehr zu ihrer gewalttätigen Festnahmepraxis werden äußern müssen, was sicherlich noch das eine oder andere interessante Detail über den Normalzustand des deutschen Polizeiwesens ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hätte, sei das Ergebnis der Prozessarbeit zufriedenstellend. Auch wenn der Angeklagte die Spende sicherlich lieber aus freien Stücken getätigt hätte: Kein Cent gehe in irgendwelche Staatskassen, sondern komme der Aufrechterhaltung des Gedenkens an die Verbrechen Nazi-Deutschlands zu Gute. Und der betroffene Genosse sei im wahrsten Sinne des Wortes mit einem blauen Auge davon gekommen – alles in allem demnach eine gute Bilanz!
Der Angeklagte und seine Unterstützer_innen danken allen, die den Prozess solidarisch begleitet haben und hoffen, dass die insgesamt positive Wendung des Verfahrens andere Betroffene staatlicher Repression dazu ermutigt, kämpferisch und politisch mit Strafbefehlen, Bußgeldern und Prozessen umzugehen und nicht im stillen Kämmerlein jede staatliche Frechheit zu schlucken.


Solispaziergang zum Gericht am 26.7.2013

„Bollstein Kiel“-Mitglieder bei Neonazi-Demonstration in Bad Nenndorf

„Wir Bollsteiner lassen uns in keine politische Ecke zwängen!“ polterte der Mettenhofer Freizeitfussballclub „Bollstein Kiel“ noch im Jahr 2011 aufgrund einer Turnierausladung wegen rassistischer Sprüche seiner Mitglieder. Dass es damit weit her ist und die Kerngruppe von „Bollstein Kiel“ klar der rechten Szene zuzuordnen ist, hatte die Autonome Antifa-Koordination Kiel zusammen mit dem Runden Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel dann im August 2012 aufgedeckt, was zur Absage eines von „Bollstein Kiel“ veranstalteten Fussballturniers auf dem Kieler Nordmarksportfeld führte.  
Obwohl die „Bollsteiner“, ungeachtet der antifaschistischen Recherchen, immer wieder versuchten zu betonen „unpolitisch“ und auf keinen Fall „rechts“ zu sein, war bei der Kommunahlwahl im Mai 2013 ein großer Teil des „Bollstein“-Umfelds auf der Wahlliste des NPD-Tarnvereins „WAKB“ zu finden.
Als nun am 3. August 2013 ein auf wenige Hundert zusammengeschmolzener Haufen Neonazis im niedersächsichen Bad Nenndorf durch antifaschistische Blockaden erfolgreich davon abgehalten werden konnte, zum dortigen Wincklerbad zu demonstrieren, war auch ein Teil der „Bollstein Kiel“-Gruppe in ihren „Vereins“-T-Shirts, u.a. in Begleitung der schleswig-holsteinischen NPD-Kader Daniel Nordhorn (Kreisvorsitzender des NPD-Verbandes Segeberg-Neumünster), vor Ort.
Alle hier abgebildeten Fotos stammen von Recherche Nord.
Weitere Bilder der Neonazis in Bad Nenndorf gibt es auch bei der Antifa Koordination Lübeck.
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HH-St.Georg: Erster Prozesstag gegen Kieler Antifaschisten

Am Freitagmorgen des 26. Juli 2012 trafen sich ab 8 Uhr bis zu 100 solidarische Genoss_innen am Hamburger Hachmannplatz um einen Kieler Antifaschisten zum Amtsgericht St. Georg zu begleiten, dem im Zusammenhang mit den antifaschistischen Gegenaktivitäten zum Hamburger Neonazi-Aufmarsch vom 2. Juni 2012 Körperverletzung an einem Polizisten und Widerstand vorgeworfen wird.
Am Gericht angekommen wurde ein Redebeitrag verlesen, in dem der brutale Polizeieinsatz vom 2.6.2012, darunter auch der der Anklage zu Grunde liegende frühabendliche Polizeiübergriff am Hauptbahnhof, in Erinnerung gerufen sowie die politischen Beweggründe des Angeklagten, den vor einigen Monaten erlassenen Strafbefehl nicht zu akzeptieren, dargelegt wurden. Selbiger Text wurde als Flugblatt im Umfeld der Demo verteilt. Am Gerichtsgebäude prangte zudem passend zum Tag die Parole „Gegen Staat und Justiz“.

