Eine Niederlage mit Ansage: Pridöhl scheitert auch am Versammlungsrecht

Unter dem Motto „Stoppt die Überfremdung, sofortige Rückführung aller abgelehnten Asylbewerber“ rief Enrico Pridöhl, bekannt durch «Neumünster wehrt sich» und andere Aktivitäten in Schleswig-Holstein und Umland, öffentlich auf Facebook dazu auf, sich am Samstag in Bad Segeberg von ihm angemeldeten Demonstration zu beteiligen.

Zu seiner völligen Enttäuschung erschienen nur drei Teilnehmer, statt der von ihm angemeldeten 60 bis 100 Teilnehmer_innen. Aufgrund von Streitigkeiten und inhaltlichen Distanzierungen verringerte sich die Zahl der Teilnehmenden auf insgesamt lediglich zwei Personen, wodurch die Veranstaltung nicht mehr durch das Versammlungsrecht geschützt wurde.

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Es folgten nervöse Telefonate zwischen Enrico Pridöhl und Sven Späthmann, dem Anmelder von «Neumünster wehrt sich», um auf die Schnelle weitere Leute zu mobilisieren. Dieser hatte sich jedoch etwas unfreiwillig umentschieden und konnte den Weg nach Bad Segeberg nicht antreten. Auch die lokale Kameradschaftsszene, die in der Umgebung mit bis zu sechs Personen patrouillierte, leistete keine Gefolgschaft, sodass die Polizei die Kundgebung mit Verweis auf das Versammlungsrecht gegen 13 Uhr auflöste und den verbliebenen Anmelder und zu diesem Zeitpunkt alleinigen Teilnehmer, Enrico Pridöhl, aus der Stadt brachte.

Die massiven Anstrengungen im Vorfeld und auch das Versprechen der Rückerstattung entstandener Fahrtkosten blieben für den von der Realität geistig abgekoppelten Enrico Pridöhl erfolglos. Am Ende des Tages bleibt für ihn nur die Ernüchterung, dass die extreme Rechte in Schleswig-Holstein nicht bereit ist, ihn länger zu unterstützen.

Presse: KN | SHZ | SPIEGEL

luebeck.systemausfall.org

Antira-Spontandemo und symbolische Besetzung der SPD-Zentrale in Kiel

Am Dienstag, 31.05.2016, haben 100 Menschen in Kiel durch die symbolische Besetzung der SPD-Landesgeschäftsstelle und mit einer Demonstration ihre Solidarität mit den akut von Abschiebung bedrohten Rom*nja gezeigt. Gleichzeitig wurde ein klares Zeichen gegen die Einstufung der Maghreb-Staaten (Marokko, Tunesien, Algerien) als weitere „sichere Herkunftsländer“ gesetzt. Zur Demonstration war kurzfristig vom nara [ki] – netzwerk antirassistische aktion kiel mobilisiert worden.

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Die Demo startete am Nachmittag am Asmus-Bremer-Platz und steuerte auf direktem Weg auf die Landesgeschäftsstelle der SPD nahe des Euopaplatzes zu. Aktivist*innen entrollten auf dem sich derzeit dort befindlichen Baugerüst ein Banner mit dem Text: „Es gibt keine sicheren Herkunftsstaaten! #‎Roma‬ ‪#‎allebleiben‬ ‪#‎maghreb. Nachdem ein Redebeitrag verlesen und Parolen gerufen wurden, verlief nach etwa zwanzig Minuten die Demo zum Kieler Hauptbahnhof, wo sie endete. Die Polizei war zwar mit mehreren Einsatzwägen vor Ort, hielt sich aber zurück.

Seit der Einführung der Balkanstaaten als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ wird für Menschen aus diesen Ländern nicht nur die Einzelfallprüfung im Asylverfahren außer Kraft gesetzt, sondern es wird ihnen jegliche Bleibeperspektive genommen. Ela Hazem als Sprecherin des Netzwerks erläuterte: „Insbesondere die Gruppe der Rom*nja ist davon betroffen. Sie werden in jenen Ländern häufig verfolgt, systematisch diskriminiert oder gar ermordet. Für sie gibt es kein sicheres Herkunftsland!“ Viele Rom*nja sind nun akut von Abschiebung bedroht.

Um auf ihre Lage hinzuweisen, demonstrierten ca. 70 Rom*nja aus Schleswig-Holstein letzte Woche Sonntag am Mahnmal für die ermordeten Sinti und Rom*nja im Nationalsozialismus in Berlin. „Die protestierenden Familien wurden mitten in der Nacht durch behelmte Polizei von dem Ort, der an die Verbrechen an ihren Vorfahren erinnert, gewaltvoll geräumt. Mit unserer Demonstration zeigen wir Solidarität mit den kämpfenden Rom*nja und fordern ein sofortiges Bleiberecht!“, so die Sprecherin weiter.

Am vergangenen Freitag hatte der Bundestag einen Gesetzesentwurf zu Einführung Marokkos, Tunesiens und Algeriens als weitere „sichere Herkunftsstaaten“ beschlossen. Auch die SPD stimmte mit dem Koalitionspartner Union dafür. Es handelt sich bei den Maghreb-Staaten um Länder, in denen gefoltert wird, demokratische Grundrechte missachtet und Menschenrechte verletzt werden. Auch „Pro Asyl“ hält diesen Gesetzesentwurf für verfassungswidrig.1 Der entsprechende Gesetzesvorschlag könnte am 17. Juni im Bundesrat noch zu Fall gebracht werden. Mit der symbolischen Besetzung der SPD-Landesgeschäftsstelle am Kleinen Kuhberg möchte das nara-Netzwerk – zusätzlich zu der Solidaritätsbekundung mit den Rom*nja – alle Politiker*innen dazu auffordern, im Bundesrat gegen diesen Vorschlag zu stimmen.

Nara [ki] – netzwerk antirassistische aktion Kiel

Angriffe, Outing, Glasbruch – „Neumünster wehrt sich“ Protagonisten zunehmend unter Druck

In den vergangenen zwei Wochen kam es auch über die lautstarken Proteste gegen die nunmehr vierte Kundgebung des rassistischen Zusammenschluss „Neumünster wehrt sich“ am 21.5.2016 hinaus zu verschiedenen dokumentierten antifaschistischen Aktionen gegen seine Protgonisten und Infrastruktur.

