Redebeitrag von marlenehatesgermany zum Tag der Befreiung, Antifa-Kundgebung Kiel 8.5.2010

Heute, am 8. Mai, erinnern wir dem Ende des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Mit dem militärischen Sieg gelang es den alliierten Armeen die deutsche Barbarei zu beendigen. Bei kaum einem anderen Datum, wie bei diesem, wird so viel um die geschichtspolitische Bedeutung gerungen. Dabei bewegt sich der Diskurs in erster Linie zwischen dem Begriff der „Befreiung“ und dem der „Niederlage“.

 

Mindestens seit der Rede des Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist der Begriff der „Befreiung“ ein weit in das bürgerliche Lager geläufiges Diktum, welches im Allgemeinen zwei Bedeutungsebenen erschließt: Zum einen wird damit keinesfalls der 8. Mai als „Tag der deutschen Niederlage“ bzw. als „nationaler Trauertag“ abgelöst, sondern die militärische Niederlage Nazideutschlands wird mit der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten und dem Beginn der kommunistischen Diktatur(en) in Osteuropa gleichgesetzt. Zum anderen wird eine allgemeine Kollektivschuld der Deutschen abgewehrt, indem man zwischen den eigentlichen Täter_innen des Nationalsozialismus – den Nazis und ihrer Helfer_innen – auf der einen Seite und den vermeintlich unschuldigen Deutschen auf der anderen unterscheidet. Diese Deutung des 8. Mai passt in eine Geschichtsideologie, die nur zu gerne Täter_innen-Opfer-Konstellationen einebnet und die Geschichte zu einem allgemeinen Standortvorteil macht.

 

Nicht erst seit Jörg Friedrichs „Der Brand“ und den ZDF-Historienschnulzen „Dresden“ und „Die Gustloff“ ist die Debatte um deutsche Opfer im Zweiten Weltkrieg beinahe allgegenwärtig. Seit den 1950er Jahren findet das statt, was Ralph Giordano „die Verwandlung der Opfer deutscher Aggression in Schuldner der Geschichte und der Angehörigen der Täternation in ihre Gläubiger“ nennt. Nicht die Verbrechen während des deutschen Vernichtungskriegs und der Shoah stehen im Mittelpunkt der bundesrepublikanischen Nachkriegsdiskurse, sondern die Aufzählung eigener Verluste, die oft in einer Art Multiplikationswettkampf verdoppelt oder verdreifacht wurden. Erst mit dem Generationenwechsel fand auch der historische Rahmen eine Erwähnung. Dabei ist jedoch immer das gleiche Muster einer Geschichtsklitterung zu beobachten: Die Kausalzusammenhänge werden ausgeklammert. Die Bombardierung deutscher Städte und der Notwendigkeit einer deutschen Niederlage werden nicht im Hintergrund der Organisation der Deutschen in einer bedingungslos-treuen Volksgemeinschaft und dem unbedingten Vernichtungswillen der selbigen gegenüber den europäischen Jüdinnen und Juden gesehen. Die deutsche Geschichte von 1933-1945 wird so zu einer Abfolge von Geschichten bzw. „Geschichtchen“, in denen die JH-Flakhelferin zur Zeitzeugin verharmlost wird und bei Guido Knopp eine Filmsequenz vor der Shoah-Überlebenden ihre „Erlebnisse“ berichten darf. Die Gewalt wird so ahistorisch und kontextunabhängig. Es wird suggeriert, dass es keinen Unterschied zwischen deutschen Opfern und den Opfern der Deutschen geben würde. Damit einhergehend wird die Shoah und der Zweite Weltkrieg nicht etwa zu einem Spezifikum deutscher Geschichte erklärt, sondern es findet eine Veräußerung eigener Schuld statt, eine Europäisierung der Verbrechen

 

Geschichtsbilder haben immer etwas konstitutives, nicht erst in ihrer kulturindustriellen Verarbeitung entfalten sie ihre legitimierende Wirkung für das Gegenwärtige. Die Erwähnung nazistischer Verbrechen in öffentlichen Gedenkfeiern muss so immer als Pendant für die scheinbare „geläuterte, bessere Nation“ nach 1945 herhalten und so die vermeintlich moralische Überlegenheit der postnazistischen Gesellschaft sichern. Daraus ergibt sich, dass der 8.Mai schon längst zu einem „Nationalfeiertag“ der Deutschen verkommen ist. In der Forderung einer Begehung desselben als „Tag der Befreiung“ geht die Linke folglich gegen Positionen vor, die es in dieser Form nicht mehr gibt. Sie geht sogar von dem vollkommenen Irrsinn aus, dass es in Deutschland überhaupt etwas zu Feiern gäbe, außer das endgültige Aus für diese Nation. Ein solches fand jedoch am 8.Mai 1945 nicht statt, sondern war zusammen mit der alliierten Reeducation der Ausgangspunkt für alle neuen Weltmachtbestrebungen. So wurde aus der „Niederlage“ eine „Befreiung“ für die Angehörigen der Täter_innennation.

 

Jedoch ist der 8. Mai auch ein Tag der Befreiung! Und zwar für die Insassen der Konzentrationslager und Gefängnisse, für die Widerständigen in ganz Europa, für die unter der deutschen Okkupation Leidenden und nicht zuletzt für die Kämpfer_innen der alliierten Armeen und die Partisan_innen. Eine deutsche Befreiung gab es an diesem Tag nicht. Deutschland wurde militärisch zerschlagen – und das ist auch gut so. Doch führt uns diese Ambivalenz dazu, statt für ein Feiern des 8. Mais als „Tag der Befreiung“ einzutreten Adornos kategorischen Imperativ, alles Denken und Handel so einzurichten, dass sich Auschwitz nicht wiederhole, ernstzunehmen. Dies bedeutet, die deutsche Geschichte als Denkmal zu nehmen für Barbarei und den Zivilisationsbruch Auschwitz. Sich von dieser Geschichte zu „befreien“ wäre ein erster Schritt zurück in diese Geschichte.

Für den Kommunismus!

marlenehatesgermany, 8.Mai 2010

Redebeitrag zum Tag der Befreiung, Antifa-Kundgebung in Kiel am 8.5.2010

Liebe Kieler und Kielerinnen,
liebe Antifaschisten und Antifaschistinnen!
Wir haben uns hier heute in der Kieler Innenstadt versammelt, um an eines der zentralsten Ereignisse der Zeitgeschichte zu erinnern: Denn vor genau 65 Jahren, am 8. Mai 1945 kapitulierte das nationalsozialistische Deutsche Reich bedingungslos vor den Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Deutschland war endlich von den Truppen der Anti-Hitler-Koalition eingenommen, nachdem dem deutschen Vernichtungskrieg in ganz Europa und dem industriellen Massenmord in den Konzentrationslagern der Nazis Abermillionen Menschen zum Opfer gefallen waren. Die Herrschaft des Nationalsozialismus war am 8. Mai 1945 nach 12 Jahren des Terrors gegen Juden und Jüdinnen, die Bevölkerung Osteuropas, politische GegnerInnen, insbesondere KommunistInnen und SozialdemokratInnen, Sinti und Roma, Homosexuelle, sogenannte „Asoziale“ und alle anderen, die nicht dem nationalsozialistischen Weltbild entsprachen oder sich widersetzten, zerschlagen. Der 8. Mai 1945 war für alle Menschen, die noch von der Mord- und Unterdrückungsmaschinerie Nazideutschlands bedroht waren und für alle, die in Gegnerschaft zu ihr standen, ein Tag der Befreiung. Wie viele Menschen weltweit sagen auch wir heute, am 65. Jahrestag der Befreiung: Spasibo – Thank you – Merci – Danke und verneigen uns respektvoll vor den KämpferInnen der Anti-Hitler-Streitkräfte, den antifaschistischen PartisanInnen, den Aufständischen im Warschauer Ghetto, dem Häftlingswiderstand in den Konzentrationslagern, den UntergrundaktivistInnen der antifaschistischen Minderheit in Nazideutschland und allen anderen, die mit vereinten Kräften die deutsche Kapitulation herbeigeführt haben. Doch war diese mindeste Geste, die wir für Selbstverständlich halten, der bloße Dank gegenüber den Befreiern oder gar das Ziehen der naheliegenden politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen aus dem deutschen Massenmord infolge des 8. Mai 1945 eine Selbstverständlichkeit im Nachkriegs-Deutschland? Mitnichten! Und erst recht nicht in Schleswig-Holstein. Ein Blick in die Geschichte der postfaschistischen BRD und insbesondere ihres nördlichsten Bundeslandes verdeutlicht dies.

 