Am Rande der Demo und in der Nähe des Gerichts trieben sich mit Stephan Buschendorff und Walter Hoeck aus dem Umfeld der „German Defence League“ eine zeitlang auch zwei Faschisten herum, die versuchten die Demonstrant_innen abzufilmen und zu fotografieren. Das bescheidene Ergebnis ihrer Recherchebemühungen, das sie mittlerweile via soziale Netzwerke öffentlich gemacht haben, dürfte die Betroffenen jedoch nicht sonderlich beunruhingen.
Der Prozess selbst begann damit, dass der Anwalt des angeklagten Antifaschisten die improvisierten Taschen- und Körperkontrollen der Justizwachen am Eingang des Gerichtssaals beanstandete, was die Richterin darauf mit der Demo und der sich am Amtsgericht befindlichen Parole rechtfertigte. Desweiteren stellte die mangelnde Platzanzahl im Verhandlungszimmer ein Problem dar, weil sich draußen noch jede Menge Menschen befanden, die sich das bürgerliche Schauspiel nicht entgehen lassen und den Genossen im Gerichtssaal unterstützen wollten. Die Richterin lehnte den anwaltlichen Antrag auf Verlegung in einen größeren Saal ab. Schlussendlich wurde durch das Zusammenrücken der Zuschauer_innen ermöglicht, dass bis zu 16 Menschen in den Saal passten und den den Prozess begleiten konnten.

Nach der Standartprozedur des Abfragens der Personalien und der Verkündung der Anklage, bekam der Genosse die obligatorische Gelegenheit sich zur Sachlage zu äußern. In einer Prozesserklärung verneinte der Genosse diese und legte seine politischen Beweggründe und eine persönliche Bewertung des Spektakels dar. So äußerte er in der Erklärung u.a., sich keine Illusionen über vermeintliche „Rechtsstaatlichkeit“ zu machen. Dies veranlasste die Staatsanwältin dazu, zu betonen, dass es ihr sehr wohl darum ginge, „die Wahrheit“ aufzudecken und einen „fairen Prozess“ zu führen. Außerdem thematisierte der Angeklagte die auch diesem Fall angewandte Prozedur des Umdeutens von Polizeigewalt in angebliche Gewalt gegen Polizist_innen.
Es folgte ein ausführlich begründeter Antrag des Verteidigers des Angeklagten, der die freiheitsentziehende Maßnahme und den formalen Ablauf der Geschehnisse am 2. Juni 2012 und insbesondere die Rechtmäßigkeit des gesamten Einsatzes auf dem Bahnhofsvorplatz juristisch bezweifelte während dessen sich der Vorfall ereignete und daher die Anklage als unbegründet zurückwies. Richterin und Staatsanwältin folgten diesem Antrag nicht. Anschließend erfolgte die Befragung des ersten Polizeizeugen Fritsche, der am besagten Tag als Teil einer Brandenburger Einheit an der brutalen Festnahme des Genossen beteiligt gewesen war. Er tritt im Verfahren als Geschädigter auf und hatte sich sogar dazu hinreißen lassen, einen Antrag auf Schmerzensgeld zu stellen. Dieser wurde in der vorliegenden Form aber selbst von der Richterin als substanzlos bewertet und daraufhin vom vermeintlich Geschädigten verworfen. Immer wieder kam es während der Aussage des Polizeizeugen zu Unmutsbekundungen der Zuschauer_innen, worauf die Richterin Ordnungsstrafen androhte. Im weiten Verlauf seiner Aussage mutmaßte der Zeuge über den u.a. angeklagten Widerstand, dass dieser durch die Fixierung des Genossen hervorgerufen worden sein könnte, der sich seines Erachtens aufgrund von Schmerzen eingedreht hatte und deshalb nur durch drei Beamte habe festgenommen werden können.
In Laufe der weiteren, detailierten Vernehmung des „Geschädigten“ durch den Anwalt begannen dessen Darstellungen, in denen er sich oftmals nur noch schemenhaft an den Tag erinnern konnte, zu wackeln. Sowohl bezüglich des angeblichen Angriffs auf ihn, welcher der Festnahme vorangegangen sein soll und nun als Körperverletzung angeklagt ist, als auch des Aktes der Festnahme, von der der Angeklagte verschiedene Verletzungen im Gesicht davongetragen hat, traten vermehrt Ungereimheiten in seiner Version der Dinge auf. Die Brutalität der Festnahme wiederum wurde seitens der Verteidigung durch Fotos und ein ärztliches Attest untermauert. Zudem wurden Polizei-eigene Videoaufnahmen gezeigt, die zeitlich natürlich erst nach der eigentlichen Festnahme und den angeblichen Taten des Genossen beginnen, jedoch das schikanöse Verhalten der Polizisten gegenüber dem Angeklagten nach der Festnahme dokumentieren, was den Zeugen in Erklärungsnot brachte.
Nach knapp drei Stunden wurde der Prozess nach der Zeugenvernehmung aus Zeitgründen für diesen Tag beendet und weitere Termine festgelegt. Der Verhandlung soll nach einem nur formalen und daher unbedeutenden sogenannten „Sprungtermin“ am 9. August am 29. August um 9 Uhr sowie am 17. September um 10 Uhr mit der Befragung der Polizeizeugen Winzer und Busse fortgesetzt werden.
Insgesamt kann resümiert werden, dass der erste Prozesstag deutlich schlechter hätte laufen können. Die durch die polizeilichen Darstellungen geschilderte Sachlage scheint bisher weder von der Staatsanwaltschaft noch seitens der Richterin abschließend als feststehend bewertet zu werden und der politischen Einordnung des Prozesses konnte durch die Solidemo und den Angeklagten selbst Gehör verschaffen werden. Es waren für einen Freitagmorgen erfreulich viele solidarische Begleiter_innen vor Ort und der Saal durchgängig bis auf den letzten Platz gefüllt. Die mobilisierenden Gruppen und der Angeklagte selbst zeigten sich dafür dankbar. Man wird sehen, wie es am 29.8. weitergeht. Antifaschistische und Antirepressionsgruppen kündigten eine weitere kritische Begleitung auch der nächsten Verhandlungstage bereits an.

