HH: Solispaziergang zum Prozess gegen Kieler Antifa vorm Amtsgericht St. Georg, HBF

Datum/Zeit
26.07.13
8:00


Freitag,26. Juli 2013:

ÖffentlicherProzess gegen einen Kieler Antifaschisten wegen der Gegenaktivitäten zum Naziaufmarsch in Hamburg 2.6.2012


9Uhr | Amtsgericht Hamburg – St. Georg | (Lübeckertordamm 4)

Solidemozum Gericht:

8Uhr | HBF (Hachmannplatz) Hamburg

GemeinsameZug-Anreise aus Kiel:

Treffen:6.30 Uhr (pünktlich!)

Abfahrt:6.51 Uhr

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Alleseine Frage der Perspektive!

Solidaritätmit unserem angeklagten Genossen!

>> Aufrufflugblatt als pdf

Am2. Juni 2012 wird in Hamburg Wandsbek ein Neonaziaufmarsch unter demMotto „Tag der deutschen Zukunft“ von viereinhalb tausend Bullentrotz eines vehementen Widerstandes von bis zu 10.000Antifaschist_innen durchgesetzt. Unter demselben Motto fanden bereitsNeonaziaufmärsche in Pinneberg, Hildesheim, Braunschweig / Peine unddieses Jahr in Wolfsburg statt. Blockaden der Aufmarschroute derNeonazis in Hamburg von mehreren tausend antifaschistischenAktivist_innen, zu welchen das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HbgR)sowie das autonome-antifaschistische Bündnis “Keine Zukunft fürNazis” (aaB) aufgerufen hatten wurden von der Polizei mit all ihrzur Verfügung stehenden Mitteln angegriffen um dem rechten Auflaufeinen angenehmen Verlauf ihrer geplanten Demonstration zuermöglichen. Über sechs hundert Antifaschist_innen wurden zu diesemZwecke von der Staatsgewalt über mehrerer Stunden in einemPolizeikessel ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, Wasser oderToiletten festgehalten. Im gesamten Tagesverlauf verletze dieeingesetzte Polizei zielgerichtet zahlreiche Demonstrant_innen. DasVersammlungsrechtfür Antifaschist_innen wurde am 2. Juni faktisch polizeilichunterbunden – hingegen der Neonaziaufmarsch mit aller Gewaltdurchgeprügelt.


Jetzt,gut ein Jahr nach den Ereignissen des 2. Juni 2012 erhält ein KielerAntifaschist, der sich ebenfalls an den antifaschistischen Aktionengegen den „Tag der deutschen Zukunft“ beteiligt hatte von derHamburger Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl. Er soll am frühenAbend des 2. Juni am Hamburger Hauptbahnhof einen Polizeibeamtenattackiert und leicht verletzt haben. Er wird den Stafbefehl nichtakzeptieren, nicht einfach zahlen, auch wenn es aus juristischerPerspektive womöglich der einfachste und kostengünstigste Weg wäre.Es wurde Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, am Freitag den26.07.13 um 9.00 Uhr findet die Hauptverhandlung am HamburgerAmtsgericht St. Georg statt.

Eine„unerträglicheGewaltorgie“(Deutsche Polizeigewerkschaft, 2.6.2012)


DerPolizeieinsatz in Hamburg-Wandsbek wurde bereits im Verlauf des Tagesund in seinem Nachklang von Antifaschist_innen scharf kritisiert.Schon während des Tages zeichnete sich ab, dass die politischVerantwortlichen aus Polizei und Innenbehörde zu keinem Zeitpunktden Willen hatten, den Naziaufmarsch trotz der massiven Protesteabzubrechen. Am 21. Juni 2012 beschäftigte sich ein Innenausschussder Hamburger Bürgerschaft mit dem polizeilichen Vorgehen. Warenunmittelbar nach dem 2. Juni einerseits zwar einige kritische Stimmenzu vernehmen, die eine Aufklärung der Geschehnisse forderten,dominierten auf der anderen Seite völlig unkritische, aber leidernicht wenig gelesene, gehörte und gesehene Darstellungen des Tagesdie Mainstream-Medien, die es in plumpster populistischer Manierverstanden, die Geschichte so umzuschreiben, dass am Ende eindurchsetzungsstarker Staat erfolgreich über die „Links“-und Rechtsfaschisten gesiegt hatte und Ruhe und Ordnung verteidigtwerden konnte. Kollateralschäden inbegriffen.