So wurde einem Artikel und einem Kommentar auf linksunten.indymedia.org zufolge der Mitinitiator und Dauergast bei „Neumünster wehrt sich“ Hauke Haak in der Nacht auf den 27.5. von Antifaschist_innen an seinem Wohnort in Kiel-Gaarden geoutet. Seine Wohnung in dem Wohnhaus im Kirchenweg wurde daraufhin noch in der selben Nacht „mit Farbe markiert“. Bereits eine Woche zuvor war Haak von Anwohner_innen auf offener Straße als aktiver Neonazi enttarnt und angegriffen worden. In sozialen Netzwerken bejammerten Haak und seine KameradInnen anschließend die davon getragenen Verletzungen. Haak ist erst im Zuge der rassistischen Mobilisierungen nach Neumünster im vergangen halbe Jahr in organisierterer Form als Nazi-Aktivist in Erscheinung getreten. Seitdem gehört er jedoch zum festen Kern einer braunen Reisegruppe um „Bollstein Kiel“-Organisator und Relikt der 1990er Mario Hermann und beteiligte sich mit dieser z.B. auch an den NPD-Aufmärschen am 16.4. in Bad Oldesloe und am 1.5. in Schwerin.

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In der Nacht zum 26.5. wurde zudem die rechte Kneipe „Titanic“ in Neumünster von militanten Antifas angegriffen. Dabei wurde die Glasfassade zerstört und „damit keine Freude über die frische Frühlingsluft aufkommt, […] noch etwas gelbe Farbe und ein paar Ekelhaftigkeiten (Buttermilch) durch die kaputte Scheibe geschleudert.“ Dies war bereits der zweite nächtliche Angriff auf die „Titanic“ in diesem Jahr. Ihr Betreiber Horst Micheel ist seit Jahren in lokale Neonazi-Aktivitäten verstrickt. Er stellt regelmäßig die technische Ausrüstung der „Neumünster wehrt sich“-Kundgebungen zur Verfügung, zählt selbst zu ihren TeilnehmerInnen und schafft mit seinem Kneipenbetrieb den mittlerweile wichtigsten Treffpunkt für den dort zusammenkommenden braunen Sumpf der Schwalestadt. Eine u.a. vom NPD-Ratsabgeordneten Mark Proch beworbene spontane Solidaritätskundgebung für den „Titanic“-Wirt scheiterte abermals an internen Streitigkeiten der rechten Szene sowie der Angst vor antifaschistischen Gegenaktionen. Außer Proch und dem zwischenzeitlichen „Neumünster wehrt sich“-Anmelder Sven Späthmann erschienen am Samstag geradeeinmal eine handvoll Neonazis in der Kneipe. Die Kundgebung wurde abgesagt.

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Auch der Neonazi-Einzelkämpfer Enrico Pridöhl, der am kommenden Samstag mal wieder zu einer einsamen „Demonstration“, diesmal in Bad Segeberg, mobilisiert, musste im Anschluss an die letzte „Neumünster wehrt sich“-Kundgebung auf seinem Nachhauseweg die Konsequenzen für sein Nazi-Aktivismus tragen. Am Neumünsteraner Bahnhof wurde er von Antifaschist_innen angegriffen, auch er bemitleidete sich anschließend im Internet für seine erlittenen Blessuren.

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Insgesamt sind die Verantwortlichen der derzeit einzigen zwischenzeitlich zumindest irgendwie relevanten rassistischen Mobilisierung in Schleswig-Holstein in der zweiten Hälfte des Mais also erheblich unter Druck geraten. Wir freuen uns über jede weitere Aktion, die auch zukünftig – ob gemeinsam auf der Straße oder überraschend in der Nacht – an diese fleißige Vorarbeit anknüpft, um der jetzt schon vorläufig gescheiterten rechten Mobilmachung im Land endgültig den Garaus zu machen.

Enrico Pridöhl kündigt einsamen „Aufmarsch“ in Bad Segeberg an

Unter dem Motto „Stolz Ehre Treue – Für das Vaterland“ mobilisiert der einsame Neonazi-Einzelkämpfer Enrico Pridöhl am 4.6.2016 um 13:00 Uhr zu einer Demo in Bad Segeberg. Startort ist eine Schule, angemeldet ist das Ganze bis 15:00 Uhr. Als Aufhänger dient dabei wahrscheinlich die geplante Unterbringung von Geflüchteten aus Hamburg in einer zentralen Erstaufnahmeeinrichtung nahe Bad Segeberg. Mittels rassistischer und nationalistischer Hetze versuchen Neonazis wie Pridöhl, an rassistische und nationalistische Stimmungen in der Bevölkerung anzuknüpfen. Ein Unterfangen, das bisher in Schleswig-Holstein nicht von Erfolg gekrönt war. Die Kundgebungen von „Neumünster wehrt sich“, bei denen Pridöhl einer der ursprünglichen Initiatoren gewesen und Stammgast geblieben ist, haben mit ständig sinkenden TeilnehmerInnenzahlen und mangelnder Motivation der Organisatoren zu kämpfen. Nicht zuletzt die Konfrontation mit kontinuierlichem antifaschistischen Widerstand hat dazu geführt, dass die Außenwirkung gleich Null geblieben ist. Pridöhl selbst soll bei deren letzten Termin am 21. Mai bei seiner Abreise am Bahnhof Ziel eines Angriffs geworden sein.

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Enrico Pridöhl beim Aufmarsch von „Neumünster wehrt sich“ am 21.5.2016

Aber dort kommen immerhin noch ein paar wenige Leute, was in der Vergangenheit bei den versuchten Kundgebungen und Aufmärschen von Enrico Pridöhl nicht der Fall gewesen ist. Ursprünglich aus Brandenburg stammend, versuchte er dort, mit Hetze gegen Pädosexuelle, inklusive Aufrufen zu Lnychmorden und der Todesstrafe, Demonstrationen und Kundgebungen, u.a. in Prenzlau durchzuführen. Diese waren allerdings mies besucht, meistens kamen nicht mehr als drei bis vier Leute. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Tatsache, dass sich Enrico Pridöhl mit seinen einstigen KameradInnen überworfen hat.

So verlegte er seinen Lebensmittelpunkt nach Ostholstein, nur um dort mit dem gleichen Thema am 31.10.2015 in Bad Malente eine Kundgebung durchzuführen, Anwesende: ganze fünf Neonazis. War Pridöhl anfangs Teil von „Neumünster wehrt sich“, gab es auch dort bald Streitereien, so dass er die Facebookgruppe „Schleswig-Holstein wehrt sich“ ins virtuelle Leben rief, betrieben nur von ihm selbst. Sein letzter eigener öffentlicher Auftritt war dann Anfang Januar 2016 eine „Demonstration“ in Boostedt, bei der er und elf weitere Nazis dank eines Polizeiwanderkessels bar jeder Außenwirkung und begleitet vom Protest von ca. 100 Antifaschist*innen durch den Ort eskortiert wurden. Im Vorfeld distanzierten sich die Organisatoren von „Neumünster wehrt sich“ öffentlich von der Veranstaltung, andere Neonazis machten sich über Pridöhl lustig und kündigten demonstrativ ihr Nicht-Erscheinen an. Ein deutliches Zeichen für die Zerwürfnisse und Streitereien, die seit Jahren in der schleswig-holsteinischen Naziszene eher die Regel denn die Ausnahme darstellen.