Kieler Politikwissenschaft-Professor fühlt sich von Zivilklausel-Forderung an antisemitische Ausgrenzung und Verfolgung im NS erinnert

Von www.german-foreign-policy.com.
Das Denken von morgen

KIEL/BERLIN – Der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel sieht Parallelen zwischen Aktivitäten der Friedensbewegung und antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes. Dies geht aus einem Dokument hervor, das bis heute unwidersprochen auf einer unabhängigen Internetplattform abgerufen werden kann. Dabei handelt es sich dem Vernehmen nach um die ursprüngliche Fassung eines von Institutsleiter Joachim Krause verfassten offenen Briefes, der sich gegen die Selbstverpflichtung von Hochschulen auf friedliche und zivile Zwecke wendet. Laut Krause erinnert eine solche „Zivilklausel“, die die akademische Zusammenarbeit mit Militär und Rüstungsindustrie kategorisch ausschließt, „fatal an Zeiten, in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren“. Das Kieler Institut ist sowohl inhaltlich als auch personell eng mit der Bundeswehr verknüpft; unter anderem waren die bei ihm beschäftigten Wissenschaftler an der Erstellung eines „Leitfadens“ der Truppe zur Aufstandsbekämpfung in den Ländern des globalen Südens beteiligt.

Ein Brandbrief
Unter dem Titel „Zivilklausel – Nein Danke!“ hat der Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK), Joachim Krause, unlängst einen offenen Brief publiziert. Darin wendet er sich in scharfer Form gegen die mittlerweile von etlichen deutschen Hochschulen eingegangene Selbstverpflichtung auf ausschließlich friedliche und zivile Zwecke. Laut Krause ist eine solche „Zivilklausel“ nichts anderes als eine „politische Mogelpackung“, die das Bekenntnis zum Frieden lediglich vorschiebt, um „wissenschaftliche Kontakte mit der Bundeswehr oder der wehrtechnischen Industrie zu diskreditieren und zu unterbinden“. Letztlich gehe es den meist „linksextremen“ Befürwortern von „Zivilklauseln“ darum, „politisch motivierte Einschränkungen der Freiheit von Forschung und Lehre“ zu erreichen, schreibt Krause. Wie der Wissenschaftler weiter ausführt, schreckten die besagten „linksextremen Gruppen“ dabei nicht einmal vor „Gesinnungsschnüffelei“, der „gewaltsame(n) Störung von Seminaren“oder dem „Mobbing von Dozentinnen und Dozenten“ zurück: „Das ist für eine freie Universität in einer demokratischen Gesellschaft völlig inakzeptabel.“[1]