DieFrage wird nicht sein was geschehen ist, sondern wer die Macht hat,die Erinnerungen an das Geschehen zu bestimmen


Diekonkrete Auseinandersetzung auf der Straße, der Akt sich alsAntifaschist_in Neonazis entgegen zu stellen, die zu Hundert fürihre vernichtende Ideologie auf die Straße gehen wollen, und imVoraus möglichst viele Menschen zu erreichen und aufzufordern sichanzuschließen, ist ein essentieller Teil praktischer Antifa-Arbeit,er ist jedoch nicht der einzige. Um eine gemeinsame Perspektiveentwickeln zu können, müssen wir mit unseren Positionen auch einJahr nach einem gewalttätig durchgesetzten Neonaziaufmarschwahrnehmbar sein. Und zwar deutlicher, als z.B. die rechte Hetzeeiner DpolG (Deutsche Polizeigewerkschaft) oder einesVerfassungsschutzes, der eben zwar noch wegen seiner Kooperation mitder neonazistischen Mörderbande NSU in der öffentlichen Kritikstand, um mittlerweile längst wieder völlig unhinterfragt übersämtliche Kanäle öffentlicher Meinungsmache u.a. mittelsVerfassungsschutzberichten gegen linke Bestrebungen zu hetzen. Zieldieser „anti-extremistischen“ Propaganda inantikommunistischer Tradition ist es, die Grundlage für die ständigeVerschärfung repressiver Herrschaftssicherung zu schaffen.


Wennwir unseren Genossen nun bei seiner Entscheidung unterstützen, denStrafbefehl nicht unwidersprochen zu akzeptieren, geht es uns um dieDeutungshoheit im Konkreten wie im Allgemeinen. Es geht darum, nachEreignissen wie dem Polizeieinsatz am 2. Juni 2012 in Hamburgpopulistische Auswürfe wie die von z.B. der DpolG Hamburg, die nacham selben Tag in einer Pressemitteilung „fürdrastische Strafen durch die Justiz“ plädiertund „keinenKuschelkurs mit Antifaschisten“einfordert, nachdem sie vorher von einem „vonrandalierenden Antifaschisten verwüstetem“,gar „inSchutt und Asche gelegtem Standteil Wandsbek“halluziniert und dem „besonnenen[!] Einschreiten der Polizei“ dankt,“dass nicht mehr passiert ist“, nichtunwidersprochen im Raum stehen zu lassen.

Konkretgeht es auch darum, es nicht einfach zu akzeptieren, wenn am Ende(oder im Verlauf) eines solchen Tages, Antifaschist_innen von derPolizei geprügelt und dafür auch noch brutal festgenommen werden.Denn natürlich geht es hierbei nicht in erster Linie um dieVereitelung oder Ahndung vermeintlicher Straftaten, was in diesemFall ohnehin synonym für allgemein wünschenswertes praktischesVorgehen gegen Neonazis verwendet werden darf. Es geht bei solchenPolizeiübergriffen – neben den immer bestehenden Abschreckungs- undEinschüchterungseffekten zur Bewahrung von Ruhe und Ordnung – darum,entsprechende Zahlen von renitenten Aktivist_innen vorweisen zukönnen, die dann in einem Innenausschuss zur Rechtfertigung von über450 verletzten Demonstrant_innen und der Außerkraftsetzung desDemonstrationsrechtes und der Bewegungsfreiheitpräsentiertwerden können. Es ist eine kausale Absurdität, wenn der Tenor derMainstream-Medien in der Berichterstattung ob 19 verletzterPolizeibeamter über „gewaltbereite Chaoten“ herzieht,während über 450 durch den Polizeieinsatz, teils schwer verletzteAntifaschist_innen, keinen Anlass zur Empörung zu sein scheinen.

Oderdeutlicher: wenn nach dem Ende eines Neonaziaufmarsches einAntifaschist vorm Hamburger Hauptbahnhof von Bundespolizistenniedergeschlagen, verletzt und festgenommen wird, wofür die einzigeoffizielle Begründung der angebliche Versuch ist, einAufeinandertreffen mit in der U-Bahn sitzenden Neonazis verhindern zuwollen und dieser jetzt einen Strafbefehl wegen Widerstand undvermeintlicher Körperverletzung an einem der vier Beamten, die aufihm gesessen und ihm die Nase blutig geschlagen haben, erhält, dannzielt dieses Manöver darauf ab, die Deutungshoheit über dieGeschehnisse am 2. Juni 2012 im Sinne des Staatsapparatesdurchzusetzen.