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Enrico Pridöhl nach dem Aufmarsch von „Neumünster wehrt sich“ am 21.5.2016


Jetzt kündigt Pridöhl also einen Aufmarschversuch in Bad Segeberg an. Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass sich viele Neonazis dorthin auf den Weg machen, so ist es es doch wichtig, sie aus der Deckung zu zerren, ihren Strategien öffentlich zu machen und klar zu benennen, worum es Pridöhl und seinen MitstreiterInnen geht: Um die Verbreitung rassistischer und nationalistischer Hetze gegen Geflüchtete und Nazi-Propaganda. Und so weit weg die Nazis in S-H gerade von der von ihnen herbei geträumten Volksbewegung sind und so lächerlich manche ihrer Aktionen und Protagonisten, wie eben Enrico Pridöhl, auch wirken mögen, so zeigen die rassistischen Übergriffe, Körperverletzungen und Brandanschläge in den letzten Monaten, dass es auch in Schleswig-Holstein einen Nährboden für das menschenverachtende Gedankengut der Nazis gibt. Bundesweit entlädt sich dieses Zusammenspiel seit Monaten auf viel drastischere Weise.

Insofern gilt es auch in Zukunft die Versuche von Neonazis und anderen Rechten, ihren Rassismus in die Öffentlichkeit zu tragen mit Aufmerksamkeit zu verfolgen und zu konfrontieren. Seien es nun Ankündigungen von Enrico Pridöhl oder wem auch immer.

Solange bis garkeiner mehr kommt: „Neumünster wehrt sich“ dünnt aus

Am 21. Mai 2015 stellten sich etwa 250 Antifaschist_innen der nunmehr vierten Kundgebung des Neonazi-Zusammenschluss „Neumünster wehrt sich“ entgegen. Im Anschluss an eine Demonstration des Bündnis gegen Rechts Neumünster vom Hauptbahnhof durch die Innenstadt zum mehrere Kilometer außerhalb am Stadtrand gelegenen Ruthenberger Markt, wo die rassistische Kundgebung hinter Polizeigittern stattfand, störten die Antifaschist_innen die rechte Veranstaltung mit lautstarken Beleidigungen, Parolen, Pfiffen, Böllern und Musik.


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„Neumünster wehrt sich“ erlitt einen weiteren Einbruch der TeilnehmerInnenzahl: Nur noch 27 Personen folgten dem Aufruf in die mittelholsteinische Einöde zu kommen um weitestgehend ungehört gegen Geflüchtete zu hetzen. Kurzfristig hatten die Verantwortlichen um Manfred Riemke, Sven Späthmann und Manuel Fiebinger die Auftaktzeit ihrer Kundgebung auf 13 Uhr vorverlegt, der Beginn verzögerte sich jedoch bis zur Ankunft der Gegendemo um 13.30 Uhr. Mangels motivierter RednerInnen wurde die Kundgebung dann bereits um 15 Uhr abgebrochen. Es war damit nicht nur der kleinste und abgelegenste, sondern auch der kürzeste Auftritt seit Beginn der „Neumünster wehrt sich“-Mobilisierungen im November 2015. Die Stimmung unter den verbliebenen Resten soll entsprechend angespannt gewesen sein.


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Die RassistInnen wurden anschließend unter Polizeischutz und streckenweiser Begleitung durch Antifaschist_innen zu ihren Fahrzeugen eskortiert. Im Anschluss sollen verschiedenen Berichten zu Folge zudem einzelne Neonazis Probleme bei ihrer Abreise gehabt haben. So berichtet etwa der Szene-Sonderling und „Neumünster wehrt sich“-Stammgast Enrico Pridöhl von einem Angriff auf seine Person am Neumünsteraner Bahnhof.

Es bleibt aufmerksam zu verfolgen, ob die Nazi-Bande von „Neumünster wehrt sich“ nun endlich überfällige Konsequenzen zieht und ihr Scheitern als rassistische Volksbewegung eingesteht oder ob sie der spärlichen Öffentlichkeit weitere Erbärmlichkeiten zumuten will. Dass sie stets mit Widerstand zu rechnen haben wird, hat die konstant gebliebene und motivierte antifaschistische Mobilisierung am Samstag verdeutlicht.


Fotos: Fabian Schumann

Presse: KN | SHZ

Wenn Neumünster sich wehrt… oder: 45 Neonazis allein auf einem Parkplatz

Bis zu 300 Antifaschist_innen waren am Samstag, 23.4. 2016 gegen eine weitere rassistische Kundgebung von „Neumünster wehrt sich“ in der mittelholsteinischen Stadt auf der Straße. Gerade einmal 45 Neonazis aus ganz Schleswig-Holstein und Hamburg führten eine zweistündige Kundgebung in der Einöde des polizeilich abgeriegelten Rudolf Weißmannplatzs am Rande der neumünsteraner Innenstadt durch. Bereits am Mittag waren zuvor etwa 150 Antifaschist_innen, die größtenteils mit Zügen aus anderen Städten angereist waren, lautstark vom Bahnhof zum Weißmannplatz demonstriert. An der parallel begonnenenen und über den Nachmittag aufrecht erhaltenen Kundgebung des Bündnis gegen Rechts in Seh- und Hörweite der Nazi-Kundgebung beteiligten sich durchgehend weitere 100 Menschen. Um den Platz herum versammelten sich Antifaschist_innen an allen weiteren Zugängen und Sichtfenstern.

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Antifaschist_innen beschimpften die Neonazis während deren Kundgebung von den weiträumigen Polizeiabsperrungen und einem anliegenden Parkhaus aus. Ein direktes Agieren gegen die Hetzkundgebung wurde durch tatkräftige Kollaboration der polizeilichen Einsatzleitung mit den Neonazis verunmöglicht. Bereits eineinhalb Stunden vor dem eigentlichen Kundgebungsbeginn war der Großteil der Neonazis zwar knapp, aber noch vor Eintreffen der antifaschistischen Gegendemonstrant_innen sicher auf den von Hamburger Gittern weiträumig umzäunten Parkplatz geleitet worden. Vorab getroffen hatt sich die knapp 30 Personen umfassende Gruppe zuvor am Stör-Park im Haart. Zur unbeschadeten Abreise stellte die Polizei gar einen ganzen Reisebus zur Verfügung, half fleißig beim Einräumen der Demotechnik aus der rechten Kneipe Titanic und karrte die Rassist_innen geschlossen aus dem umzingelten Terrain.