Nazi-Praktiken
In der ursprünglichen Fassung seines Briefes, die bis heute unwidersprochen auf einer unabhängigen Internetplattform abgerufen werden kann, stellt Krause schließlich sogar eine Analogie zwischen den Aktivitäten der Zivilklausel-Anhänger und antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes her: „Keiner wird gezwungen, für das Verteidigungsministerium oder die wehrtechnische Industrie Projekte durchzuführen, aber es kann nicht sein, dass Wissenschaftler an deutschen Universitäten daran gehindert werden, mit einem Verfassungsorgan des Bundes oder mit Firmen zu kooperieren, die teilweise in der Wehrtechnik tätig sind (reine Rüstungsunternehmen gibt es ja kaum noch). Diese Art von Kooperations- und Kontaktverboten (mit dem Ziel der gesellschaftlichen Ausgrenzung bestimmter Institutionen und Personen) erinnert fatal an Zeiten, in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren.“[2]

„Enthauptungsschläge“ gegen Aufständische

Krauses Empörung kommt nicht von ungefähr: Sein Institut ist sowohl inhaltlich wie personell eng mit dem Bundesverteidigungsministerium und den deutschen Streitkräften verknüpft. So war das ISPK nach eigenem Bekunden an der Erarbeitung eines „Leitfadens“ der Truppe für die Aufstandsbekämpfung („Counterinsurgency“) in den Ländern des globalen Südens beteiligt.[3] Im Auftrag des Verteidigungsministeriums entwickelte es darüber hinaus Strategien für den Krieg gegen Widerstandsbewegungen in Afghanistan; empfohlen wurde unter anderem deren „Enthauptung“ durch die „Ausschaltung von bedeutenden Führern“ (german-foreign-policy.com berichtete [4]). Eine entsprechende Studie des ISPK entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Center for a New American Security (CNAS), einem einflussreichen Washingtoner Think-Tank, der sich insbesondere aus hochrangigen aktiven und ehemaligen Ministerialbeamten und Militärs zusammensetzt. Anfang dieses Jahres veranstaltete das ISPK zudem eine hochkarätig besetzte Konferenz, bei der die gegen afghanische Rebellen gerichteten Counterinsurgency-Maßnahmen Deutschlands und Dänemarks verglichen wurden. Besonderes Lob erhielten bei dieser Gelegenheit die Bemühungen der dänischen Führung, die „Heimatfront“ für den Krieg am Hindukusch zu begeistern: Auf der Basis eines breiten „Elitenkonsenses“ sei es gelungen, sowohl den Zweck der „Mission“ wie deren „Erfolge“ überzeugend „zu verkaufen“, hieß es.[5] Bei der Tagung waren neben mehreren Institutionen des dänischen Militärs auch die Führungsakademie der Bundeswehr und das Bundesverteidigungsministerium vertreten.