Schleswig-Holstein wurde Anfang Mai als eine der letzten verbliebenen Bastionen Nazideutschlands von britischen Truppen befreit. Lübeck erreichten diese am 2. Mai, der kriegswichtige Marinestandort Kiel folgte zwei Tage später kampflos. Mit der Kapitulation am 8. Mai war der NS-Mustergau Schleswig Holstein, wo die NSDAP schon überdurchschnittlich früh überdurchschnittlich hohe Wahlergebnisse erreichte, nahezu unter alliierter Kontrolle – mit Ausnahme Flensburg-Mürwiks, wo sich die nationalsozialistische Regierung Dönitzs noch zwei Wochen verschanzt hielt.
Mit ihr, darunter auch der Hauptorganisator der Shoa Heinrich Himmler, kamen in den letzten Kriegswochen zahlreiche Nazigrößen und Karrieristen in den Norden. Sie ließen sich, teils unter neuer Identität, nieder oder versuchten, von hier aus ihre Flucht zu organisieren. Ebenso siedelten gegen und nach Ende des Krieges über eine Million Flüchtlinge aus den ehemals zu Deutschland gehörenden und heutigen polnischen und russischen Gebieten in Osteuropa nach Schleswig-Holstein über. Teils um den Vergeltungsmaßnahmen der Roten Armee zu entgehen, teils weil es die infolge des Krieges veränderten Grenzverläufe erforderten.
Mit dem 8. Mai war zwar auch in Schleswig-Holstein die politische Herrschaft der NSDAP und ihres Staates vorüber, dennoch sollte sich die brisante Mischung aus hier sesshaft gewordenen Eliten Nazideutschlands, zum Revanchismus und Geschichtsrevisionismus neigenden Umgesiedelten und der Bevölkerung der langjährigen Nazihochburg auch nach 1945 nachhaltig auf die politische Kultur zwischen Nord- und Ostsee auswirken. Dass diese alles andere als durch eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der uneingeschränkten deutschen Schuld an Massenmord und Krieg geprägt sein sollte, zeigte sich an vielerlei Beispielen: Nicht nur im Landtagswahlergebnis 1950, bei dem der NS-relativierende „Block der Heimatvertiebenen und Entrechteten“23,4% der Stimmen erlangte – dieser ging übrigens später in der CDU auf! – oder in der Tatsache, dass die sodann gebildete Landesregierung fast ausschließlich aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern bestand; sondern auch darin, dass Massenmörder wie der Leiter des NS-Euthanasieprogramms Werner Heyde gedeckelt von der schleswig-holsteinischen Elite unter dem Phantasienamen Sawade weiter Karriere als Arzt machen konnten, während die Opfer des Naziterrors vielfach vergeblich um ihre Entschädigungsansprüche kämpfen mussten. Dass alte Nazifunktionäre auch in der postfaschistischen BRD wieder in den Spitzenpositionen saßen, war keine schleswig-holsteinische Besonderheit. Wie offen und unwidersprochen dies geschah, dagegen schon. Unter solchen Voraussetzungen verwundert es wenig, dass eine Auseinandersetzung mit der eigenen Nazivergangenheit auf der offiziellen Ebene, insbesondere im konservativen Lager, bis in die 1980er nicht stattfand. Bis dahin übte man sich in entsprechenden Kreisen darin, die Schuld der Deutschen zu relativieren und maximal auf eine kleine verbrecherische Naziclique zu reduzieren und das vermeintliche Leid so bezeichneter „deutscher Opfer“ zu betrauern. Als Lehre aus dem NS wurde vielerorts ausgerechnet die unbedingte Verfassungstreue und – ganz im Sinne der Demagogie des Kalten Krieges und seiner Totalitarismustheorie – das Weiterkultivieren des nationalsozialistischen Antikommunismus in Form der ideologischen und damit undifferenzierten Hetze gegen die realsozialistischen Staaten des Ostblocks und alles Linke verstanden. Die Absurdität dieser Schlussfolgerung verdeutlichte sich in der Tatsache, dass ehemalige antifaschistische Verfolgte, vor allem KommunistInnen, nur wenige Jahre nach Ende der Naziherrschaft insbesondere im Zuge des KPD-Verbots 1956 wieder von massiver staatlicher Repression betroffen waren; nicht selten durchgeführt von den zahlreichen im Amt gebliebenen ehemaligen Nazirichtern. Der 8. Mai 1945 wurde dagegen in weiten Teilen des politischen Mainstreams, gerade auch in Schleswig-Holstein, noch lange als „Niederlage“ oder „Katastrophe“ bewertet. In diesem Sinne bekämpfte die etablierte Politik noch Anfang der 1980er offen antifaschistische Geschichtsinitiativen, die endlich mit der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein begannen. Hört man sich die gegenwärtigen Verlautbarungen von offizieller Seite an, fällt auf, dass sich das Vokabular des herrschenden Diskurses zum 8. Mai ohne Zweifel gewandelt hat. Spätestens mit der Rückkehr Deutschlands auf die Bühne internationaler Großmächte nach der Wiedervereinigung setze sich diese Tendenz durch. Auch an der schleswig-holsteinischen Provinz ist dies nicht vorbei gegangen. Die Kriegsschuld der Deutschen, die Singularität der Shoa und die Verwicklung überwiegender Teile der deutschen Bevölkerung in die NS-Mordmaschine sind im Gegensatz zu konservativen Verlautbarungen aus den 1980ern zumindest als Worthülsen weitestgehend im politischen Mainstream anerkannt. Paradoxerweise erfüllen sie damit aber zugleich den Zweck, sich nicht den logischen Konsequenzen aus diesen unumstritten richtigen Erkenntnissen zu stellen. Man gibt sich im wiedererstarkten Deutschland 2010 als selbsternannte „geläuterte Nation“, die aus ihrer Vergangenheit gelernt habe und gerade deshalb eine besondere Verantwortung in der Welt trage: Der rot-grüne Angriffskrieg der Bundeswehr auf Jugoslawien, mit dem 1999 erstmals seit 1945 deutsche Machtinteressen auf dem Balkan durchgebombt wurden, wie auch die darauf folgenden deutschen Kriegseinsätze, wurden mit der Begründung nicht trotz, sondern wegen Auschwitz, propagandistisch möglich. Und nicht zuletzt sieht sich die möchtegern-geläuterte Bundesrepublik gerade deshalb in der Berechtigung, nun endlich einen Schlussstrich unter seine Nazigeschichte ziehen zu können, wieder Stolz auf den schwarz-rot-gelben Wimpel sein zu dürfen und der angeblich „vergessenen deutschen Opfer“ zu gedenken. Und ganz in diesem Sinne wird erinnerungspolitisch der Fokus dieser Tage vor allem auf die Abrechnung mit der so bezeichneten „zweiten deutschen Diktatur“, womit dann die realsozialistische DDR gemeint sein soll, gelenkt. Dass gerade aktuell verstärkt auch wieder der altbekannte deutsche Antikommunismus in Form der Ideologie des „Antiextremismus“ aufgefrischt zurück auf die Tagesordnung des herrschenden Diskurses geschmissen wird, macht den Akt des Verdrängens der mörderischen deutschen Geschichte durch die Hintertür perfekt. Wir als Antifaschist/-innen sehen keinen Anlass und keine Berechtigung dafür, uns auch nur ansatzweise in den Chor der möchtegern-geläuterten Schlussstrichzieher einzureihen. Die Vernichtung des Faschismus und seiner Wurzeln bleibt unser Ziel! Aus unserem Bezug auf den 8. Mai 1945 leiten wir zentrale Verpflichtungen für das hier und jetzt ab. Die unumstrittene Pflichtübung ist selbstverständlich der unversöhnliche Kampf gegen den offenen Neonazismus. Insofern erinnern wir uns gerne an das vergangene Jahr zurück, als 200 AntifaschistInnen am 8. Mai 2009 genau hier erfolgreich einen geschichtsverdrehenden Propagandastand von einem Häuflein Neonazis erfolgreich zum vorzeitigen Abbruch zwangen.
Eine viel aufwändigere Verpflichtung antifaschistischer Kämpfe allerdings resultiert aus dem Umstand, dass am 8. Mai 1945 zwar die Herrschaftsstrukturen des NS-Staates beseitigt wurden, ein umfassendes gesamtgesellschaftliches Problembewusstsein für die Grundlagen des Nationalsozialismus, eine breite Auseinandersetzung mit ihnen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen, dagegen bis heute ausgeblieben sind.
Auf lokaler Ebene schlägt sich dieses Versäumnis – das sein am Rande erwähnt – nicht zuletzt auch in der unerträglichen Berichterstattung der allseits bekannten Kieler Nachtrichten über besagte Aktion nieder, die – wir zitieren den unglaublichen Originalwortlaut – von einem „Infostand der Rechten“, „auf dem etliche Informationsblätter lagen“ weil „vor 64 Jahren […] am 8. Mai der Zweite Weltkrieg [endete]“, auf den „Mitglieder des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus versuchten, mit Lautsprecherdurchsagen […] aufmerksam zu machen“ (!) (KN-online, 8.5.09)“ schwafelte. Für uns ist unbestreitbar: Es war eben höchstens am Rande die magische „Verführungskraft“ einer mystischen „teuflischen Machtclique“, die den NS möglich machte, sondern in allererster Linie der völkische Antisemitismus, der Rassismus, der chauvinistische Nationalismus, der Hang zum Autoritarismus und Militarismus, der Untertanengeist und der Hass auf gesellschaftliche Befreiung und Gleichheit, die allesamt seit Konstruktion der Nation im 19. Jahrhundert fest in der Identität der Deutschen verankert sind. All diese ideologischen Grundlagen ermöglichten, dass eine deutsche Mehrheitsbevölkerung den Nationalsozialismus trug und seine Beseitigung militärisch von außen durchgesetzt werden musste. Diese Elemente wachsen auch heute noch unvermeidbar in der Mitte der bürgerlich-kapitalistischen BRD-Gesellschaft: Unumgänglich basiert diese wie gehabt auf Unterdrückung und Ausbeutung, die Schuld an diesem unbewusst selbstverschuldeten Elend schreibt sie jedoch, anstatt den irrationalen Verhältnissen, laufend vermeintlich außerhalb der Gesellschaft stehenden Feindbildkonstruktionen zu; seien diese nun „faule Arbeitslose“, „linke ExtremistInnen“ „terroristische Muslime“, „unkontrollierte afrikanische Flüchtlingsströme“ oder „das raffende Kapital von der us-amerikanischen Ostküste“.
Die in kürzester Zeit entwickelbare potentielle Vernichtungskraft bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften gegen diese immer wieder herbeihalluzinierten Feindbilder ist und bleibt, gerade in Zeiten kapitalistischer Krisen wie der gegenwärtigen, eine reelle Bedrohung für die Menschlichkeit. Den 8. Mai zu feiern heißt für uns: Das Gedenken an den millionenfachen Massenmord Nazideutschlands wach halten, den Kampf gegen alle neofaschistischen Strukturen im Hier und Jetzt unnachgiebig fort führen und mit Nachdruck an der emanzipatorischen Überwindung bürgerlich-kapitalistischer Verhältnisse und ihres Vernichtungspotentials arbeiten! Nicht nur am 8. Mai: Feiern – Gedenken – Antifaschistisch kämpfen! Für die Fortführung der Befreiung der Menschheit vom Faschismus mitsamt seiner Wurzeln!

Redebeitrag des Vorbereitungskreis 13.3. auf der antifaschistischen Meierei-Demo am 13.3.10 in Kiel

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten – liebe Kielerinnen und Kieler! Wir haben uns hier zusammengefunden, um heute gemeinsam unter der Motto „YOU’LL NEVER WALK ALONE! Solidarität mit der Alten Meierei und allen Betroffenen faschistischer Gewalt! Nazistrukturen in Kiel und andernorts zerschlagen – linke Gegenkultur stärken!“ zu demonstrieren. Der Anlass, der uns auf die Straße treibt, sind zwei scharfe Schüsse, die in der Nacht zum 20. Januar dieses Jahres auf ein beleuchtetes Fenster des linken Wohn- und Kulturprojektes Alte Meierei abgefeuert wurden. Nur dem Glück ist es zu verdanken, dass die Person die sich zeitgleich im Raum aufhielt, nicht zu Schaden gekommen ist. Wir gehen davon aus, dass die TäterInnen der Naziszene entstammen: Nicht zuletzt deshalb, weil die Alte Meierei als Symbol antifaschistischer und linker Praxis in Kiel seit ihrer Existenz immer wieder Angriffen durch ihre GegnerInnen ausgesetzt war, die sich gegen das emanzipatorische Selbstverständnis der Meierei richteten. Nicht nur denen durch Auflagen und Verbote seitens städtischer Behörden und der Lokalpolitik, sondern eben auch gezielten, direkten Angriffen durch FaschistInnen. Ihre Geschichte reicht bis in die frühen 1990er zurück und von Gewaltmobs vorm Haus, über Attacken gegen Meierei-BesucherInnen auf dem Nachhauseweg bis hin zu einem missglückten Brandanschlag. Die Schüsse diesen Januar sehen wir in dieser Reihe und damit als weitere Stufe der Eskalation von Angriffen auf die Alte Meierei. Der Hintergrund der Schüsse auf die Meierei ist aber noch weitergehender. So sind diese nicht urplötzlich gefallen, sondern geschehen in einer Reihe von faschistischen Angriffen auch auf andere linke oder alternative Projekte und Menschen in Kiel, die in dieser Häufung seit mittlerweile zwei Jahren andauern. Das jüngste Beispiel solcher nächtlichen Naziangriffe in Kiel sind die vor wenigen Wochen wiederholt eingeschlagenen Scheiben beim Buchladen Zapata.