Der Preis der relativen Sicherheit war für die Neonazis jedoch abermals das Fehlen nahezu jeglicher Öffentlichkeit. Außer der wenigen direkten Anwohner_innen des Parkplatzes werden lediglich die Gegendemonstrant_innen von den über zwei Stunden ausgedehnten Hetzreden und grottigen Musikeinspielungen mitbekommen haben. Nachdem die Teilnehmer_innenzahl und Spektrenbreite von „Neumünster wehrt sich“ schon beim letzten realisierten Auftritt im Januar einen ersten Einbruch im Vergleich zu ihrer Premiere im November 2015 erlebt hatte und nur 80 statt über 100 RassistInnen ihrer Mobilisierung gefolgt waren, beteiligten sich nach der kurzfristigen Absage Ende Februar nun nur noch 45 Erkenntnisresistente an der rechten Parkplatzschau. Auffällig war, dass im Unterschied zum Januar das gesamte lokale wie landesweite Führungspersonal der NPD durch Abwesenheit glänzte, was auf andauernde interne Streitigkeiten und Intrigen unter den aktuellen und vormaligen „Neumünster wehrt sich“-Organisatoren zurückzuführen sein dürfte.

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Als einziger Überraschungsgast aus dem Parteienspektrum trat lediglich der Hamburger NPD-Greis Uwe Schäfer als Redner in Erscheinung, die Anmeldung übernahm nach Riemkes erlogenen „Sportunfall“, der zur Absage im Februar führte, nun erstmalig der Nazi-Neuling Sven Späthmann. Die restlichen Beteiligten setzten sich neben wenigen weiteren Zaungästen aus dem rechten Neumünsteraner Sumpf aus den üblichen angereisten Nazigrüppchen um Sebastian Struve aus Eutin, Hauke Haak und Mario Herrmann aus Kiel und Hamburger Kameradschaftsnazis zusammen. Von den ursprünglich einmal ersehnten rassistischen Bürger_innen fehlte jede Spur.

Nicht ohne Grund zeigten sich die Initiatoren im Nachklang enttäuscht über die geringe Beteiligung an der Nazi-Kundgebung. Auch wenn der Handlungsspielraum für Antifaschist_innen vor allem durch den enormen Aufwand der Polizei, die Rechten zu beschützen, an diesem Tag begrenzt blieb und es nicht möglich war, über die verbale Konfrontation hinaus zu gehen, ist der Beitrag der kontinuierlichen antifaschistischen Mobilisierungen gegen „Neumünster wehrt sich“ kaum zu unterschätzen. Dass der von den Neonazis angesprochene Kreis aufgrund der unattraktiven Rahmenbedingungen ihrer Veranstaltungen zusehens zusammenschrumpft und die Aufläufe nahezu keine öffentliche Wirkung entfalten können, ist vor allem der Verdienst von hunderten Antifaschist_innen, die durch ihre Anwesendheit jedes Mal dafür gesorgt haben, dass „Neumünster wehrt sich“ nur hinter Polizeigittern und in der randstädtischen Peripherie existenzfähig ist. Damit dies mindestens so bleibt, sich aber besser zügig vollständig erledigt, sind alle Antifaschist_innen auch in den kommenden Monaten dazu aufgerufen, den Druck auf die RassistInnen aufrecht zu erhalten und auch weiteren Aufmarschankündigungen von Riemke, Späthmann und Co. entschlossen zu begegnen. Politisch sollte dabei vor allem auch die unrühmliche Rolle der Polizei bei der Ermöglichung der wiederkehrenden rassistischen Zusammenrottungen in der Schwalestadt im Fokus der antifaschistischen Gegenmobilisierungen stehen.

Fotos

Presse: SHZ | KN | NDR-Reportage

Gewalt, Intrigen, antifaschistischer Widerstand – Schleswig-Holstein vor dem nächsten Gehversuch von „Neumünster wehrt sich“

Am morgigen Samstag, 23. April 2016 will die Neonazi-Struktur „Neumünster wehrt sich“ um Manfred Riemke abermals versuchen, in der Schwalestadt aufzumarschieren. So kündigen die Rassisten seit Anfang dieser Woche eine Kundgebung ab 14 Uhr auf dem Rudolf Weißmannplatz („AOK-Parkplatz“) am Rande der Neumünsteraner Innenstadt an. Antifaschist_innen mobilisieren derweil zu einer Gegenkundgebung ab 13 Uhr in unmittelbarer Nähe an der Rudolf Weißmannstraße Ecke Ringstraße. Auch aus anderen Städten werden sich wieder zahlreichen Demonstrant_innen den Aktionen gegen die Neonazis anschließen. So sind gemeinsame Bahn-Anreisen von Antifaschist_innen aus Kiel (11.40 Uhr HBF), Hamburg (11 Uhr HBF) und Bad Oldesloe (11 Uhr Inihaus) aus drei Himmelsrichtungen angekündigt.

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Die Bilanz der rechten Mobilmachung in Schleswig-Holstein in den vergangenen Monaten, deren Zentrum die nunmehr vier Ankündigungen von Hetzaufmärschen gegen Geflüchtete in Neumünster bilden, fällt für die Rassist_innen denkbar schlecht aus: Einmal nur 50m gelaufen zu sein, einmal abgeschirmt in der letzten Ecke eines einsamen Kantplatzes herumzudümpeln und einmal gar nicht erst erschienen zu sein, hält die Neonazis offenbar nicht davon ab, es wieder wissen zu wollen. Die Erfolgsaussichten sind bescheiden: Die bisherigen Organisator_innen gelten als zerstritten und überziehen sich zum Teil gegenseitig mit Anzeigen. Eine vor wenigen Tagen von Antifaschist_innen aufgedeckte Schmierenkomödie der bei „Neumünster wehrt sich“ aktiv involvierten Neonazis Nico Seifert und Sebastian Struve, die im Jahr 2012 als „Nationalsozialistische Störungsgruppe“ gegen die schleswig-holsteinische NPD intrigierten, wird kaum zur Besserung der Stimmung in dem rassistischen Zweckbündnis beitragen. Denn spätestens seit der zweiten Kundgebung im Januar sind dort auch führende NPDler wie Marc Proch organisatorisch maßgeblich beteiligt gewesen.