Der Bundeswehr verbunden
Umgekehrt sind die deutschen Streitkräfte ihrerseits an der Spitze des ISPK präsent. Der Direktor Krause zur Seite stehende Geschäftsführer Stefan Hansen bekleidet den Rang eines Korvettenkapitäns der Reserve und war nach eigenem Bekunden in den vergangenen Jahren „regelmäßig“ für die Bundeswehr tätig – unter anderem als Verbindungsoffizier für NATO-Verbände und als mit der Führung militärischer Operationen betrauter Stabsoffizier (S3) des Marinestützpunktkommandos Kiel.[6] Wie sein Kollege Krause hat sich auch Hansen erst unlängst in scharfer Form gegen die Implementierung von „Zivilklauseln“ an deutschen Universitäten ausgesprochen [7]; die im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums vom ISPK erarbeitete Studie über Counterinsurgency-Maßnahmen in Afghanistan ist nicht zuletzt seinem Einsatz zu verdanken. Gemeinsam mit Studierenden, Doktoranden und Universitätsbeschäftigten besucht Hansen zudem regelmäßig die auf dem Marinestützpunkt Kiel stationierten Einheiten, vorzüglich im Rahmen des von der NATO seit 1971 alljährlich veranstalteten Ostseemanövers „Baltic Operations“ (BALTOPS). Beste Beziehungen pflegt Hansen offenbar auch zum Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH), der akademischen Organisation des Reservistenverbandes. Ende 2010 nahm er zusammen mit dem Autor der Counterinsurgeny-Studie des ISPK, Robin Schroeder, an der Bundesversammlung des BSH teil, bei der der Verband Zuwachs durch eine neu gegründete Kieler Hochschulgruppe (HSG) erhielt. Wie das ISPK erklärt, unterstützten die Institutsmitarbeiter „gern die HSG mit ihrer Expertise“, um den „sicherheitspolitischen Diskurs“ an der Universität zu fördern.[8]
Zurückhaltung: „Lähmend“
Die Affinität des ISPK zum Militär schlägt sich nicht zuletzt in den Publikationen des Instituts und seiner Mitarbeiter nieder. So forderte etwa Institutsdirektor Krause, in Bezug auf den Iran endlich mit der „unseligen Rhetorik“ Schluss zu machen, „wonach militärische Optionen grundsätzlich auszuschließen sind“ (german-foreign-policy.com berichtete [9]). Erst unlängst bezeichnete der Wissenschaftler die weit verbreitete Ablehnung deutscher Waffenexporte als Ausdruck eines „Vulgärpazifismus“, der einem „Denken von vorgestern“ geschuldet sei, „welches immer noch den Ersten Weltkrieg zu verhindern sucht, aber für die heutigen Verhältnisse völlig ungeeignet ist“.[10] Entsprechend argumentiert der ISPK-Mitarbeiter Florian Stöhr. Seiner Auffassung nach führt die in der deutschen Gesellschaft anzutreffende „Kultur der Zurückhaltung“ gegenüber militärischer Gewalt zu einer „lähmende(n) Selbstbeschränkung und Zaghaftigkeit“, die „international nur noch auf wenig Verständnis stößt“ und „wie ein Relikt der Vergangenheit“ wirkt.[11] „Zurückhaltung“ in Sachen Krieg galt in der Bundesrepublik tatsächlich bis 1990 als eine Lehre aus den Aggressionen NS-Deutschlands, die dem ISPK zufolge jedoch heute nicht mehr berücksichtigt werden soll – was Institutsdirektor Krause indes nicht daran hindert, Kriegsgegner durch NS-Bezüge zu diskreditieren.

[1] Joachim Krause: Zivilklausel – Nein Danke! Warum ich gegen „Zivilklauseln“ an deutschen Universitäten bin; www.ispk.uni-kiel.de
[2] Joachim Krause: „Zivilklausel – Nein Danke!“ Warum ich gegen Zivilklauseln an deutschen Universitäten bin; linksunten.indymedia.org/node/90126
[3] Christian Patz: Counterinsurgency and State-building in Afghanistan: Danish and German Lessons Learned. Conference Report. Kiel 2013
[4] s. dazu Im Keim ersticken (I) und Im Keim ersticken (II)
[5] Christian Patz: Counterinsurgency and State-building in Afghanistan: Danish and German Lessons Learned. Conference Report. Kiel 2013
[6] Stefan Hansen, M.A.; www.ispk.uni-kiel.de
[7] Sebastian Bruns/Curti Covi/Stefan Hansen/Jannis Jost/Christian Patz/Jonas Schneider/Robin Schroeder/Florian Wätzel: Gegen Zivilklauseln und für mehr Vertrauen in die Unabhängigkeit der Wissenschaft; atlantische-initiative.org 18.07.2013
[8] Sonstige Veranstaltungen; www.ispk.uni-kiel.de
[9] s. dazu Ende im Gemetzel
[10] Joachim Krause: Gibt es eine Merkel-Doktrin? Nein. Nur eine etwas überhitzte Rüstungsdiskussion in Deutschland. Internationale Politik, Januar/Februar 2013
[11] Florian Stöhr: Sicherheitspolitische Kultur in Deutschland. Politik und Gesellschaft im Widerstreit? Kieler Analysen zur Sicherheitspolitik 31. Kiel 2012


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Bericht auf linksunten.indymedia.org | Hintergrundinfos auf asta.uni-kiel.de

Prozesserklärung / Amtsgericht HH-St. Georg // 26.7.13

Prozesserklärung zum Prozess gegen einen Kieler Antifaschisten am 26.7.13 in Hamburg anlässlich des Naziaufmarsch in Hamburg am 2. Juni 2012