Wir sind heute auf der Straße, um den Betroffenen faschistischer Gewalt unsere Solidarität auszudrücken und einmal mehr deutlich zu machen, dass das Ziel der Nazis, damit antifaschistische, linke oder sonstige ihrem Weltbild widerstrebenden Strukturen zu schwächen, vergebens und alles andere als erreicht worden ist. Im Gegenteil: Wir sind heute auch hier, um anzukündigen, dass die antifaschistische Bewegung in Kiel auch in Zukunft allen AntisemitInnen, RassistInnen und NationalistInnen ihr Leben erschweren wird und dass ihre öffentlichen Auftritte und Propaganda wie in den vergangenen Jahren auch, von uns weiterhin nicht geduldet werden.

Und wir lassen uns natürlich auch von Schüssen nicht einschüchtern, sondern werden jetzt erst recht eine lebhafte, vielfältige, widerständige linke Gegenkultur leben, in der Meierei und wo immer es uns passt.

Unsere heutige Demo richtet sich aber nicht nur gegen die FaschistInnen, sondern hat gleichfalls das weitergehende Ziel, diejenigen Teile der städtischen Öffentlichkeit anzugreifen, die den Nazis ihr Handeln erleichtern. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die lokale Monopolpresse der Kieler Nachrichten. Ihre, in guter deutscher Obrigkeitsgläubigkeit insbesondere an der Linie der Kieler Polizei orientierte Berichterstattung, verschweigt nicht nur eine Vielzahl der Naziaktivitäten in dieser Stadt, sondern verharmlost oder entpolitisiert diese in unerträglicher Weise. Nicht fehlen darf bei dieser Strategie, Naziaktivitäten und das glücklicherweise damit verbundene Konfliktpotential unter den Tisch zu kehren, deren elendige Gleichsetzung mit antifaschistischer Gegenwehr und linker Politik als sogenannten Extremismus. Dies ist freilich keine lokale Besonderheit, sondern politischer Mainstream im Sinne der für einen ernsthaften Erkenntnisgewinn völlig unbrauchbaren Extremismustheorie, die gerade aktuell weiter auf dem ideologischen Vormarsch ist. Diese „antiextremistische“ Logik, die hinter der mehrheitlichen KN-Berichterstattung des Totschweigens, Verharmlosens und Denunzierens steht, will politische Zusammenhänge von Auseinandersetzungen zwischen AntifaschistInnen und Nazis nicht erkennen und hat keinen Begriff von deren Notwendigkeit. Sie offenbart ihre fatalen Folgen dann, wenn auf die Alte Meierei scharf geschossen wird, aber die Stadt von keinem Aufschrei der Solidarität erfasst wird, die über vergleichsweise kleine Kreise hinaus geht.

Auch aus diesem Grund gehen wir heute einmal mehr auf die Straße: Wenn mächtige Teile der städtischen Öffentlichkeit in ihrer „antiextremistischen“ Verblendung keine Notwendigkeit darin sehen, die Bedrohung durch bewaffnete Nazis und ihre Angriffe zu thematisieren, müssen wir alle, für die dies eine politische Selbstverständlichkeit ist, auf die weiterhin aktuelle Notwendigkeit des antifaschistischen Kampfes beharren.
Wenn auf die Alte Meierei geschossen wird, werden wir die Kultur für die sie steht stärken, werden linke Zentren und von der Norm abweichende Lebensformen vor Angriffen, von wem auch immer sie kommen, schützen und ihre Infrastruktur nutzen und ausbauen. Wir werden weiter eine offensive antifaschistische Gegenkultur leben – in der Alten Meierei und überall sonst. Wir werden uns Nazis entgegenstellen und weiter ihre ideologischen Grundlagen angreifen. Wir lassen uns nicht von KN, Polizei und der Ideologie der handlungsunwilligen ExtremistInnen der Mitte denunzieren und werden linke Politik verteidigen. Wir werden an all dem, dem die Schüsse auf die Alte Meierei galten, festhalten und sehen uns genau deshalb in seiner Wichtigkeit bestärkt! Solidarität mit allen Betroffenen faschistischer Gewalt!

Nazistrukturen zerschlagen – Gegenkultur stärken!

Mit linken Zentren antifaschistisch in die Zukunft!

Lucha y fiesta ? que se vayan todos! Redebeitrag der Konzertgruppe rebelti@s musicales auf der antifaschistischen Meierei-Demo am 13.3.10 in Kiel

Hallo,
Wir sind nicht froh, dass wir immer wieder gegen faschistische Gewalt und
anti-antifaschistische Medien und Politik demonstrieren müssen. Trotzdem sind wir
aber auch sehr froh, dass wir heute so relativ locker demonstrieren können, dass wir
keine weiteren Verletzten oder sogar Toten zu beklagen haben.
Die Schüsse auf die Meierei zeigen uns einmal mehr: wir leben gefährlich, wenn wir
uns nicht dem freiheitlich-demokratisch verordneten Zwang unterwerfen, uns in den
Fernsehsessel zu setzen und ansonsten den Mund zu halten. Das Projekt Alte Meierei
ruft mit jedem Millimeter seines Daseins dazu auf, aufzustehen, den Mund aufzumachen
und sich selbst darum zu kümmern, dass schweigende Fernsehsessel irgendwann auf dem
Sperrmüllhaufen der Geschichte landen.
Aus diesem Grund war die Meierei schon immer Anziehungspunkt für dunkle Gestalten
wie Nazis, Ordnungshüter und Politiker, die allesamt bei Begriffen wie ‚Freiheit‘
und ‚Solidarität‘ oder einfach nur ’selber denken und selber machen‘, ganz schnell
rot anlaufen, Schaum vor dem Mund bilden und auf ihre jeweils eigene Art um sich
schlagen.

Die Meierei, wie auch der Zapata-Buchladen, die Hansastr.48, das Wohnprojekt am
Timmerberg, die Arbeitsloseninitiative, all diese Projekte eint, dass sie versuchen,
Alternativen zum gleichgeschalteten Fernsehsesseldasein aufzuzeigen, sie sind alle
Projekte gegen die herrschende Kultur von Vereinzelung und Oberflächlichkeit, gegen
die Ignoranz gegenüber allem, was nebenan passiert. All diese Projekte werden
angegriffen, weil sie öffentlich für ein solidarisches Miteinander und für ein
selbstbestimmtes Leben eintreten.

Die Neurotic Arseholes sangen einmal vor vielen Jahren: ?Wir wollen leben, ein
ganzes Leben lang – heute und jetzt und nicht irgendwann, damit der Tod uns auch
wirklich tot antreffen kann.? Nur, wie soll man leben, wenn überall um uns herum nur
Krieg und Gewalt, Rassismus, Sexismus und Unterdrückung aller Art toben, wenn immer
weniger Menschen auf der Welt die Chance haben, überhaupt nur daran zu denken, was
‚leben‘ eigentlich sein könnte? Wie soll mensch da noch leben können?

Wir versuchen es trotzdem! Wenn wir uns die Freude am Leben nicht verderben lassen,
sind wir auch in der Lage, zu spüren, was im Land und auf der Welt wirklich alles
faul ist. Wir als rebeltias, eine der Veranstaltungsgruppen in der Alten Meierei,
wollen mit unseren Aktivitäten dazu beitragen, dass wir alle das Leben und das
Feiern nicht verlernen, und gleichzeitig wollen wir ein Stückchen Raum für
Kommunikation und Austausch bieten.

Die Musik, Kultur und Geschichten, die Bands aus den verschiedenen Vierteln der Welt
zu uns bringen, zeigen uns, dass die Kämpfe um Freiheit, um eben dieses
selbstbestimmte Leben Alltag sind für viele viele Menschen rund um den Globus. Und
wir sehen auch, dass diese Kämpfe auf den verschiedenen Flecken der Welt so
unterschiedlich sind wie die Anzahl der Menschen, die sie führen. Ob Frankreich,
Kurdistan, oder Mexico, USA, Baskenland, oder Türkei, Katalonien, Palästina oder
Israel, Kopenhagen, Koblenz oder Kiel – es gibt keinen einen Weg zur Revolution,
aber es gibt einen gemeinsamen Weg, den wir mit vielen verschiedenen Menschen
zusammen gehen können.

Zusammen ist eine andere Welt möglich und bitter nötig. Zusammen können wir die
Verhältnisse zum Tanzen bringen, wenn wir die schweigende Mehrheit verlassen, unsere
Augen und Ohren öffnen, und laut sagen, was ist.

Lucha y fiesta ? que se vayan todos!

Feiern und kämpfen ? auf dass sie alle verschwinden!* *

Allerdings können wir mit den meisten Menschen diesen internationalen Austausch gar
nicht haben; viele Bands können wir in der Meierei nicht veranstalten. Und das
nicht nur, weil sie nicht die Mittel haben, hierher zu reisen. Es ist nach wie vor
so, dass vielen vielen Menschen auf der Erde das Recht verwehrt wird, sich frei zu
bewegen.

Die großen kapitalistischen Blöcke, allen voran die EU und die USA, sind schon lange
zu Festungen des Reichtums geworden, an deren Außengrenzen jedes Jahr Hunderte von
Menschen grausam zu Tode kommen. Menschen, die sich nichts weiter erhoffen, als ein
würdiges Leben zu finden. Um das hier noch einmal ganz deutlich zu sagen: Die
Abschottungspolitik der EU bedeutet Massenmord! Nirgendwo zeigt die EU ihre
rassistische menschenverachtende Fratze so deutlich wie an seinen Außengrenzen.

Dass auch innerhalb der EU Flüchtlinge nicht sicher vor Staatsterror und Rassismus
sind, beweist auf erneute und sehr tragische Weise der Suizid von David aus
Georgien, der nach Deutschland geflüchtet war und vom Hamburger Senat in den
Abschiebeknast gesteckt wurde, anstatt ihm in seiner schwierigen Situation zu
helfen. Die öffentlichen Diskussionen um das Alter von David belegen dabei auf
widerliche Weise die gesellschaftliche Akzeptanz dieser mörderischen und
menschenverachtenden deutschen Asylpolitik.