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Auch der kläglich gescheiterte Versuch, am vergangenen Samstag in Bad Oldesloe aufzulaufen, lässt das ambitionierte neonazistische Begehren, eine mächtige völkisch-nationalistische Bürgerbewegung zu sein, ziemlich armselig aussehen. Der Aufmarsch von gerademal knapp 80 Neonazis aus mehreren Bundesländern pointierte das drastische Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit: 1500 Antifaschist_innen sorgten mit Blockaden sowie militanten Aktionen im Vorfeld und am Tag selbst dafür, dass die Nazidemo nicht einmal bis zur nächsten Straßenecke laufen konnte.

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Wie gefährlich der rechte Sumpf trotz fehlender Erfolge auf der Straße nichtsdestotrotz auch mit seinen paar Dutzend Elend sein kann, zeigen jedoch verschiedene gewaltätige Nazi-Angriffe in Schleswig-Holstein binnen nur einer Woche: Bekannt geworden sind ein Überfall einer Reisegruppe der Neonazis auf Antifaschist_innen im Anschluss der Demonstration in Oldesloe am Lübecker Bahnhof, ein nächtliche Angriff auf den linken Buchladen Zapata in Kiel am Abend zuvor, bei dem ein rechter Hintergrund mehr als nahe liegt, oder der widerliche rassistische Angriff auf den Blauen Engel und sein Projekt Café Welcome sowie die Schändung des jüdischen Friedhofes am vergangenen Wochenende ebenfalls in Lübeck.
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Desweiteren tauchten vor gut einer Woche bei einer Informationsveranstaltung zu der geplanten Geflüchtetenunterkunft in der Hindenburgkaserne in Neumünster, die auch Aufhänger der morgigen Hetzkundgebung ist, mehrere Neonazis um den NPD-Ratsabgeordneten Mark Proch auf. Bei der Veranstaltung wurde Proch wiederholt eine Plattform für seine rassistischen Beiträge geboten und traf dabei durchaus auf fruchtbaren Boden bei Teilen des anwesenden Publikums. Teilnehmende Antifaschist_innen hingegen wurden sowohl von Proch selbst als auch anderen Anwesenden angefeindet und teilweise bedroht, bezeichnenderweise wurde in diesem Zuge ein Antifaschist von der Polizei wegen angeblicher Störung der Veranstaltung verwiesen.

Trotz all des zur Schau gestellten Dilettantismus kann „Neumünster wehrt sich“ als erster ernstzunehmender Versuch der Neonazis in Schleswig-Holstein seit 2012 gewertet werden, „die Straße“ zu erobern: Es bleibt zweifelsohne überschaubar, nichtsdestotrotz ist in der rechten Restszene wieder etwas in Bewegung geraten. Gründe genug also, um auch dieses Mal wieder dafür zu sorgen, dass die Motivationslage bei den RassistInnen auch weiterhin keine Schübe bekommt und durch kontinuierlichen entschlossenen Widerstand zu verhindern, dass neo-faschistische Kräfte auch in Schleswig-Holstein von der rassistischen Stimmungsmache und dem allgemeinen Rechtsruck in Deutschland profitieren können. Die Ausgangslage darf aus antifaschistischer Perspektive insgesamt optimistisch stimmen.

Solidarität mit dem Buchladen Zapata – unterstützt, spendet, seid wachsam, organisiert Euch!

In der Freitagnacht vom 15. auf den 16. April 2016 wurde gegen 3.30 Uhr der Buchladen Zapata am Wilhelmplatz in Kiel von mutmaßlich drei Personen angegriffen und eine Schaufensterscheibe zerstört. Während seiner mehr als 30jährigen Existenz wurde der linke Buchladen immer wieder Ziel solcher Attacken, die in der Vergangenheit nachweislich von Neonazis verübt wurden, zuletzt in den Jahren 2008, 2009 und 2010. Ein rechter Hintergrund liegt somit auch in diesem Fall nahe, zumal der Angriff offensichtlich gezielt erfolgte und zudem zeitlich in der Nacht vor einem Neonaziaufmarsch in Bad Oldesloe geschah, der von rechten Protagonisten aus ganz Schleswig-Holstein initiert wurde.
Im Vorfeld dieses Aufmarsches sowie am Tag selbst verhinderten eine breite antifaschistische Gegenmobilisierung und erfolgreiche Aktionen gegen seine Organisatoren abermals, dass neo-faschistische Kräfte auch in Schleswig-Holstein von der rassistischen Stimmungsmache und dem allgemeinen Rechtsruck in Deutschland profitieren können. Auch andere Versuche im Land wieder stärker Fuß zu fassen, wie z.B. verschiedene Aufmarschversuche in Neumünster, scheiterten im zurückliegenden halben Jahr allesamt am kontinuierlichen antifaschistischen Widerstand. Es ist somit nicht auszuschließen, dass der Buchladen Zapata, der in der Neonaziszene immer wieder als ein symbolischer Ort der antifaschistischen Bewegung in Schleswig-Holstein interpretiert worden ist, auch stellvertretend für dieses Engangement gegen rechte Reorganisierungsversuche in den letzten Monaten angegriffen wurde.
Auch in Lübeck kam es in der letzten Woche zu mindestens drei Neonazi-Angriffen. So wurden am Samstag Antifaschist_innen am Lübecker Bahnhof auf ihrer Rückreise von den Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch in Bad Oldesloe brutal attackiert, in der Nacht von Sonntag auf Montag wurde der Blaue Engel, der das antirassistische Projekt Café Welcome beherrbergt, Ziel eines widerlichen Anschlags, eine Nacht zuvor wurde der jüdische Friedhof geschändet. Auch in diesen Fällen gilt den Betroffenen unsere ausdrückliche Solidarität!
Wir rufen alle Kieler_innen dazu auf, deutlich zu machen, dass die Betreiber_innen des Buchladen Zapata viele, viele Freund_innen in dieser Stadt und darüber hinaus haben und ein solcher Angriff wie schon in vergangenen Jahren ins Leere laufen wird. Zeigt Eure konkrete Solidarität: Besucht den Laden, kauft Bücher, spendet und helft bei der finanziellen Tilgung des materiellen Schadens, seid wachsam gegenüber Nazi-Umtrieben auch im Umfeld anderer Projekte, organisiert den antifaschistischen Selbstschutz und lasst sie nicht durchkommen.
Spendenkonto für von Nazi-Gewalt betroffene Projekte:
Verein zur Förderung der politischen Bildung in Gaarden e.V.

DE53 2109 0007 0051 4487 00

GENODEF1KIL

Kieler Volksbank eG
Stichwort: Antifa-Solidarität (wichtig!)
Niemand steht allein – gemeinsam stark gegen rechte Angriffe!