ImKontext der sich steigender Beliebtheit erfreuenden Darstellung derPolizei als Opfer zunehmender Gewalttaten, können die Statistikenmittels einfacher Strafbefehle entsprechend herbeigeführt werden.Denn ein akzeptierter Strafbefehl ist eine Verurteilung, gleichwertigder im Gerichtssaal und ein bezahlter Strafbefehl kommt einemSchuldeingeständnis gleich. Viel zu häufig werden Strafbefehle, dieins Haus geflattert kommen einfach unwidersprochen hingenommen undzähneknirschend bezahlt. Es scheint oft das kleinere Übel, da imFalle des Widerspruchs ja eine Hauptverhandlung droht, die zumeistals weitaus unangenehmer wahrgenommen wird. Mag es für den_dieEinzeln_e ganz persönlich, vielleicht juristisch, wohl eher nichtpolitisch, eine verfechtbare Entscheidung sein, so sind dieKonsequenzen für eine politische Bewegung fatal.

Allaround us…


Wasbleibt denen, die am 2. Juni 2012 nicht auf Hamburgs Straßenunterwegs waren und von den Umständen nur aus dem Radio, der Zeitungoder dem Fernsehen erfahren haben im Gedächtnis? Kurzfristig mitGlück auch kritische Stimmen, aber im weitaus stärkeren Maßewerden sie bombardiert mit öffentlichen Darstellungen, die nichtzwischen historisch mörderischer rechter Ideologie undemanzipatorischen Linken Bestrebungen zu unterscheiden wissen,Neonazis und Antifaschist_innen in einen Topf werfen und die armenPolizisten bedauern, die sich immer mehr Missbilligung,Nichtakzeptanz und Gewalt ausgesetzt fühlen. Steigende Zahlen vonGewalttaten gegen Polizeibeamte, deren Grundlage abgeurteilte“Straftäter_innen“ sind, dienen Verschärfungen derGesetzeslage und rechtfertigen Einsätze wie Beschriebenen.


Dasist in der gegenwärtigen Situation, in der – nun auch im globalenNorden – die soziale Lage großer Teile der Gesellschaft mitfortschreitender Weltwirtschaftskrise stetig verunsichert undverschlechtert wird, für die Aufrechterhaltung des bestehendenSystems auch notwendig. Denn wenn Menschen in der Logik und Realitätdes Kapitalismus massenhaft zu billigem Humankapital oder gar zuÜberflüssigen werden, bürgt dies zumindest potenziell Sprengstofffür die soziale Ordnung. Auch wenn das, was an verschiedenen Ortender Welt, wo sich Reibungspunkte zuspitzen und Zigtausendeveranlassen, zusammen zu kommen um zu für die Verbesserung ihrerLebensbedingungen einzutreten, in der BRD bisher wie gehabt nicht imgrößeren Maßstab absehbar ist: Mit der Krise steigt für diekapitalistisch verfasste Gesellschaft ganz grundsätzlich auch dieGefahr ihrer Störung, deshalb bedarf es ebenfalls und gerade in derBRD einer starken Polizei, die sich heute schon an der gewaltsamenDurchsetzung von Naziaufmärschen auch gegen den Widerstand Tausendererproben kann, ohne dass dies zu einem größeren Aufschrei führt.Denn nicht nur ihre Weltmeisterschaft im Gürtel-enger-schnallen undim Waffenexport lässt die BRD derzeit als Krisengewinner dar stehen,auch diejenige in der Perfektion ihres auch präventiv in allesozialen Bereiche wirkenden Repressionsapparates trägt ihren Teildazu bei. Aber so etwas wie Widerspruch ist hierzulande ja ohnehineine Rarität, weshalb seine permanente Ausweitung auch reibungslosvonstatten zu gehen weiß.


DieEntscheidung unseres Genossen, den Strafbefehl nicht zu akzeptierenund stattdessen den Prozess zu führen ist eine Entscheidung sich zuwidersetzen, renitent, ungemütlich und vor allem nicht einverstandenzu sein. Die Entscheidung, den Strafbefehl nicht zu akzeptierenbedeutet in erster Linie, den entsprechenden Instanzen, also derGerichtsbarkeit, etwas mehr Mühe zu abzuverlangen, wenn sieAntifaschist_innen wegen was auch immer aburteilen möchten, sie zunötigen, nicht nur einen Standartbrief ausfüllen und ausdrucken zumüssen, sondern sich in einer Hauptverhandlung als politische Justizzu positionieren. Gleichwohl ist diesem Entschluss übergeordnet derWille, den Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse am 2. Juni2012 in Hamburg zu führen.

Wirrufen dazu auf, am Freitag, 26.07.2013 in das Amtsgericht St. Georgzu kommen, um den angeklagten Antifaschisten dabei solidarisch zuunterstützen!

 

Autonome Antifa-Koordination Kiel | Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Kiel