Wenn wir sagen, wir wollen leben, dann meinen wir damit alle Menschen! Alle Menschen
haben das Recht zu leben, wie, wann und wo sie wollen. Deshalb rufen wir heute und
bis ans Ende der Tage dazu auf: Alle Grenzzäune einreißen, shut down fortress
Europe! Shut down every fortress! Alle Festungen einreißen! Hoch die internationale
Solidarität!

Auch die Alte Meierei hat nach den Schüssen viel internationale Solidarität
erfahren. Zum Beispiel sorgten Bands wie KOP und Obrint Pas dafür, dass Infos über
die Schüsse und ein Aufruf zur Solidarität auf zahlreichen Websites im spanischen
Staat veröffentlicht wurden. Eine Mail der baskischen Band Sagarroi, die wunderbar
die Zärtlichkeit internationaler Solidarität zusammenfasst, wollen wir euch nicht
vorenthalten.
?Eine dicke solidarische Umarmung für die Alte Meierei aus dem Baskenland. Unsere
Unterstützung gilt allen Menschen, die für die Freiheit und den Antifaschismus
arbeiten, für alle Menschen, die organisieren, teilnehmen, denken, sprechen,
arbeiten, singen, tanzen, arbeiten, zeichnen, lachen, arbeiten, weinen….um eine
Gegenkultur zu schaffen, eine leuchtende und heisse linke Alternative, gegen
diejenigen, die die ewige Dunkelheit der kalten Nächte des Winters predigen.?

Rein metereologisch betrachtet gehen die kalten Nächte des Winters langsam dem Ende
entgegen, diejenigen jedoch, die die ewige Dunkelheit predigen, verschwinden leider
nicht in den Gullis der Geschichte ? so wie zumindest temporär die Hundescheiße auf
Gaardens Straßen mit dem tauenden Schnee… Dass gerade der Naziterror in Kiel in
der letzten Zeit Ausmaße angenommen hat, die immer wieder Menschen an den Rand des
Todes bringen, zeigt uns allen, dass man jeder Erscheinungsform des Faschismus
absolut nicht einen einzigen Millimeter Platz geben darf. Nicht erst wenn Menschen
sterben, ist dieser Punkt erreicht!
Wir begrüßen deshalb ausdrücklich alle antifaschistischen Aktionen, die in den
vergangenen Monaten Nazis aus der Anonymität geholt und den braunen Schlägern ihre
Grenzen aufgezeigt haben!
Wir begrüßen, dass heute soviele Menschen gegen diesen ganzen Scheiß auf der Straße
sind.
Wir begrüßen, dass Nazis auch mit ihrem ständigen Nacht- und Nebelterror in Kiel
keinen Fuß an Deck kriegen!
Und wir begrüßen, dass trotz der ganzen Heuchelei, Lügen und Schweigen von Kieler
Nachrichten, Politik und Polizei – dass trotzdem Kiel weiterhin eine
antifaschistische Hochburg bleiben wird!

Redebeitrag der Kieler Gruppe marlene hates germany auf der antifaschistischen Meierei-Demo am 13.3.10 in Kiel

Links gleich Rechts und Außen gegen Mitte. Nationalsozialismus gleich Antifaschismus.

Nicht erst seit den ideologischen Debatten, im Zuge der schwarz-gelben Regierungsbildung, um Förderungsprogramme gegen „Rechtsextremismus“ und Gewalt geistert der so genannte Extremismus-Begriff durch die deutsche Diskussionslandschaft.

Schon längst hat sich die „Extremismus-Forschung“ als eigenständiger, interdisziplinärer Bereich der Sozialwissenschaften etabliert, die eine vulgarisierte, post-kommunistische Form der Totalitarismus-Theorien des Kalten Krieges darstellt und auf Grund ihrer intellektuellen Einfachheit gerne von der deutschen Politik rezipiert wird. Während die Totalitarismus-Theorie sich mit bestehenden diktatorischen Regimen auseinandersetzte, konstruiert die Extremismus-Formel eine demokratische Mitte der Gesellschaft, die durch Extremist_innen unterschiedlichster Couleur gleichermaßen bedroht sei. Berührungspunkte finden sich vor allem dort, wo die Totalitarismus-Theorie sich mit den jeweiligen totalitären Bewegungen beschäftigt. Hier existiert für keine_n jener vermeintlichen Empiriker_innen eine Überschneidung des jeweiligen Totalitarismus/Extremismus mit einer bürgerlichen Ideologie der Mitte. Völkischer Nationalismus, Antisemitismus und autoritärer Ordnungswahn wurden und werden zu Randphänomenen erklärt; das Ressentiment, das in Auschwitz endete, als fester Bestandteil der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft verneint.

Es wurde unlängst von kritischen Sozialwissenschaftler_innen konstatiert, dass die Totalitarismus-/Extremismus-Theorie nicht mehr als reine Ideologie sei, auch wenn sie sich selbst als Wissenschaft ausgibt. Doch lässt sich mit ihr zum einen eine als positiv interpretierbare deutsche Identität konstruieren und zum anderen jenen, die die Emanzipation forcieren und in ihrer alltäglichen politischen Praxis die postnazistische Gesellschaft kritisieren, eine generelle Unglaubwürdigkeit ausstellen. Gerade letzteres dient den Behörden und der lokalen Politik immer auch dazu antifaschistische Politik zu behindern und zu diffamieren.

Dort wo die deutschen Verbrechen an den europäischen Juden und Jüdinnen in eine Reihe gestellt werden mit anderen Verbrechen diktatorischer Regime – und seien diese noch so verabscheuendswert -, verlieren sie ihre Singularität und gehen unter in einem allgemeinen „Jahrhundert des Terrors”. Die Kontinuität zum Nationalsozialismus verliert so ihr Tabu, da mit dem Verweis auf angeblich gleiche Situationen andernorts Vergleichbarkeiten hergestellten werden und sogar darauf verwiesen werden kann, dass man ja selbst die “Schrecken des Krieges” besser als andere aufgearbeitet habe. So verwundert es nicht, dass gerade die Apologeten der Extremismus-Formel, Eckhard Jesse und Uwe Backes, mit ihrem Vorstoß einer Historisierung des Nationalsozialismus die Loslösung der Geschichte der Bundesrepublik von demselben anstreben und zumindest für ihr wissenschaftliches Klientel den oft geforderten Schlussstrich unter der deutschen Geschichte schon längst gezogen haben.

Gleichzeitig findet in Folge jenes Diskurses eine Verschiebung des politischen Fokus der bundesrepublikanischen Förderprogramme, weg vom „Kampf gegen Rechts“ hin zu einem allgemeinen “anti-extremistischen” Eintreten gegen „Gewalt und Demokratiefeindlichkeit“ und damit eine generellen Gleichsetzung von linksradikaler Politik mit neonazistischen Umtrieben, statt. Beide so genannten Randgruppen werden als politische Gegenpole zur bestehenden freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesehen. Es ist den selbsternannten “Anti-Extremist_innen” egal, wodurch oder mit welchen Mitteln das schlechte Bestehende ersetzt bzw. überwunden werden soll. Die kapitalistische Ordnung wird so zur einzig denkbaren Freiheit erklärt und die Alltagswiderlichkeiten des falschen Ganzen zum Randgruppenphänomen. Dies würde bedeuten, dass die gegen die vorherrschenden Ungleichheitsideologien, die eben auch zentrale Inhalte der NS-Ideologie sind, gerichtete Kritik, die eine praktische Emanzipation zum Ziel hat, sinnfrei wäre, da der Gegenstand derselben nur von einem “politischen Spektrum” getragen wird und nicht gesellschaftlich verwurzelt ist, wie uns die Extremismus-Theorie glauben machen will.

Eine Gleichsetzung durch “Anti-Extremist_innen” delegitimiert praktische antifaschistische Arbeit und linke Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft gleichermaßen. Diejenigen, die bei Naziaufmärschen, Stadtteilarbeiten und Kulturprojekten sich gegen nationalsozialistische Bestrebungen einsetzen werden mit den willigen Vollstrecker_innen nazistischer Ideologie auf eine Stufe gestellt. Dass ein Zusammenwerfen politischer Strömungen nicht etwa bedeutet, dass eine intellektuelle Auseinandersetzung mit offen nationalsozialistischen Einstellungen eintritt beweist das Beispiel einer Bundesministerin Kristina Schröder, die in ihren Bundestagsreden gerne mal aus dem Nazi-Blatt Junge Freiheit zitiert. Hier muss uns als Repräsentant_innen einer besseren Gesellschaft in der falschen klar sein, dass jene “anti-extremistischen” Spinnereien linksradikale Positionen noch stärker als es ohnehin der Fall ist marginalisieren. Rechte Vordenker_innen gelingt es hingegen ihre Verknüpfung mit der bürgerlichen Mitte zu nutzen, da einerseits auch für die Extremismus-Formel der Übergang von konservativer und offen neonazistischer Weltanschauung fließend ist und andererseits sich die Theoretiker_innen jener Formel selbst des öfteren durch antisemitische und geschichtsrelativierende Äußerungen hervortun.

Auf der Ebene der praktischen Politik in der deutschen Provinz muss die Extremismus-Formel jedoch auch immer zum Schönlügen von Naziproblemen und zur Kriminalisierung antifaschistischer Praxis herhalten. Während sich die Extremismus-Formel meistens gegen linke Aktivist_innen richtet, haben wir es in Kiel mit einem besonderen Spezifikum des “anti-extremistischen” Ringelreigens zutun: Der Entpolitisierung und des Verschweigens. Statt das Problem einer gewaltbereiten Naziszene zu thematisieren und seine Leser_innen aufzuklären entpolitisiert das örtliche Lokalblättchen, die KN, das Thema vollends: Da werden Naziangriffe zu Auseinandersetzungen rivalisierender Jugendgangs, antisemitische Nazi-Flyer zu interessantem Material zum Nahostkonflikt und Schüsse auf die Alte Meierei werden mit der gleichen Aufmerksamkeit bearbeitet wie die letzte Messerstecherei in einer beliebigen Disko. Die Notwendigkeit einer antifaschistischen Arbeit wird weder erkannt, noch honoriert.
Dieses Klima der Ignoranz gegenüber neonazistischer Gewalt ist ebenso erschreckend wie gefährlich und zeigt nur zu deutlich, wie dringend es ist einen ernsthaften Bruch mit dem Extremismus-Begriff zu suchen und der bürgerlichen Gesellschaft ihr Märchen von der demokratischen Mitte zu nehmen. Denn nicht alles, was von ihr kommt ist harmlos und so werden wir auch weiterhin unsere Kritik an ihr haben.

Keine Märchen für Deutschland!
Den Unsinn der Extremismus-Theorie kollektiv verweigern!

Redebeitrag über Neonazi-Strukturen in Schleswig-Holstein auf der antifaschistischen Meierei Demo am 13.3.10 in Kiel

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen.

