Heute, am 8. Mai, erinnern wir dem Ende des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen. Mit dem militärischen Sieg gelang es den alliierten Armeen die deutsche Barbarei zu beendigen. Bei kaum einem anderen Datum, wie bei diesem, wird so viel um die geschichtspolitische Bedeutung gerungen. Dabei bewegt sich der Diskurs in erster Linie zwischen dem Begriff der „Befreiung“ und dem der „Niederlage“.
Mindestens seit der Rede des Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist der Begriff der „Befreiung“ ein weit in das bürgerliche Lager geläufiges Diktum, welches im Allgemeinen zwei Bedeutungsebenen erschließt: Zum einen wird damit keinesfalls der 8. Mai als „Tag der deutschen Niederlage“ bzw. als „nationaler Trauertag“ abgelöst, sondern die militärische Niederlage Nazideutschlands wird mit der Vertreibung der Deutschen aus dem Osten und dem Beginn der kommunistischen Diktatur(en) in Osteuropa gleichgesetzt. Zum anderen wird eine allgemeine Kollektivschuld der Deutschen abgewehrt, indem man zwischen den eigentlichen Täter_innen des Nationalsozialismus – den Nazis und ihrer Helfer_innen – auf der einen Seite und den vermeintlich unschuldigen Deutschen auf der anderen unterscheidet. Diese Deutung des 8. Mai passt in eine Geschichtsideologie, die nur zu gerne Täter_innen-Opfer-Konstellationen einebnet und die Geschichte zu einem allgemeinen Standortvorteil macht.
Nicht erst seit Jörg Friedrichs „Der Brand“ und den ZDF-Historienschnulzen „Dresden“ und „Die Gustloff“ ist die Debatte um deutsche Opfer im Zweiten Weltkrieg beinahe allgegenwärtig. Seit den 1950er Jahren findet das statt, was Ralph Giordano „die Verwandlung der Opfer deutscher Aggression in Schuldner der Geschichte und der Angehörigen der Täternation in ihre Gläubiger“ nennt. Nicht die Verbrechen während des deutschen Vernichtungskriegs und der Shoah stehen im Mittelpunkt der bundesrepublikanischen Nachkriegsdiskurse, sondern die Aufzählung eigener Verluste, die oft in einer Art Multiplikationswettkampf verdoppelt oder verdreifacht wurden. Erst mit dem Generationenwechsel fand auch der historische Rahmen eine Erwähnung. Dabei ist jedoch immer das gleiche Muster einer Geschichtsklitterung zu beobachten: Die Kausalzusammenhänge werden ausgeklammert. Die Bombardierung deutscher Städte und der Notwendigkeit einer deutschen Niederlage werden nicht im Hintergrund der Organisation der Deutschen in einer bedingungslos-treuen Volksgemeinschaft und dem unbedingten Vernichtungswillen der selbigen gegenüber den europäischen Jüdinnen und Juden gesehen. Die deutsche Geschichte von 1933-1945 wird so zu einer Abfolge von Geschichten bzw. „Geschichtchen“, in denen die JH-Flakhelferin zur Zeitzeugin verharmlost wird und bei Guido Knopp eine Filmsequenz vor der Shoah-Überlebenden ihre „Erlebnisse“ berichten darf. Die Gewalt wird so ahistorisch und kontextunabhängig. Es wird suggeriert, dass es keinen Unterschied zwischen deutschen Opfern und den Opfern der Deutschen geben würde. Damit einhergehend wird die Shoah und der Zweite Weltkrieg nicht etwa zu einem Spezifikum deutscher Geschichte erklärt, sondern es findet eine Veräußerung eigener Schuld statt, eine Europäisierung der Verbrechen
Geschichtsbilder haben immer etwas konstitutives, nicht erst in ihrer kulturindustriellen Verarbeitung entfalten sie ihre legitimierende Wirkung für das Gegenwärtige. Die Erwähnung nazistischer Verbrechen in öffentlichen Gedenkfeiern muss so immer als Pendant für die scheinbare „geläuterte, bessere Nation“ nach 1945 herhalten und so die vermeintlich moralische Überlegenheit der postnazistischen Gesellschaft sichern. Daraus ergibt sich, dass der 8.Mai schon längst zu einem „Nationalfeiertag“ der Deutschen verkommen ist. In der Forderung einer Begehung desselben als „Tag der Befreiung“ geht die Linke folglich gegen Positionen vor, die es in dieser Form nicht mehr gibt. Sie geht sogar von dem vollkommenen Irrsinn aus, dass es in Deutschland überhaupt etwas zu Feiern gäbe, außer das endgültige Aus für diese Nation. Ein solches fand jedoch am 8.Mai 1945 nicht statt, sondern war zusammen mit der alliierten Reeducation der Ausgangspunkt für alle neuen Weltmachtbestrebungen. So wurde aus der „Niederlage“ eine „Befreiung“ für die Angehörigen der Täter_innennation.
Jedoch ist der 8. Mai auch ein Tag der Befreiung! Und zwar für die Insassen der Konzentrationslager und Gefängnisse, für die Widerständigen in ganz Europa, für die unter der deutschen Okkupation Leidenden und nicht zuletzt für die Kämpfer_innen der alliierten Armeen und die Partisan_innen. Eine deutsche Befreiung gab es an diesem Tag nicht. Deutschland wurde militärisch zerschlagen – und das ist auch gut so. Doch führt uns diese Ambivalenz dazu, statt für ein Feiern des 8. Mais als „Tag der Befreiung“ einzutreten Adornos kategorischen Imperativ, alles Denken und Handel so einzurichten, dass sich Auschwitz nicht wiederhole, ernstzunehmen. Dies bedeutet, die deutsche Geschichte als Denkmal zu nehmen für Barbarei und den Zivilisationsbruch Auschwitz. Sich von dieser Geschichte zu „befreien“ wäre ein erster Schritt zurück in diese Geschichte.
Für den Kommunismus!
marlenehatesgermany, 8.Mai 2010