Ich bin heute angeklagt, weil mir auf Grundlage der Aussagen dreier Polizisten vorgeworfen wird, am Abend des Aufmarsches von etwa 600 Neonazis am 2. Juni 2012 in Hamburg-Wandsbek am Hamburger Hauptbahnhof einen dieser Polizisten mit einer abenteuerlichen Schlag-Knie-Kombination angegriffen und verletzt zu haben und mich bei der anschließenden Festnahme zur Wehr gesetzt zu haben. Vorausgegangen sei meinem angeblichen Angriff der Versuch seiner Polizeieinheit, mich und andere als Antifaschist_innen ausgemachte Personen durch Umzingelung davon abzuhalten, in das Bahnhofsgebäude zu gelangen, das etwa zeitgleich von abreisenden Neonazis passiert worden sein soll.

Wir werden im Laufe des Prozesses voraussichtlich noch Polizei-eigene Videoaufzeichnungen von der Abführung meiner Person zu Gesicht bekommen, die nicht zufällig erst nach den vermeintlichen Handlungen, die mir vorgeworfen werden, einsetzen, aber trotzdem eine andere Version des Geschehens als naheliegender erscheinen lassen: Da physischer Widerstand ohne übernatürliche Kräfte nahezu eine Sache der Unmöglichkeit ist, wenn drei gepanzerte Personen ihre volle Körperkraft einsetzen, um eine ungepanzerte Person auf dem Boden zu fixieren, wird es wohl auch keinen entsprechenden Widerstand gegeben haben. Und wenn der angebliche Täter, also ich, mit blutiger Nase über den Bahnhofvorplatz und vorsätzlich gegen eine Schiebetür geschubst wird, drängt sich der Verdacht auf, dass irgendeine Art von Schlagkombination wohl kurz zuvor eine Körperverletzung hervorgerufen hat, Empfänger und Absender in den der Anklage zu Grunde liegenden Aussagen aber offensichtlich vertauscht wurden. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ich anschließend während einer Odyssee durch verschiedene Polizeiwachen, Gefangenenzellen und Amtszimmer noch etwa fünf Stunden meiner Freiheit beraubt wurde.

Nun könnte ich empört feststellen: „Mir ist hier ganz offensichtliches Unrecht widerfahren, dies ist ein Skandal!“ Und diesen gelte es nun mit der Kundtat meines Wissens über die tatsächliche Vorgänge am frühen Abend des 2.6., Tatort Hauptbahnhof, aufzudecken, um vor dem unabhängigen Gericht seine Richtigstellung zu erwirken. Dies ist aber nicht die vordergründige Motivation, die mich veranlasst hat, Widerspruch gegen den für Gericht und Staatsanwaltschaft äußerst komfortablen, weil arbeitssparenden und im nicht-öffentlichen Raum zum Ziel führenden, Strafbefehl einzulegen, den ich vor ein paar Monaten erhalten habe. Denn dagegen, mir als linker Antifaschist, der hier auch nicht vor hat, seine politischen Überzeugungen und damit auch nicht die selbstredende Teilnahme an den Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch am 2.6. zu leugnen, vor Gericht realistische Chancen auszumalen, sprechen durch zahllose Fälle unterfütterte Erfahrungswerte. Diese veranlassen mich im Gegenteil leider dazu, anzunehmen, dass bürgerliche Gerichte spätestens bei der heutigen Konstellation – unbelehrbarer linker Trotzkopf vs. drei im Verprügeln von Demonstrant_innen und seinem juristischen Nachspiel wohl erfahrene Angehörige einer kasernierten Truppe Bereitschaftspolizist_innen – schnell mal seine vorgebliche Unabhängigkeit verliert und Judikative und Exekutive eine letztlich kaum verwunderliche Interessengleichheit bei der Wahrung ihrer Sicherheit und Ordnung beweisen. Eine Aussage meinerseits würde somit kaum mehr als den Zweck erfüllen, als den Schein einer unvoreingenommen und jenseits politischer Interessen urteilenden Gerichtsbarkeit zu wahren, um am Ende trotzdem der Einheitsaussage des von Beruf aus glaubwürdigen polizeilichen Gegenübers zu unterliegen.
Ein Fünkchen Hoffnung, hier heute vielleicht trotzdem noch meinen Kopf ein Stück weit aus der Schlinge zu winden, setze ich wenn überhaupt darin, dass die drei Brandenburger Kollegen, die uns später noch im Gerichtssaal beehren werden, dann vielleicht doch nicht so routiniert sind, wie bei der am 2.6. unter Beweis gestellten in Perfektion praktizierten Disziplin des Aufmischens von Demonstrant_innen. Für einen Genossen hat dieser eher die Regel bestätigende Ausnahmefall ebenfalls im Zusammenhang mit dem 2.6.2012 im Februar ja immerhin überraschenderweise einen vorläufigen Freispruch bedeutet.