Wenn wir heute anlässlich der enrneuten, schwerwiegenden Nazi-Übergriffe auf linke Projekte in Kiel auf der Straße sind, lohnt es sich auch einmal mehr, einen Blick auf die Entwicklungen der Neonaziszene in Schleswig-Holstein zu werfen, denn aktiver Antifaschismus ist nur möglich, wenn wir ihre Strukturen und Akteure kennen – um Aufzuklären und zu Handeln.

Die heutigen Nazistrukturen sind ein Ausdruck eines allgemeinen Wandels innerhalb der schleswig-holsteinischen Naziszene. Die Strukturen des aus Ende der 1990ern hervorgegangenen Spektrums der „freien Kameradschaften“, welche Anfang des Jahrtausends die Führung in der schleswig-holsteinischen NPD übernehmen konnten, waren mit dem Versuch „Combat18“-Gruppen aufzubauen selbst für die deutschen Repressionsorgane zu weit gegangen. Wichtige Nazi-Aktivisten diese Spektrums – wie z.B. Peter Borchert – sahen sich mit Gefängnisaufenthalten konfrontiert, waren in in dessen Folge unter einander zerstritten und außerdem zumindest in der NPD politisch entmachtet worden.
Um 2005 war die schleswig-holsteinische Neonazisszene dominiert und geführt von einem sich eher spießbürgerlich gebenden NPD-Landesverband, der die Reste der offen gewalttätigen Kameradschaftsszene in sich integrieren und weitestgehend ruhig halten konnte. Darüber hinaus war nicht viel los. Öffentliche Auftritte von Nazis waren, das können wir zumindest für Kiel sagen, dementsprechend geprägt vom isolierten, regungslosen „Hinter-Bullenketten-Stehen“, umzingelt von wütenden AntifaschistInnen. In Anbetracht dessen wurden Versuche von Aufmärsche, Kundgebungen und Demos ob der wenig motivierenden Situation immer seltener. Mit Ausnahme des Wahlkampfauftaktes in Steinburg 2005 fand Nazigewalt selten am Rande von offiziellen Nazi-Veranstaltungen statt, sondern hauptsächlich in Verbindung mit Alkohol und abseits politischer Aktionen.

Vor etwa 2 Jahren änderte sich diese Tendenz in Schleswig-Holstein wieder: Die bundesweite Nazi-Trenderscheinung „Autonome Nationalisten“ erreichte auch den Norden und verbreitete sich in Kiel – wo dieser Prozess durch die Haftentlassung Peter Borcherts erheblich beschleunigt wurde – und nahezu im gesamten Bundesland. Selbsternannte „Aktionsgruppen“ sprossen wie Pilze aus dem Boden, mal als Internet-Phantom, oft aber auch begleitet von einem hohen, extrem gewaltfixierten Aktionismus. Bisherige Höhepunkte dessen waren z.B. die Angriffsserien auf linke bzw. alternative Läden in Kiel in den vergangenen 2 Jahren, der Brandanschlag auf das alternative Kulturzentrum T-Stube in Rendsburg letzten Sommer oder auch die verschieden Angriffen auf Antifas in Neumünster. Eine vollständige Aufzählung der Naziaktionen der letzten Jahre in Schleswig-Holstein würde hier den Rahmen sprengen.

Schwerpunkte dieser modernisierten Kameradschaftstrukturen mit Namen „Autonome Nationalisten“ haben sich seitdem vor allem in Kiel, im Kreis Steinburg, in Dithmarschen, aber auch in Neumünster oder in Rendsburg herausgebildet. Und diese sind untereinander vernetzt: Man fährt gemeinsam zu Nazidemonstrationen auch in andere Bundesländer, unterstützt sich gegenseitig bei eigenen Aktionen und betreibt ein gemeinsames Internetportal. Es sind z.B. auch mehrere Busse voller Nazis aus Schleswig-Holstein am 13. Februar 2010 zum erfreulicherweise verhinderten verhinderten Aufmarsch nach Dresden gefahren.

Auch im einzigen offen bestehenden Nazitreffpunkt in Schleswig-Holstein, dem Club 88 in Neumünster, hat die Wiederbelebung so genannter „freier“ Nazistrukturen Spuren hinterlassen: Aus dem erklärten Interesse dieser neuen Nazigeneration heraus, die Existenz eines ihrer bundesweit wenigen, ausdrücklich nationalsozialistischen Treffpunkte zu sichern und zu nutzen, scheint der Club 88 in den letzten 2 Jahren eine kleine Renaissance erlebt zu haben. Nicht nur dadurch, dass erstmalig wieder größere Veranstaltungen abseits der obligatorischen Geburtstagsfeiern stattfanden, sondern auch dass der Club88 wieder öfter als offene Infrastruktur für politische Tätigkeiten genutzt wurde.

In der Gesamtsituation gibt es allerdings im Unterschied zu früheren Jahren trotz der Erneuerung des offen neonazistischen und gewaltfixierten Spektrums keinen wahrnehmbaren Flügelkampf in der rechten Szene Schleswig-Holsteins. Im Gegenteil: Immer wieder wurde deutlich, dass „Aktionsgruppen“ und NPD, deren Mitglieder sich ohnehin überschneiden, eng miteinander kooperieren: Der insgesamt vergleichsweise spärliche Land- und Bundestagswahlkampf der NPD 2008 wäre ohne die Mithilfe der erlebnisorientierten Aktionsgruppen wohl noch dürftiger ausgefallen. Aktionsgruppen und NPDlerInnen hängten zusammen Plakate auf, verklebten Aufkleber und NPD-Vorzeigespießer Ingo Stawitz tuckerte einträchtig mit einer der Führungspersonen der „Aktionsgruppe Kiel“, Daniel Zöllner, in einem alten Wohnmobil durch Teile Schleswig-Holsteins und beschallte die Umwelt mit schlechten Reden.

Aber auch die „Aktionsgruppen“ durften wie schon bei den letztjährigen Kommunalwahlen wieder ihre eigene aktionistische Note mit in den Wahlkampf einbringen: In Kiel, vor allem im Stadtteil Wik, versuchten bewaffnete Neonazis die NPD-Nazipropaganda vor PlakatpflückerInnen zu beschützen, und im letzten September kam es zu einem brutalen Angriff auf eine Gruppe alternativer Jugendlicher in zeitlicher und räumlicher Nähe zu einer Anti-NPD-Wahlkampfparty in der Alten Meierei.

Dass es nun schon wieder zu zwei Angriffen auf linke Projekte in Kiel kam, nämlich auf den Buchladen Zapata und die Alte Meierei, von denen einer auch mit Schusswaffen durchgeführt wurde, ist Ausdruck einer qualitativen Verschärfung dieser allgemeinen Tendenz innerhalb der Naziszene. Diesen und allen anderen Betroffenen von Nazigewalt sprechen wir an dieser Stelle unsere ausdrückliche Solidarität aus!

Der derzeitige Zustand der schleswig-holsteinischen Nazisszene lässt sich also zusammenfassend als politisch nach wie vor an der NPD orientiert beschreiben, wobei die Partei auf die Unterstützung der oft jungen und motivierten „Aktionsgruppen“ angewiesen ist, sich aber auch auf diese verlassen kann. Im Gegenzug scheinen die zeitweisen Gewaltexzesse der Aktionsgruppen vom gemäßigteren Parteiflügel der NPD akzeptiert zu werden.

Eine kleine Erneuerung hat es mittlerweile auch wieder bei einer anderen rechten Partei gegeben: Die DVU, welche lange Zeit in Schleswig-Holstein und fast im ganzen Bundesgebiet nur auf dem Papier existierte, versucht seit kurzem mit neuen Leuten wie dem Ex-NPDler Kevin Stein in Nordfriesland und dem bundesweit bekannten Neonazi-Kader Christian Worch wieder aus der Versenkung hervorzutreten. Sie kündigt öffentliche Auftritte und Propagandaaktionen an. Erstes wahrnehmbares Zeichen hinter diesen Ankündigungen war eine Kundgebung in Husum vor einer Woche, der nun noch mehr folgen sollen. So will die DVU am 17. April in Plön eine Kundgebung abhalten, zu der wir natürlich eine entsprechende Antwort finden werden.

Wie auch immer: Die insgesamt erstarkte offen neonazistische Szene in Schleswig-Holstein, die das Fundament der gewalttätigen Aktionen gegen linke und alternative Einrichtungen und Menschen ist, macht eine offensive alltägliche antifaschistische Praxis und das Anliegen der heutigen Demonstration umso erforderlicher. Beim Kampf gegen die Nazis verlassen wir uns jedoch weder auf unregelmäßige Versuche die Nazi-Organisationen zu verbieten, noch stellen wir irgendwelche Forderungen an die Polizei oder andere staatliche Organe, weil wir wissen, dass in der Logik des Staates auch wir als linke AntifaschistInnen durch den Verfassungsschutz und seine Extremismustheorie zu Feinden erklärt werden.

Wir vertrauen auf das solidarische Zusammenstehen aller emanzipatorischen Menschen gegen die Nazis und wir nehmen die Sache selber in Hand:

Nazi-Aktionsgruppen, NPD, DVU und alle anderen rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Banden zerschlagen!
Übernehmt Verantwortung: Organisiert die autonome Antifa!

Redebeitrag über Nazistrukturen in Schleswig-Holstein auf der Demonstration gegen den Club 88 am 26.9.09 in Neumünster

Wenn wir heute anlässlich der nun leider schon 13 Jahre andauernden Geschichte des nicht unbedeutenden Nazitreffs „Club 88“ für dessen lang überfällige Schließung auf der Straße sind, lohnt es sich auch, einen Blick auf die Entwicklungen seines unmittelbaren BesucherInnenklientels zu werfen: Der Neonaziszene Schleswig-Holsteins. Denn hier kann mensch seit etwa zwei Jahren Veränderungen wahrnehmen, die sich zumindest ansatzweise auch in deren Nutzung des „Club 88“ niederschlagen.

Nachdem die ersten und auch erfolgreichsten Jahre des „Club88“ vor allem geprägt waren durch Nähe zur neonazistischen Musik- und Skinheadszene und Verbindungen z.B. zum „Blood+Honour“-Netzwerk, wurde es Mitte dieses Jahrzehnts vergleichsweise ruhig um die schwarze Box in Gadeland. Die BesucherInnenzahlen gingen zurück, Teile des einstigen festen Umfelds des „Club88“ war gealtert und inaktiv geworden oder mittlerweile in anderen unpolitischen, sogenannten „kriminellen Millieus“ aktiv. Es schien an Nachwuchs zu fehlen, die jungen Saufnazis vergnügten sich lieber in der „Titanic“ in der neumünsteraner Innenstadt.