Autonome Antifa-Koordination Kiel, 22.4.2016

„Neumünster wehrt sich” – da wächst (nicht) zusammen, was (nicht) zusammen gehört

Folgend dokumentieren wir einen Artikel von La Quimera: antifascist watch group S-H:

„Am 23. April will die neonazistische Organisation “Neumünster wehrt sich” wieder durch die Stadt an der Schwale marschieren. Die bisherigen Auftritte waren die ersten ernsthaften Versuche seit dem 1. Mai 2012 Aufmärsche in Schleswig-Holstein durchzuführen. Dementsprechend werden die Aktivitäten auch von anderen rechten Akteur_innen genau beobachtet, um das eigene Potential “auf der Straße” ebenso abschätzen zu können, wie jenes der politischen Gegner_innen. Diese Heterogenität spiegelt sich auch in der Organisationsstruktur wider. Wie wir schon berichteten , übernehmen dort Neonazis verschiedener politischer Herkunft Verantwortung, was, wie dargestellt , auch schon den einen oder anderen Konflikt mit sich brachte. Nicht zuletzt deshalb dürfte der letzte geplante Auftritt am 28. Februar abgesagt worden sein. Dass die offizielle Begründung schlicht gelogen war, ist leicht daran ersichtlich, dass als Grund abwechselnd “organisatorische und technische Gründe”, eine “Erkrankung” oder eine “Sportverletzung am Knie” von Manfred Riemke genannt wurden. Zeichnet es schon ein desolates Bild, dass sich die Neonazis nicht einmal auf eine Ausrede einigen konnten, setzte Riemke dem erbärmlichen Schauspiel noch die Krone auf, als er am Tag der geplanten Kundgebung bei bester Gesundheit in Neumünster unterwegs war. Doch wie wir in diesem Artikel darstellen wollen, ist dies längst nicht das einzige Konfliktpotential. An der Organisation beteiligte Strukturen, haben sich in der Vergangenheit zum Teil massiv hintergangen und angeschwärzt. Diese Vorgänge wurden nie öffentlich thematisiert und selbst ein großer Teil der direkt betroffenen Neonazis kennt die genauen Zusammenhänge nicht. Das werden wir heute ändern.


Jörn Lemke (m.) und Nico Seifert (r.)

Wir schreiben das Jahr 2012. Der NPD-Landesverband muss mal wieder einen Landtagswahlkampf stemmen, in der Hoffnung, mit ausreichend Stimmen, zumindest an die staatliche Parteienfinanzierung zu gelangen. Doch eigentlich ist die Partei zu einem flächendeckenden Wahlkampf nicht in der Lage. Auf diese Ausgangslage sind wir schon in der Vergangenheit eingegangen . In dieser fragilen Situation meldet sich kurz vor der Wahl eine bis dahin unbekannte “Nationalsozialistische Störungsgruppe Holstein” (NSH) zu Wort. Der gleichnamige Blog versteht sich als Enthüllungsplattform über die NPD in Schleswig-Holstein. In einem langen Pamphlet wird u.a. dem Landesgeschäftsführer Wolfgang Schimmel “Rassenschande”, also ein Kind mit einer “nicht-deutschen” Frau, vorgeworfen, der Autismus des damaligen Landesvorsitzenden Jens Lütke öffentlich gemacht, werden die Landesvorstandsmitglieder Jörn Lemke und Roland Siegfried Fischer als V-Leute des Verfassungsschutz “enttarnt” und allerlei Interna, wie Treffpunkte der rechten Szene, ausgeplaudert. Für Beobachter_innen der Szene decken sich viele Informationen mit anderen Quellen, so dass dort sehr gut informierte Kreise am Werk gewesen sein müssen. Sogar die “Enttarnung” der beiden V-Leute, für deren Arbeit für den Inlandsgeheimdienst es nach wie vor keinen Beleg gibt, erscheint heute in einem anderen Licht. Denn Anfang Dezember 2012 trat Roland Fischer von allen Ämtern zurück und aus der Partei aus. Inzwischen ist durch das NPD-Verbotsverfahren bekannt, dass genau zu diesem Zeitpunkt, nach Angaben der Innenminister_innen, die letzten Quellen in den Führungsgremien der Partei abgeschaltet worden seien.

Doch wer steckte hinter dem Blog und dem Aufruf zum Boykott der NPD? Schnell wurden damals Spekulationen laut. Für möglich gehalten wurde eine “false flag”-Aktion gut informierter antifaschistischer Gruppen. Doch glaubhaft ist dies nicht. Bekanntermaßen entspricht es nicht dem politischen Stil von Antifaschist_innen, offensiv Neonazi-Propaganda zu verbreiten. Innerhalb der rechten Szene wurde schnell mit Namen jongliert, welche Kandidat_innen in den eigenen Reihen in Frage kämen. Insbesondere Dennis Brandt, der zu diesem Zeitpunkt erst kürzlich eine umfassende Aussage bei der Polizei gemacht hatte , und Kevin Stein, schon in handfeste Auseinandersetzungen in der Szene verwickelt , schienen in Frage zu kommen.


Sebastian Alexander Struve

Doch all diese Rechnungen wurden ohne zwei altbekannte Querulanten mit denkbar schlechtem Verhältnis zur NPD gemacht: Sebastian Alexander Struve (ehemalige Führungsfigur “Aktionsgruppe Eutin”) und Nico Seifert (ehemalige Führungsfigur “Aktionsgruppe Neumünster”). 2012 standen beide vor dem politischen Nichts. Ihre jeweiligen Gruppierungen waren zerfallen und den “Rückweg” zur NPD haben sich beide verbaut. Die Gründe im Fall von Sebastian Struve haben wir schon in unserem letzten Artikel zu diesem Thema dargelegt , weshalb wir hier vorwiegend die Vorgänge um Nico Seifert darstellen werden. Seifert war eine zentrale Figur der rechten Szene in Neumünster. Insbesondere mit seinem Freund Daniel Zöllner (“Aktionsgruppe Kiel”) stand er für einen sehr aktionistischen Neonazismus im Stil der “Autonomen Nationalisten”. Doch nachdem die “Aktionsgruppen” um das Jahr 2010 ihren Zenit überschritten hatten, nahm das Konfliktpotential um Seifert in Neumünster zu. Es hieß, Seifert schulde dem, damals ebenfalls im Niedergang begriffenen, “Club 88” Geld. Dieses Geld versuchten die im “Club” zunehmend dominanten “Bandidos” und ihre Unterstützer einzutreiben. Beteiligt war u.a. der heute bei “Neumünster wehrt sich” eingebundene Manuel Fiebinger. Dass die Schulden im Falle Seiferts besonders gern und nachdrücklich zurück gefordert wurden, mag auch daran liegen, dass er, über Daniel Zöllner, Kontakte zu den Erzfeinden der “Bandidos”, den “Hells Angels”, hat. Auch der Weg zur NPD war versperrt. Hier rächte sich, dass Seifert in der ganzen Szene damit geprahlt hat, den damaligen Landesvorsitzenden Jens Lütke verprügelt zu haben. Als die Lage zunehmend brenzlig wurde, verließ Seifert Neumünster in Richtung Witzwort (Nordfriesland).