Aber was verspreche ich mir stattdessen davon, wenn ich mich im Vorfeld des Prozesses für die Anklagebank entschieden habe, obwohl dies wohl einer der letzten Orte ist, an dem man für Gewöhnlich gerne Platz nimmt? Nun, ich bin es leid, dass das Gelaber von der zunehmenden Gewalt gegen Polizist_innen, dass auch im Nachklang des 2.6. mal wieder, z.B. unter erheblicher Beihilfe der rechtspopulistischen „Deutschen Polizeigewerkschaft“, durch die Mainstream-Medien geisterte, unwidersprochen hinzunehmen. Insbesondere dann, wenn auch meine zu erwartende Verurteilung u.a. den Zweck hat, Zahlen herbeizuführen, die dieses Märchen dann statistisch belegen sollen. Dass die Aussagekraft solcher Beweisführungen über tatsächliche Verhältnisse dann auch tatsächlich der eines Märchens gleichkommt, bezeugen u.a. die heute zu verhandelnden Geschehnisse: Polizeiübergriffe, wie sie ganz alltäglich alle möglichen Menschen erleiden müssen, die sich den nicht selten auch willkürlichen Spielregeln der selbstherrlichen Hüter_innen der bürgerlichen Ordnung nicht fügen wollen – z.B. aus politischen Gründen oder weil sie lieber ihren eigenen, viel besseren Regeln vertrauen – oder dies gar nicht können – etwa weil ihnen das hierzu nötige Kleingeld oder das richtige Ausweisdokument fehlt – gehen nicht als solche in die öffentliche Wahrnehmung ein. Im Gegenteil: Ist dem Kollegen bei einem Einsatz mal wieder Faust oder Knüppel über das gesetzlich gebilligte Maß hinaus ausgerutscht, etwa weil das Feindbild passte oder ihm nicht die gewünschte Unterwerfung entgegengebracht wurde, ist die Anzeige mit umgekehrten Vorzeichen schnell geschrieben, die Aussage abgestimmt, die herzzerreißende Pressemitteilung über die Polizei als Opfer inkl. Forderung nach „drastischen Strafen durch die Justiz“ und keinen „Kuschelskurs mit Antifaschisten“ in Umlauf gebracht und das Urteil damit bereits weitestgehend festgeschrieben. Und – voilà : Obwohl die Straße ein anderes Lied zu singen weiß, nimmt in den Parlamenten, den Medien, an den Stammtischen und wahrscheinlich sogar in der polizeilichen Selbstwahrnehmung nun nicht mehr Polizeigewalt, sondern Gewalt gegen Polizist_innen zu.

Aber auch eine andere Funktion eint bürgerliches Märchen und Propaganda à la DPolG und Verbündete: Beide arbeiten bewusst mit Unwahrheiten, die gezielt verbreitet und so penetrant wiederholt werden, dass selbst der nüchterne Verweis auf das überdeutliche Verhältnis von 450 während des Polizeieinsatzes am 2.6. verletzten Antifaschist_innen gegenüber 19 angeblich verletzten Beamten nicht mehr gegen deren Horrorszenario eines „in Schutt und Asche gelegten Stadtteils Wandsbek“ anzukommen weiß. Aber es ist nicht nur der polizeiliche Eigennutz nach belieben die Sau raus lassen zu dürfen, der dahinter steht, sondern es geht vielmehr noch auch um eine übergeordnete gesellschaftliche Zielsetzung. Das Zerrbild des zunehmend geschundenen Opfers Polizeibeamte_r und die Lüge von dem Ansteigen von Kriminalität und Gewalt sind die propagandistische Vorbereitung dafür, ohne breiten gesellschaftlichen Widerspruch auf gesetzgebender Ebene das Feld der polizeilichen Befugnisse immer mehr auszuweiten, das Strafmaß zu erhöhen sowie Grundrechte einzuschränken und auszuhöhlen. Ziel solcher Maßnahmen ist es natürlich nicht, das Leben der Menschen sicherer zu gestalten, wie dann suggeriert wird, sondern einen staatlichen Kontroll- und Repressionsapparat zu installieren, der die herrschende Ordnung selbst dann in der Lage ist aufrecht zu erhalten, wenn das soziale Konfliktpotenzial der gleichzeitigen Verarmungs- und Verunsicherungspolitik als Prävention und autoritäre Antwort auf die andauernde kapitalistische Weltwirtschaftskrise sich auch hier im Land der Profiteure einmal, in welcher Form auch immer, droht aufzubrechen, wie es – im Vergleich vielleicht etwas hinkend – anderswo längst der Fall ist.