Dies war u.a. ein Ausdruck eines allgemeinen Wandels in der schleswig-holsteinischen Naziszene. Die Strukturen des noch aus Ende der 1990ern hervorgegangenen Spektrums der „freien Kameradschaften“, das sogar Anfang des Jahrtausends unter Führung von Nazikader Peter Borchert die Führung in der schleswig-holsteinischen NPD übernehmen konnte, war mit dem Versuch „Combat18“-Strukturen aufzubauen und nach Tankstellenüberfällen selbst für die deutschen Repressionsorgane zu weit gegangen. Wichtige Nazi-Aktivisten diese Spektrums – wie z.B. Peter Borchert – sahen sich mit Gefängnisaufenthalten konfrontiert, waren in in dessen Folge unter einander zerstritten und außerdem zumindest in der NPD politisch entmachtet worden.
Um 2005 war die schleswig-holsteinische Neonazisszene dominiert und geführt von einem sich eher spießbürgerlich gebenden NPD-Landesverband, der die Reste der offen gewalttätigen Kameradschaftsszene in sich integrieren und weitestgehend ruhig halten konnte. Darüber hinaus war nicht viel los. Öffentliche Auftritte von Nazis waren – das können wir zumindest für die Landeshauptstadt Kiel sagen – dementsprechend geprägt vom isolierten, regungslosen „Hinter-Bullenketten-Stehen“, umzingelt von wütenden AntifaschistInnen. In Anbetracht dessen wurden Versuche von Aufmärsche, Kundgebungen und Demos ob der wenig motivierenden Situation immer seltener. Mit Ausnahme des Wahlkampfauftaktes in Steinburg 2005 fand Nazigewalt selten am Rande von offiziellen Nazi-Veranstaltungen statt, sondern hauptsächlich in Verbindung mit Alkohol und abseits politischer Aktionen.

Vor etwa 2 Jahren änderte sich diese Tendenz in Schleswig-Holstein wieder: Die bundesweite Nazi-Trenderscheinung „Autonome Nationalisten“ erreichte auch den Norden und verbreitete sich von Kiel aus – wo dieser Prozess durch die Haftentlassung Peter Borcherts erheblich beschleunigt wurde – im nahezu gesamten Bundesland. Selbsternannte „Aktionsgruppen“ sprossen wie Pilze aus dem Boden, mal als Internet-Phantom, oft aber auch begleitet von einem hohen, extrem gewaltfixierten Aktionismus. Bisherige Höhepunkte dessen waren z.B. zwei Angriffsserien auf linke bzw. alternative Läden in Kiel in den vergangenen 1 ½ Jahren, der Brandanschlag auf das alternative Kulturzentrum T-Stube in Rendsburg diesen Sommer oder auch die verschieden Angriffen auf Antifas in Neumünster in den letzten Monaten.
Schwerpunkte dieser modernisierten Kameradschaftstrukturen mit neuen Namen, manchmal anderen Klamotten und höherer Aktionsflexibilität haben sich seitdem vor allem in Kiel, im Kreis Steinburg, in Dithmarschen, aber auch hier in Neumünster oder in Rendsburg herausgebildet. Diese sind untereinander vernetzt: Man fährt gemeinsam zu Nazidemonstrationen auch in andere Bundesländer, unterstützt sich gegenseitig bei eigenen Aktionen und betreibt ein gemeinsames Internetportal.

Im Unterschied zu früheren Jahren gibt es trotz der Erneuerung des offen neonazistischen und gewaltfixierten Spektrums allerdings keinen offen wahrnehmbaren Flügelkampf in der rechten Szene Schleswig-Holsteins. Im Gegenteil: Gerade erst in den letzten Wochen wurde wiederholt deutlich, dass „Aktionsgruppen“ und NPD, deren Mitglieder sich ohnehin überschneiden, wie es z.B. nicht nur im Fall von Peter von der Born ist, eng miteinander kooperieren: Der insgesamt vergleichsweise spärliche Land- und Bundestagswahlkampf wäre ohne die Mithilfe der erlebnisorientierten Aktionsgruppen wohl noch dürftiger ausgefallen. Aktionsgruppen und NPDlerInnen hängten zusammen Plakate auf, verklebten Aufkleber und NPD-Vorzeigespießer Ingo Stawitz fuhr sogar einträchtig mit einer der Führungspersonen der „Aktionsgruppe Kiel“, Daniel Zöllner, in einem alten Wohnmobil durch Teile Schleswig-Holsteins und beschallte die Umwelt mit schlechten Reden.

Aber auch die „Aktionsgruppen“ durften wie schon bei den letztjährigen Kommunalwahlen wieder ihre eigene aktionistische Note mit in den diesjährigen Wahlkampf einbringen: In Kiel, vor allem im Stadtteil Wik, versuchten bewaffnete Neonazis in diesem Jahr verstärkt NPD-Nazipropaganda vor PlakatpflückerInnen zu beschützen, am vergangenen Wochenende kam es sogar zu einem brutalen Angriff auf eine Gruppe alternativer Jugendlicher in zeitlicher und räumlicher Nähe zu einer Anti-NPD-Wahlkampfparty in der Alten Meierei. Und auch anderorts gab es am selben Wochenende Beispiele für den Wahlkampfalltag der NPD: So wurde z.B. Lübeck das Büro der Partei DIE LINKE von Nazis massiv bedrängt.
Dass es nun zu Beginn der Woche in Schwarzenbeck zu einem explizit rassistischen, glücklicherweise fehlgeschlagenen Brandanschlag auf ein Lokal eines migrantischen Betreibers kam, ist unerträglicher Ausdruck einer qualitativen Verschärfung dieser allgemeinen Tendenz innerhalb der Naziszene. Diesen und allen anderen Betroffenen von Nazigewalt sprechen wir an dieser Stelle unsere ausdrückliche Solidarität aus!

Der derzeitige Zustand der schleswig-holsteinischen Nazisszene lässt sich also zusammenfassend als politisch nach wie vor an der NPD orientiert beschreiben, wobei die sich meist bürgerlich gebende faschistische Wahlpartei auf die Unterstützung der oft jungen und motivierten „Aktionsgruppen“ angewiesen ist, sich aber auch auf diese verlassen kann. Im Gegenzug scheinen die zeitweisen Gewaltexzesse der Aktionsgruppen vom gemäßigteren Parteiflügel akzeptiert zu werden.

Um den Bogen zurück zum Anlass unserer heutigen Demonstration zu schlagen: Auch im Club88 hat die Wiederbelebung vorgeblich „freier“ Nazistrukturen Spuren hinterlassen: Aus dem erklärten Interesse dieser neuen Nazigeneration heraus, die Existenz eines ihrer bundesweit wenigen, ausdrücklich nationalsozialistischen Treffpunkte zu sichern und zu nutzen, scheint der „Club88“ in den letzten 1 ½ Jahren eine kleine Renaissance innerhalb der Naziszene zu erleben. Nicht nur, dass erstmalig wieder größere Veranstaltungen abseits der obligatorischen Geburtstagsfeiern stattfanden, der „Club88“ wurde am 1. Mai dieses Jahres von norddeutschen Nazis, die zur zentralen Nazidemo nach Hannover wollten, als Treffpunkt und Ausgangspunkt der späteren Spontandemo in Itzehoe seit langem wieder als offene Infrastruktur für politische Tätigkeiten genutzt. Wie’s damit weiter geht und wie sich’s mit der zweiten aktuellen Komponente des Club-Lebens verträgt, der Verwicklung des „Club88“ durch ehemalige Naziführungskader in unpolitische Rockerkriege, bleibt zu beobachten.

Wie auch immer: Die insgesamt erstarkte offen neonazistische Szene in Schleswig-Holstein, die immer das Fundament des Club88 gewesen ist, macht eine offensive alltägliche antifaschistische Praxis und das Anliegen der heutigen Demonstration umso erforderlicher:

13 Jahre sind 13 Jahre zu viel – Club88 endlich dichtmachen!

Nazi-Aktionsgruppen, NPD und alle anderen rassistischen, nationalistischen und/oder antisemitischen Scheißbanden zerschlagen!

Übernehmt Verantwortung: Organisiert die autonome Antifa!

Redebeitrag auf der Antifa-Demo „Nazis aus der Deckung holen!“ am 16.5.09 in Neumünster

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

wir sind heute hier in Neumünster zusammen auf der Straße unter dem Motto „Nazis aus der Deckung holen“, um über die Strukturen der hiesigen Neonaziszene aufzuklären und diese offen zu legen. Dazu gehören ihre Treffpunkte Club 88 und die Kneipe Titanic, sowie deren BetreiberInnen. Gleichzeitig sind wir dabei auch in praktischer Solidarität mit den Neumünsteraner AntifaschistInnen auf der Straße, die es hier mit einer der größten und organisiertesten Naziszenen in Schleswig-Holstein zu tun haben.

Neben Neumünster gibt es jedoch noch weitere regionale Schwerpunkte in Schleswig-Holstein, in denen Neonazis in den letzten Monaten und Jahren vermehrt aktiv sind. Dazu gehören z.B. Dithmarschen mit einer relativ großen und landesweit vernetzten Naziszene, der Raum Lübeck mit mehreren organisierten Gruppen und dem bis jetzt einzigen regelmäßigen Naziaufmarsch in Schleswig-Holstein, die nördlichen Kreise Flensburg und Nordfriesland mit regelmäßigen Naziaktionen und eben seit mittlerweile ca. 1 ½ Jahren auch wieder Kiel mit einer recht aktiven Gruppe „autonomer Nationalisten“.

Diese ist über ein relativ neues neonazistisches Netzwerk, welches eine gemeinsame Internetseite betreibt, mit anderen Nazi-Gruppen aus Schleswig-Holstein vernetzt. Auch wenn dieses Netzwerk sich selber wichtiger und größer macht als es in Wirklichkeit ist, gibt es den Nazis zumindest teilweise die Möglichkeit sich unter ihrem neuen Image „Autonome Nationalisten“ zu organisieren und gemeinsame Aktionen zu machen.

Die beiden zu diesem Netzwerk zu zählenden Gruppen aus Neumünster und Kiel sind darüber hinaus auch personell eng miteinander verknüpft, z.B. über den Neumünsteraner Nazi Nico Seifert, der neben seinen guten Kontakten in Neumünster gleichzeitig zum Kern der so genannten „Aktionsgruppe Kiel“ gehört.

Ungefähr seit dem die Mitglieder dieser Gruppe im Januar diesen Jahres von AntifaschistInnen an ihren Wohnorten und Arbeitsplätzen geoutet wurden sind Neonazis der „AG Kiel“ und der NPD auch wieder vermehrt auf der Straße aktiv, nachdem es seit der Verhaftung Peter Borcherts im August 2008 etwas ruhiger um sie geworden war. Teilweise täglich verteilten Nazis Flugblätter mit nationalistischen und rassistischen Inhalten in der Kieler Innenstadt sowie in einigen anderen Stadtteilen. Es tauchen vermehrt Aufkleber und Plakate sowie Sprühereien mit faschistischen Inhalten auf. Sie griffen auch wieder mehrere linke bzw. alternative Projekte an. Bereits vor einem Jahr kam es zu einer Reihe ähnlicher Vorfälle, als Neonazis im Zuge des Wahlkampfes der NPD mehrfach Anschläge auf vermeintlich linke Projekte begingen. Letztes wie dieses Jahr bekannte sich die „Aktionsgruppe Kiel“ zu diesen Anschlägen auf ihrer Internetseite.