Laut Struve Kundgebung mit Unterstützung vom Verfassungsschutz: Mike Östreich, Daniel Nordhorn und Roland Fischer (v.l.n.r.)

Nun befanden sich Struve und Seifert in einer ähnlichen Lage: Beide vereint ein Führungsanspruch innerhalb ihrer Szene, aber beiden fehlte in Schleswig-Holstein jeglicher Rückhalt, um diesen auch durchzusetzen. Als Konsequenz diskutierten die beiden neue Strukturen jenseits von Rockern und NPD aufzubauen. Seifert kontaktierte 2012 “Die Rechte” und 2013 den “III. Weg”, um Möglichkeiten einer Expansion nach Schleswig-Holstein zu diskutieren. Selbstredend mit sich selbst als “Führer” der neuen Bewegung. Diese Pläne scheiterten jedoch an der mangelnden Basis und der organisatorischen Unfähigkeit Seiferts. Struve, ganz der “Autonome Nationalist”, schwebte mehr eine kompromisslos nationalsozialistische Kameradschaft, fern jeder Partei, vor. Auch diesen Plänen war Seifert nicht abgeneigt, ging es ihm ja primär sowieso nur um eine Führungsrolle jenseits der Kreise, die ihn gerade verfolgten. In der Verfolgung dieses Ziels waren theoretische Grundkonzepte verhandelbares Beiwerk. Auf der Suche nach einem Ausweg intensivierten beide bundesweite Kontakte. Struve stand im Austausch mit Dortmunder “Autonomen Nationalisten” (die ihm auch bei seiner später beschriebenen Intrige halfen), Seifert nach Gütersloh zu Julian Fritsch (Nazi-Rapper “Makss Damage”). Dieser war zu diesem Zeitpunkt mit Belinda B. (ehemals “Aktionsgruppe Kiel”, inzwischen lebt B. in Gütersloh) in einer Beziehung. Zusammen mit Janina H. (ehemals “Aktionsgruppe Kiel”) waren Seifert und B. in dieser Zeit, auf Einladung von Fritsch, mehrfach in der westdeutschen Kameradschaftsszene unterwegs, u.a. bei Axel Reitz in Köln.


Belinda B. (r.) als Ordnerin bei einem Auftritt der “Aktionsgruppe Kiel” am 8. Mai 2010 vor dem Kieler Hauptbahnhof

Sogar die Finanzierung ihrer neuen Bemühungen haben Struve und Seifert intensiv diskutiert. Während sich Struve vorwiegend um Vernetzung innerhalb der Rechten bemühte, versuchte Seifert Finanzquellen zu finden. Zunächst beteiligte er sich am Versand “Support Wear” des Kieler Neonazis Matthias Kussin (früher Matthias Lehnecke). Als das Vorhaben im Streit endete, versuchte Seifert vergeblich eigene Versände verschiedener Ausrichtung ins Leben zu rufen. Die Pläne scheiterten samt und sonders an einfachsten organisatorischen Schritten, zu denen Seifert nicht in der Lage war. Doch ganz Geschäftsmann hatte Seifert natürlich mehrere Eisen im Feuer. Als weiteres Standbein schwebte ihm eine Karriere als Pornostar vor. Da sich aber absolut keine Darsteller_innen fanden, die bereit waren mit Seifert einen Porno zu drehen, erörterten Struve und Seifert die Chancen im Geschäft der Zuhälterei, auch bekannt als Menschenhandel. Naheliegenderweise hatten die beiden Neonazis keine inhaltlichen Skrupel, sexuelle Ausbeutung als weiteren Stein in ihr Mosaik der Menschenfeindlichkeit zu setzen. Allerdings schienen ihnen die Rocker in diesem Bereich zu dominant, Seifert hatte ja gerade erst schlechte Erfahrungen mit den “Bandidos” gemacht.
Doch all diese Bemühungen hatten nicht den gewünschten Effekt. Irgendwie müssten die bisherigen Strukturen in Schleswig-Holstein destabilisiert werden, damit die Szene auf die beiden selbsternannten Nachwuchs-“Führer” angewiesen wäre. Gleichzeitig müsste leidige Konkurrenz um den zukünftigen Thron schon einmal vorbeugend auf Distanz gehalten werden. So ersann Struve zusammen mit Seifert einen Plan: Auf einem nicht auf ihn zurückführbaren Blog bringt er Interna und Intrigen der NPD an das Licht der Öffentlichkeit. Bei den, hoffentlich folgenden, internen Spannungen im NPD-Landesverband könnten er und Seifert einspringen und sich von der NPD abkehrende Neonazis für ihre Zwecke einsammeln. Die “Nationalsozialistische Störungsgruppe Holstein” war geboren. Gleichzeitig bekam Struve Wind davon, dass Ray Vogel (inzwischen Führungsfigur “Identitas Gemeinschaft” ) in Eutin und Umgebung eine neue Gruppierung gründen wolle. Diese sollte, in Anlehnung an die “Spreelichter” aus Vogels Heimat Brandenburg, “Nordlichter” heißen. Diese Gruppierung könnte allerdings Struves genialen Plan zunichte machen und die versprengten “Kameraden” nach dem Zusammenbruch der NPD an sich binden. Also kontaktierte er Marcel Forstmeier (Führungsfigur “Spreelichter”), um “Nordlichter” gewissermaßen die Franchise-Genehmigung entziehen zu lassen. Ironischerweise existiert inzwischen auf Facebook ein Profil der “Nordlichter”, das Beobachter_innen Struves Umfeld zurechnen.
Der Ausgang der Intrige um die NSH war ebenso ernüchternd wie vorhersehbar: Das ganze Unterfangen entpuppte sich als große Luftnummer und beide Protagonisten verschwanden für Jahre von der Bildfläche. Zurück bleibt aus antifaschistischer Perspektive einzig der Blick in menschliche Abgründe, in der gescheiterte Existenzen sich gegenseitig in ihrer Menschenfeindlichkeit überbieten, um eines Tages vielleicht einmal der große “Führer” zu werden.

