Bei den gestrigen schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen hat Hermann Gutsche, der seit 2008 für die Neonazi-Partei NPD im Kieler Rathaus vertreten ist, mit seiner Tarnliste Wahlalternative Kieler Bürger (WAKB) für viele überraschend den Wiedereinzug in die Ratsversammlung der Landeshauptstadt geschafft. Einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 37,1% (46,6% auf Landesebene) und vier Ausgleichmandaten für Überhänge anderer Listen hat der braune Ratsherr zu verdanken, dass trotz realem wie relativem Stimmenverlust im Vergleich zur Kommunalwahl 2008 (1478 NPD-Stimmen/1,7%) die Zustimmung von 810 Kieler/innen (1,1%) zur offen rassistischen und nationalistischen WAKB-Programmatik genügte, um für weitere fünf Jahre als Einzelvertreter im Kieler Rat sitzen zu können. Ihr höchstes Ergebnis erlangte die WAKB erwartungsgemäß in Mettenhof (2,9%/103 Stimmen), wo ein Großteil ihrer Kandidat/innen wohnhaft ist, gefolgt von Elmschenhagen (2,2%/101 Stimmen), Ellerbek/Wellingdorf (2%/66 Stimmen) und Gaarden (1,8%/51 Stimmen).
Vorausgegangen war ein vergleichsweise schwacher Wahlkampf für die rechte Liste, deren Füllmasse vor allem von Mitgliedern des Neonazi-unterwanderten Hobbyfußballclubs Bollstein Kiel gestellt wurde. Stadtweite Postwurfsendungen und ein paar Aufkleber reichten allerdings aus, um das an der Förde traditionell vorhandene braune Klientel ausreichend zu den Urnen zu mobilisieren.
Wieder im Kieler Rat: NPDler Hermann Gutsche (WAKB)
Auch in anderen Kreisen bzw. Städten gelang es Neo-Faschisten, Sitze in den Kommunalvetretungen zu gewinnen: In Neumünster zog Mark Proch, der im vergangenen Jahr als Initiator mehrerer Demonstrationen gegen einen Sexualstraftäter bekannt geworden war, für die NPD ins Rathaus ein, die insgesamt 408 Stimmen (1,6%) für sich vereinnahmen konnte. Im Herzogtum-Lauenburg zog der erst kurz vor der Wahl aus der NPD ausgetretene Kay Oelke in den Kreistag ein, dessen Parteineugründung Rechtsstaatliche Liga (RL) ein Ergebnis von 1,6% (1209 Stimmen) erlangte. Lediglich Ingo Stawitz, NPD-Landesvositzender und Spitzenkandidat im Kreis Pinneberg, verpasste mit 1% (1105 Stimmen) auf Kreisebene und 1,6% in Uetersen sowohl den Einzug in den Kreistag, als auch in den Stadtrat Uetersen.
NPD-Sitz in Neumünster: Mark Proch Ex-NPDler Kay Oelke: Für RL im Kreistag Lauenburg
Insgesamt muss festgestellt werden, dass es neo-faschistischen Bewerbern in Schleswig-Holstein gelungen ist, trotz offenkundiger Schwäche ihrer organisierten Strukturen, interner Zerstrittenheit, nur weniger Kandidaturen und einem kaum zu vernehmenden Wahlkampf, mit niedrigem Aufwand die Anzahl ihrer Ratsvetreter im Land von zwei auf drei zu erhöhen. Das Stammklientel der rechten Listen, das ohne großen Aufwand durch stumpfeste rassistische Hetze und nationalistische Selbstbemitleidung angesprochen werden kann, ist für sie in Schleswig-Holstein weiterhin abrufbar.
Nicht nur die Kandidat/innen von NPD und anderer neo-faschistischer Parteiprojekte gilt es für Antifaschist_innen daher in Wahlkampfzeiten und darüber hinaus im Auge zu behalten, sondern auch das Konglomerat aus rechtem Lifestyle, gesellschaftlichem Stammtisch-Chauvinismus und offensichtlicher wie unscheinbarer Infrastruktur, das ihre Wahlbasis bildet, muss im Blickfeld antifaschistischer Interventionen bleiben. Nichtsdestotrotz sollten sich auch die braunen Ratsherren Hermann Gutsche, Kay Oelke und der Neuling Mark Proch auf eine unruhige Amtsperiode verlassen dürfen.
Update (6.6.13): Leider wurde in diesem Artikel zunächst nicht berücksichtigt, dass Kay Oelke für die Rechtsstaatliche Liga außer mit seinem Sitz im lauenburgischen Kreistag nun auch in der Ratsversammlung von Geesthacht vertreten ist. Zum Wahlausgang der an dieser Stelle bisher ebenfalls noch nicht thematisierten obskur-faschistischen WSDV berichtet die Antifa Pinnberg: „Für die Wir sind das Volk – Deutsche Volkspartei (WSDV), die aus dem Spektrum der „Reichsdeutschen“ kommt und Anfang Mai noch bundesweites Medieninteresse für sich verbuchen konnte weil die zwei Gründer der WSDV, Winfried-Hassan Siebert und Hans Müller aus Norderstedt, sich die Markenrechte für den Slogan „Wir sind das Volk“ gesichert haben, reichte es wie nicht anders erwartet weder für den Einzug in den Kreistag noch in die Norderstedter Stadtvertretung. Angetreten ist die WSDV sowieso nur in Norderstedt und in zwei weiteren Wahlkreisen in Segeberg.“
Weitere Wahlanalysen: LinX | KielKontrovers | Antifa Pinneberg