Die Nazis versuchen auch immer wieder größere öffentliche Aktionen in Kiel zu machen. Am 7. April konnten etwa 25 Neonazis der „AG Kiel“ und der NPD durch die Kieler Innenstadt demonstrieren, dabei wurden sie von der Polizei vor spontanen antifaschistischen Protesten geschützt. In der Nacht zuvor wurde in Kiel ein junger Mann in seiner Wohnung von drei Neonazis überfallen. Knapp zwei Wochen später wollten etwa 40 Neonazis ursprünglich nach Gaarden marschieren, doch aufgrund der Anwesenheit von etwa 200 AntifaschistInnen wurde ihnen dies von der Polizei verboten. Später tauchten sie bei einer „Reclaim the Streets“ Party und dem Infostand des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus am Asmus-Bremer-Platz auf. Hier kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Nazis und AntifaschistInnen, welche für die Nazis in einem unkoordinierten Rückzug endete. Am 1. Mai waren Kieler Nazis zusammen mit etwa 100 anderen Nazis aus Schleswig-Holstein und Hamburg unterwegs, die in Itzehoe eine Spontandemonstration machten. Zuletzt versuchte ein kleiner Haufen Nazis am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom deutschen Nationalsozialismus, einen Infostand in der Kieler Innenstadt durchzuführen, welcher von AntifaschistInnen jedoch von der Öffentlichkeit isoliert wurde. Aufgrund der Proteste mussten die Nazis ihren Stand nach etwa einer Stunde wieder abbauen und ihre peinliche Vorstellung beenden.

Die Stimmung in Kiel ist zwar weiter angespannt, doch in den letzten Wochen konnten die Nazis keine ernstzunehmenden Erfolge mehr verbuchen. Ob dies ihre Aktionsfähigkeit und Begeisterung geschwächt hat bleibt abzuwarten, in ihren mit Pathos und Lügen voll gestopften Texten kündigen sie weitere Aktionen an.

Seit ihrem Wiedererstarken haben AntifaschistInnen in Kiel die Nazis mit vielfältigen Mitteln bekämpft. Es gab in den letzten Monaten mehrere öffentliche Aktionen wie Kundgebungen, Plakate, Flugblätter und auch direkte Aktionen. Die Aufklärung über organisatorische Strukturen und die Identität von Neonazis gehört zur grundlegenden Arbeit von aktiven AntifaschistInnen. Die Kenntnis von Identitäten und Strukturen von Neonazis ermöglicht es, sie in der Öffentlichkeit als das zu entlarven was sie sind: Anhänger einer menschenfeindlichen Ideologie, die auf Gewalt, Ausgrenzung und Unterdrückung basiert und die in letzter Konsequenz tödlich ist für alle Menschen die nicht in dieses Weltbild passen. Dies ist jedoch nur dann möglich, wenn eben nicht nur auf einer abstrakten Ebene über „die Nazis“ geredet wird, sondern wenn diese auch speziell als Individuen mit Namen und Adressen hingestellt und damit angreifbar gemacht werden. Denn es sind individuelle Personen, die diese Ideologie praktisch in die Tat umsetzen. Wir werden es nicht hinnehmen, dass Neonazis in welcher Form auch immer, ungestört handeln können. Heute nicht und auch nicht in der Zukunft.

Die nächste Gelegenheit den Nazis ordentlich in die Suppe zu spucken wird sich am 6. Juni in Pinneberg ergeben. Wir rufen nochmal alle AntifaschistInnen auf, diesen rassistischen Aufmarschversuch der Nazis zu verhindern.

In diesem Sinne:

Nazis aus der Deckung holen!

Keinen Millimeter den Faschisten!

Redebeitrag Antifa-Kundgebung in Kiel, 4.3.09

Liebe Passantinnen und Passanten!
Liebe hier um den Asmus-Bremer-Platz Beschäftigten!
Liebe Anwohner und Anwohnerinnen!

Wir haben uns hier heute in der Kieler Innenstadt versammelt, um darauf aufmerksam zu machen, dass in den letzten Wochen – zuletzt nach unserem Kenntnisstand am vergangenen Freitag – hier am Asmus-Bremer-Platz immer wieder Neonazis der „Aktionsgruppe Kiel“ Flugblätter verteilt haben, in denen sie auf die immer gleiche menschenverachtende Weise die „Überfremdung“ durch „Ausländer“ propagieren, stumpfen Nationalismus als vermeintliche Lösung für soziale Missstände vorgaukeln oder für den Kieler NPD-Ratsherren Hermann Gutsche werben.

Über das Flugblattverteilen in der Kieler Innenstadt hinaus kam es zudem auch aus den Reihen eben dieser neonazistischen „AG Kiel“ seit Ende Januar zu zahlreichen weiteren, nahezu täglichen Aktionen im ganzen Stadtgebiet, darunter das Sprühen und Plakatieren faschistischer Parolen oder braune Postwurfsendungen. Vorläufiger Höhepunkt waren zwei Angriffe auf linke bzw. alternative Projekte, als in der Nacht zum 04. Februar bei dem Buchladen „Zapata“ im Jungfernstieg sowie der Druckerei der “Hansastr. 48“ mehrere Scheiben eingeworfen wurden. Bereits vor knapp einem Jahr kam es während des NPD-Kommunalwahlkampfes zu einer Reihe ähnlicher Angriffe. Damals wie heute brüstet sich mit all diesen Angriffen auf ihrer Internetseite ebenfalls die „AG Kiel“. Bei der „Aktionsgruppe Kiel“ handelt um eine offen neonazistische Gruppierung aus dem Spektrum der im Nazilager gerade in Mode gekommenen selbst ernannten „autonome Nationalisten“. Sie führt gute Verbindungen zur Kieler NPD und wurde im vergangenen Jahr von dem langjährigen Nazikader Peter Borchert aufgebaut, der kürzlich wegen seinem „Messerstecher-Prozess“ in den Medien für Aufmerksamkeit sorgte, und ist dementsprechend in der Vergangenheit durch ein besonders aggressives Auftreten aufgefallen.

Wir sind heute auf der Straße, weil wir den Umstand unerträglich finden, dass Neonazis regelmäßig in aller Öffentlichkeit ihren faschistischen Propagandamüll verbreiten können, wie wir es hier in der Kieler City den vergangenen Wochen beobachten mussten. Denn wir wissen spätestens aus der mörderischen deutschen Geschichte, dass Nazis immer menschenverachtend sind, egal in welchem Gewand sie auftreten: Ob vermeintlich friedlich und im bürgerlichen Gewand oder offen gewalttätig, ihre rassistischen, antisemitische und völkisch-nationalistische Ideologie fußt auf die Ungleichwertigkeit von Menschenleben, steht damit im absoluten Widerspruch zu jeglichem aufgeklärten Denken und ist in letzter Konsequenz tödlich für alle nicht in ihr Weltbild passenden Menschen.

Dass es nötig ist, sich den Nazis bereits bei eher unbedeutend erscheinenden Aktivitäten wie dem Verteilen von Flugblättern in den Weg zu stellen, zeigt, dass sie durch ein weitestgehend ungestörtes Auftreten wie in den vergangen Wochen in Kiel deutlich an Selbstbewusstsein gewinnen. Dies hat zur Folge, dass sie sich ermutigt fühlen, den Versuch zu unternehmen, immer weitere Aktionsräume zu erobern, die ihnen in den vergangenen Jahren in Kiel dank traditionell großer und breiter antifaschistischer Gegenwehr versperrt geblieben sind.

Durch die derzeitige Strategie der „AG Kiel“, spontane und unangekündigte Kleinstaktivitäten durchzuführen und ihren extremen Gewaltfetischismus, ist es für organisierte Antifaschist/-innen bisher schwer gewesen, auf die aktuellen Entwicklungen angemessen zu reagieren. Geballte Gegenwehr blieb bis dato nahezu aus.
Dieser unerfreuliche Umstand wird zudem dadurch erschwert, dass kleinere Ansätze, gegen die Nazis in der Innenstadt aktiv zu werden, nachträglich massiv von der Polizei behindert wurden. So kam es am 4. Februar nach dem leider erfolglosen Versuch einiger Antifaschist/-innen, den Nazis ihre Flugblätter abzunehmen, zu mehreren Festnahmen und Strafanzeigen.

Diese seit längerem zu beobachtende Strategie der Kieler Polizei, mit ihren permanenten Kriminalisierungsversuchen von notwendigen politischen Auseinandersetzungen zwischen Antifaschist/-innen und Nazis das Bild von einer Art „Bandenkrieg“ zu zeichnen, wurde nachträglich leider wiederholt auch von den lokalen Medien gedeckelt. So berichteten die Kieler Nachrichten über den Vorfall am 4. Februar in einer Randnotiz als eine Schlägerei zwischen sogenannten „Extremisten“. Mit einer solchen Argumentation werden faschistische Menschenfeinde mit denen, die sich zugunsten eines würdigen Lebens für alle Menschen gegen Nazis zur Wehr setzen, in verfälschender Weise und mit gefährlichen Auswirkungen gleichgesetzt und die Konflikte, die hieraus notwendigerweise entstehen, entpolitisiert.

Das aus genannten Gründen bisher weitestgehende Ausbleiben von antifaschistischen Gegenwind gegen die Aktivitäten der „Aktionsgruppe Kiel“ lässt die Nazis momentan bereits von „national-befreiten Zonen“ in der Landeshauptstadt träumen, also von Räumen, in denen MigrantInnen, AntifaschistInnen, nicht-heterosexuelle Menschen und viele andere kein sicheres Leben mehr führen können.

Wir wollen und können es deshalb nicht hinnehmen, dass das Flugblattverteilen durch Neonazis zur Normalität in der Kieler Innenstadt und anderswo wird. Wenn diese ein Ende haben sollen, und dies steht für uns außer Frage, darf der Widerstand nicht nur in dem Händen organisierter AntifaschistInnen liegen. Es liegt an jedem/r Passant/-in, an den umliegenden Gewerbetreibenden, an allen hier um den Asmus-Bremer-Platz Beschäftigten und den Anwohnern und Anwohnerinnen, diese Auswüchse nicht zu dulden.

Deshalb rufen wir dazu auf: Lasst die Nazis nicht ungestört ihre Flugblätter verteilen! Nehmt die Flugblätter nicht an oder entsorgt am besten gleich mehrere oder alle! Stellt euch den verteilenden Neonazis selbstbewusst entgegen und stört sie auf Eure Weise und mit Euren Mitteln!