Spannend, aber nicht überraschend ist, dass Struve sich aktuell stark innerhalb von “Neumünster wehrt sich” engagiert. Da stehen also Menschen aus der NPD, die Struve mittels einer Intrige abschaffen wollte, Seite an Seite mit ihm und organisieren Kundgebungen. Denn der Umgang mit dem Verrat ist genauso verlogen, wie der Verrat selbst. Nachdem Struve abgetaucht war und selbst treue Weggefährten wie Tobias J. (inzwischen “Identitas Gemeinschaft”) nicht mehr zu ihm stehen, biedert er sich jetzt wieder bei der verfeindeten NPD an. Profitieren tut er wohl davon, dass die genauen Zusammenhänge der Intrige fast allen Beteiligten unklar sind. Zwar herrscht innerhalb des NPD-Landesverbands ein Unbehagen gegenüber Struve, was sich auch darin ausdrückt, dass vom Führungspersonal einzig Mark Proch maßgeblich an “Neumünster wehrt sich” beteiligt ist, aber für eine konkrete Distanzierung von ihrem ehemaligen Kandidaten Struve fehlten die handfesten Belege. Beobachter_innen dürfen gespannt sein, wie es weiter geht. Fest steht allerdings, dass es im Umfeld vom Struve nie ohne Machtkämpfe zugehen wird. Insbesondere da seine neue “rechte Hand” Malte Magnussen auf diesem Gebiet auch kein unbeschriebenes Blatt ist. So steht für “Neumünster wehrt sich” in den nächsten Monaten viel auf dem Spiel. Das dürfte auch Neonazis aufhorchen lassen, die sich bisher nicht an den Neumünsteraner Kundgebungen beteiligten, denn in der Schwale-Stadt steht stellvertretend die Kampagnenfähigkeit der ganzen radikalen Rechten Schleswig-Holsteins zur Disposition. Ein Scheitern der Aufmärsche würde das Ansehen der neonazistischen Strukturen im nördlichsten Bundesland nochmals beschädigen und somit das Mobilisierungspotential zukünftiger Aktionen schwächen. Dumm nur, dass die Führungskader in Neumünster Dilettanten und Intriganten das Feld überlassen haben.“

“Neumünster wehrt sich” – da wächst (nicht) zusammen, was (nicht) zusammen gehört

AFD-Kreisvorstand am Arbeitsplatz geoutet

Wir dokumentieren einen Artikel von Indymedia Linksunten:

„Outing am Arbeitsplatz: Gert Hoffmeister, AfD-Kreisvorstand Kiel

Die AfD steht für offenen Rassismus. Sie entwürdigt und entmenschlicht Flüchtende, die in Deutschland Schutz suchen. Parteisprecherin Frauke Petry und AfD-Vizin Beatrix von Storch forderten im Frühjahr 2016 sogar den Waffeneinsatz gegen Geflüchtete an den EU-Außengrenzen. Die AfD benutzt Schlagwörter wie »Überfremdung«, »Asylmissbrauch«, »Parallelgesellschaft« oder »Asylchaos«, um bei der Bevölkerung Ängste zu erzeugen, sie würden ihre erarbeiteten Existenzen verlieren oder das deutsche Sozialsystem würde »geplündert« und infolgedessen zusammenbrechen.

Über diese rassistischen Aspekte hinaus steht die AfD als Partei der „Besserverdienenden“ für die radikale Abschaffung von Sozialleistungen und will das staatliche Eingreifen in die Wirtschaft immer stärker beschneiden. Arbeitszwang für Erwerbslose ist ebenso ein Vorschlag zur Verstärkung einer Zwei-Klassengesellschaft, wie die gezielte Elitenförderung von Kindern aus reichen Familien. Auf die Spitze treibt die AfD es mit der Forderung der Abschaffung des Mindestlohns und der Senkung des Spitzensteuersatzes. Im Ernstfall heißt es dann: Wie du überlebst, wenn du dem Arbeitsmarkt zum Opfer fällst, bleibt deine Sache.

Das traditionelle Familienbild mit der Familie als „Keimzelle der Nation“ steht in der Familienpolitik bei der AfD im Mittelpunkt. Bedroht sieht sie dieses durch arbeitende Mütter, Zuwanderung und »Frühsexualisierung«, »Gender Mainstreaming« und gleichgeschlechtliche Ehe, weshalb z.B. das Thema Homosexualität komplett aus dem Schulunterricht verbannt werden soll. Die AfD fordert eine Volksabstimmung zum Verbot von Abtreibungen und spricht damit Frauen jedes Recht auf Selbstbestimmung ab.

Dass sich die AfD mit dem Rechtsruck 2015 stark für alle rechtsradikalen Kräfte geöffnet hat, ist wohl am besten am Beispiel PEGIDA zu sehen. Reihe um Reihe laufen dort und auf ähnlichen Demos klassische Stiefelnazis, Autonome Nationalisten und Parteimitglieder der NPD und AfD. Mit den reaktionären Schlagworten versucht die AfD auf Stimmenfang zu gehen – und hat damit leider auch teilweise ziemlich großen Erfolg. Im Hinblick auf die kommenden Landtagswahl nächstes Jahr in Schleswig-Holstein haben wir uns den Landesparteiverband der AfD ein bisschen genauer angesehen, damit es nicht soweit kommt wie in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Fangen wir anlässlich des Landesparteitages der AfD Schleswig-Holstein, der am vergangenen Samstag, den 16.4.2016 in Henstedt-Ulzburg statt fand, beim Kreisverband der Landeshauptstadt Kiel an.

Gert Hoffmeister ist seit dem 15. September 2015 Beisitzer des Kreisvorstandes. Vorher trat er für die Partei nicht öffentlich auf und hält sich auch bis jetzt sehr bedeckt.

Nach fast 6 Jahren als Student beendete Hoffmeister das Studium des Mechanical Engineering mit dem Schwerpunkt „Marine Technology“ als Diplomingenieur im Juli 1992 an der TU Hamburg-Harburg. Er fand daraufhin für drei Jahre Anstellung bei Blohm + Voss und war dann bis einschließlich September 1996 als Projektingenieur bei den Harzwasserwerken des Landes Niedersachsen im Dienst. Im Oktober des gleichen Jahres wechselte Hoffmeister dann zu seinem derzeitigen Arbeitgeber Caterpillar. Dort wechselten seine Tätigkeiten immer mal wieder innerhalb des Betriebes und ab April 2014 bis heute ist er am Caterpillar-Standort in Kiel-Friedrichsort, Falkensteiner Straße 2, „Nuclear Segment Manager“.

Dass der Arbeitgeber von Gert Hoffmeister über die rechten Umtriebe und das ätzendes Weltbild seines Mitarbeiters informiert wurde, sehen wir als notwendigen Schritt, um Rassist_innen wie Hoffmeister jeden Raum zu nehmen, in dem sie ihre menschenfeindlichen Ideen verbreiten können und schlimmstenfalls noch Anhänger_innen finden.

Nationalismus ist keine Alternative!