Und an diesem Punkt lohnt es sich dann auch mal, kurz von der moralisierenden zur nüchternen Perspektive überzugehen: Denn solange es den beruflichen Tätigkeiten des_der Polizist_in inbegriffen ist, der Gesetzeslage entsprechend Wohnungslose von öffentlichen Plätzen zu vertreiben, rassistische Kontrollen durchzuführen, Abschiebungen zu vollziehen, Mieter_innen aus ihren Wohnungen zu räumen, Ladendiebe festzunehmen, von Zeit zu Zeit mal einen x-beliebigen Störenfried aus nichtigen Gründen zu erschießen oder eben Nazi-Demos durchzusetzen, kurzum: eine Ordnung zu hüten, die linke Aktivist_innen gemeinhin als menschenfeindlich ablehnen, herrscht zwischen diesen und der Polizei ein Interessengegensatz, den selbst die noch so ernst gemeinteste Deeskalationstrategie nicht in der Lage wäre, zu versöhnen. Folglich ist es kaum vermeidbar, dass linke Aktivist_innen und die Polizei von Zeit zu Zeit aneinandergeraten. Am heute zu verhandelnden Tag sind tausende Antifaschist_innen mit dem Ziel auf Hamburgs Straßen unterwegs gewesen, den Naziaufmarsch nach Möglichkeit zu verhindern. 4500 Polizist_innen wiederum waren damit beauftragt, ihn mit allen Mitteln möglich zu machen. Dieser Antagonismus wurde an diesem Tag in unzähligen Fällen physisch, in übergroßer Mehrheit zu Ungunsten der Meinigen.
Doch solange deutsche Neonazis in unfassbarer Regelmäßigkeit Menschen ermorden können, wie erst am Mittwoch letzter Woche wieder im bayrischen Kaufbeuren geschehen, als das Pack auf einem Volksfest einen 34-jährigen aus Kasachstan stammenden Mann aus rassistischen Gründen totprügelte und danach für ein Gros der örtlichen Bevölkerung die entscheidende Sorge gewesen zu sein scheint, dass es die Fortsetzung seiner Festwoche gefährdet sah, weiß ich, dass meine Wut und mein Verantwortungsbewusstsein, dabei nicht tatenlos zuzusehen, gegenüber der Angst vor drohender Gefährdung meiner körperlichen Unversehrtheit und staatlicher Bestrafung obsiegen wird und auf welcher Seite ich auch das nächste Mal stehen werde, wenn die Polizei den Mördern den Weg bahnt und ihnen die Möglichkeit gibt, das ideologische Hintergrundgebrüll zu dem allein seit 1990 mindestens 184-fachen neonazistischen Töten in der BRD auf die Straße zu tragen.

Mein Dank gebührt den Genoss_innen, die mich hier heute im Gerichtssaal unterstützen und allen Menschen, die trotz Polizeigewalt und Repression weiter für ein soziales Miteinander aller in grenzenloser Gleichheit, Freiheit und Solidarität aufbegehren. Insbesondere möchte ich aus aktuellem Anlass denjenigen Anwohner_innen meine Hochachtung aussprechen, die in den vergangenen Wochen eindrucksvollen Widerstand gegen rassistische Polizeischikanen in Altona geleistet haben. Damit möchte ich schließen und habe ansonsten keine weiteren Worte zu der nun folgenden tragisch-komischen Vorstellung zu verlieren.