KEINE AKTIONSRÄUME FÜR NAZIS!
NULL TOLERANZ FÜR RASSIST/-INNEN, ANTISEMIT/-INNEN, NATIONALIST/-INNEN – NIEMALS UND NIRGENDWO!

Redebeitrag Bündnisdemo in Kiel, 24.05.2008

Liebe Antifaschisten und Antifaschistinnen!
Liebe Kieler und Kielerinnen!

Wir sind hier heute auf der Straße, um dem Wahlkampf der faschistischen NPD eine angemessene Antwort entgegenzusetzen: Nämlich, dass wir ihrer Hetze auch dann keinen Raum gewähren, wenn sie versucht, sich im spießbürgerlichen und pseudosozialem Gewand zu präsentieren. Sollte morgen also tatsächlich eineR ihrer KandidatInnen in das Kieler Rathaus oder sonst wo in Schleswig-Holstein einziehen, so sei dieser Person gesagt, dass wir sie nicht in Ruhe lassen werden, bis sie voller Reue das Weite sucht. Wenn es für die NPD wirklich für einen Sitz reichen sollte, rufen wir zu diesem Zweck alle AntifaschistInnen trotz der letztwöchentlichen Drohungen von Polizeichef Tanck zu einer Spontandemo morgen Abend um 19.30 Uhr vom Kieler Bahnhof auf.

Einerseits haben wir uns als AntifaschistInnen in den letzten Wochen mit dem allerdings unerwartet unscheinbaren, offiziellen Wahlkampf der NPD auseinandersetzen müssen. Eine andere Sache, die für uns deutlich präsenter und weniger absehbar gewesen ist, ist das in jüngster Zeit für Kieler Verhältnisse ungewohnt offensive und vergleichsweise geplante Auftreten von Neonazis auf der Straße.

Auch wenn wir leider noch zu wenig das Gefühl haben, dass die Ereignisse der vergangenen Wochen wirklich im Stadtbewusstsein angekommen sind, dürften doch mittlerweile einige davon mitbekommen haben, dass es vermehrt zu Angriffen auf im weitesten Sinne linke Einrichtungen, zu größeren Ansammlungen von Nazis im Stadtbild und auch immer wieder zu faschistischen und rassistischen körperlichen Übergriffen gekommen ist. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Woche vom 16.-22. April, als Neonazis beinahe jede Nacht Scheiben im ganzen Stadtgebiet einwarfen. So z.B. bei der Arbeitsloseninitiative in Gaarden, beim Zapata-Buchladen, beim Kinderladen der Hansastr. 48 oder dem Wohnprojekt Dampfziegelei.

Parallel zu diesen sich häufenden Angriffen entwickelte sich ein Wohnhaus in der Gaardener Preetzer Str. kurzzeitig zu einem Sammelpunkt für dutzende Neonazis. In diesem Haus wohnten neben einigen Unbeteiligten, die beiden NPD-Kommunalwahlkandidaten Nils Hollm und Thomas Krüger. Das Haus war in Gaarden schon seit einiger Zeit als ein von Nazis bewohntes bekannt. Da ein solcher Umstand, erst recht in dem migrantisch und subkulturell geprägten Stadtteil Gaarden, eine dreiste Provokation für einen Großteil der AnwohnerInnen darstellt, kam es spätestens mit dem Bekanntwerden der Wahlkandidatur zu verschiedenen Aktionen gegen die beiden Nazis.

Dies veranlasste sie offensichtlich dazu, sich für das Wochenende um den 20.4., dem Geburtstag Adolf Hitlers, KameradInnen aus ganz Schleswig-Holstein einzuladen, um ihr Häuschen zu beschützen. In einem Akt der Selbstüberschätzung griff diese Nazi-Zusammenrottung von etwa 20 Personen dann auch am späten Abend des 18. April eine die Preetzer Straße passierende antifaschistische Spontandemo anlässlich der vorausgegangenen Angriffe gegen linke Läden an. Von deren entschlossener Gegenwehr schienen die Nazis allerdings dermaßen überrascht, dass sie sich nach nur kurzer Zeit hinter ihren Fenstern verbarrikadierten. Dieser ungewollte Rückzug der Nazis war der erste große Erfolg der Antifa gegen das Nazi-Haus mitten in Gaarden!

Von dem Abend scheinbar beeindruckt, mobilisierten Hollm und Krüger für die beiden folgenden Tage noch ein paar mehr Nazis zusammen. Diese konnten dann dank eines Großaufgebotes Polizei zwei Tage lang ungestört den Geburtstag Adolf Hitlers feiern und Reichsfahnen aus den Fenstern hängen. Auch als am Sonntag, 20. April erneut 250 AntifaschistInnen in Sichtweite demonstrierten.
Allerdings schien ihnen die Gesamtsituation wohl doch zu heikel zu werden, weshalb sowohl Krüger als auch Hollm in den folgenden Tagen aus dem Haus auszogen. Die Gefahr eines Nazizentrums mitten in Gaarden wurde somit durch spontane und entschlossene antifaschistische Intervention schon im Keim erstickt.

Auch wenn dieser Erfolg zumindest in Gaarden für etwas Entspannung sorgte, müssen wir aus diesen heißen Tagen die Erkenntnis ziehen, dass es nach einigen Jahren relativer Stille wieder einen festeren Kern von aktionistischen Neonazis neben der miefigen NPD gibt. Dementsprechend kam es auch noch nach der vorläufigen Hochphase im April immer wieder zu Naziansammlungen und Übergriffen in ganz Kiel. Dafür gibt vor allem zwei Ursachen: Ein bundesweiter Trend der Neonaziszene zu einem offensiven Auftreten, der seit dem 1. Mai in Hamburg sogar in den bürgerlichen Medien Beachtung findet, ist seit einigen Monaten auch in Kiel angekommen: Die selbsternannten „autonomen“ Nationalisten. Diese versuchen sich in Praxis, Kleidung und Habitus an linken Autonomen zu orientieren und so ihre widerliche, rückschrittliche nationalsozialistische Ideologie in einem modernen Gewand zu verbreiten. Dies begann in Kiel vor einiger Zeit mit zahlreich und nach festen Routen verklebten Naziaufklebern und ist derzeit bei der nächtlichen Angriffsserie auf linke Läden angekommen. Diese deutliche Erhöhung des Aktionsniveaus erklärt sich auch durch die Rolle des langjährigen Nazikader Peter Borchert. Dieser ist nach seinem letzten Knastaufenthalt Anfang des Jahres wieder in Kiel aufgetaucht. Um ihn scheint sich derzeit der Klüngel autonomer Nazis zu organisieren und mit ihm einen erfahrenen Organisator gefunden zu haben.

Wir müssen uns als AntifaschistInnen also darauf einstellen, dass die Nazis trotz ihrer erneuten Schlappen in Kiel weiter versuchen werden, diesen Ansatz weiterzuentwickeln und vor allem auf der Straße aktiv zu sein. Erschwerend kommt hinzu, dass sich ebenfalls im letzten Monat auch wieder etwas in der subkulturellen Nazimusikszene bewegt. So fanden im BAM im Kieler Rotlichtviertel am 12. April und am 17. Mai zwei Konzerte mit rechten Bands und entsprechendem Publikum statt. Auch hier gilt es, die Entwicklungen genauestens zu verfolgen und ihnen entgegenzuwirken.

Kieler Polizei und Staatsanwaltschaft versuchten zunächst erfolgreich, die politischen Auseinandersetzungen zwischen AntifaschistInnen und Nazis auf den Straßen Kiels und die Angriffe auf linke Läden als unpolitischen Bandenkrieg zu verharmlosen und totzuschweigen. Dies bestärkt uns mal wieder in unserer Überzeugung, dass der Staat und seine Organe vielleicht ein Interesse an oberflächlicher Ruhe und Ordnung, nicht aber an der Bekämpfung der Nazis hat. Unsere Konsequenz daraus muss lauten: Festigen wir unsere eigene Stärke im Zurückdrängen der Nazis! Entwickeln wir unsere spontane Energie der letzten Wochen weiter, die sich z.B. vor drei Wochen mit der großen Beteiligung an der Antifa-Demo in Gaarden oder anhand der vielen kleinen gelaufenen Aktionen offenbart hat, um den Nazis auch gerade wegen der neuen Herausforderungen weiterhin das Leben zu erschweren. Sei es, indem wir ihre Propaganda aus dem Stadtbild entfernen, indem wir ihre öffentlichen Versammlungen stören oder indem wir sie mit antifaschistischer Kreativität immer wieder in ihrem Alltag nerven.

In disem Sinne: Wehrt Euch gegen den Nazi-Aktivismus in Kiel – auf Euren Ebenen, mit Euren Mitteln!
Bleibt aktiv und organisiert Euch gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus – nicht nur im Nazigewand, nicht nur im Wahlkampf!
Keinen Millimeter den Nazis. Niemals und nirgendwo!

Und jetzt noch kurz etwas in eigener Sache: Natürlich dürfen wir beim antifaschistischen Kampf, wenn wir es ernst meinen, unseren Fokus nicht ausschließlich auf die neonazistischen RassistInnen, NationalistInnen, AntisemitInnen und MilitaristInnen legen. Wir müssen überall dort aktiv werden, wo den Nazis aus der so genannten Mitte der Gesellschaft heraus, ein hervorragender Nährboden geschaffen wird.
Aus diesem Grund finden wir es auch äußerst unerfreulich, dass die grüne Kriegstreiberin Angelika Beer mal wieder eine unserer Demos benutzt, um sich um ihr zu Recht abhanden gekommenes linkes Image zurück zu bemühen. Denn wir erinnern uns: Sie war eine der Speerspitzen der rot-grünen Kriegsparteien, die unter dem Deckmantel eines vermeintlichen Antifaschismus und der NS verharmlosenden Lüge von einem neuen Auschwitz im Kosovo, deutschem Großmachstreben wieder zur politischen Normalität verholfen hat! Sie ist mit dafür verantwortlich, dass 1999 mit dem Angriff auf Jugoslawien erstmals seit der Befreiung vom Nationalsozialismus, wieder deutsche Soldaten an einem Angriffskrieg beteiligt waren! Sie hat damit mehr zum gesellschaftlichen Rechtsruck in der BRD beigetragen, als es die Neonazis der NPD wahrscheinlich jemals tun werden.
Wer ernsthaft Lehren aus dem deutschen Faschismus gezogen hat, kann dagegen in dieser Hinsicht nur eines fordern: Die sofortige und totale Wiederentwaffnung Deutschlands!

Aber glücklicherweise sind heute ja außer Frau Beer noch massenhaft andere Menschen auf der Straße, die uns zuversichtlich stimmen, dass wir gemeinsam und solidarisch den Kampf gegen die Nazis und die ganze andere Scheiße in Kiel und anderswo erfolgreich weiterführen können und dabei nicht auf grüne Militaristinnen angewiesen sind. Genug der Worte:
Auf eine stimmungsvolle antifaschistische Demo durch die Kieler City!