Mindestens 2000 Menschen demonstrierten am Samstag, 9. November 2019 in Bad Segeberg gegen die dortigen Einschüchterungsversuche und Übergriffe durch den neonazistischen „Aryan Circle“ um Bernd Tödter. Schon am Platz der Auftaktkundgebung war am frühen Nachmittag kein Durchkommen mehr in der Fußgänger*innenzone, soviele Teilnehmer*innen hatten sich zur Demo der Initiative Segeberg bleibt bunt eingefunden.
Neben den mehrheitlich Segeberger*innen und Bewohner*innen der ebenfalls betroffenen Gemeinde Sülfeld waren auch hunderte solidarische Antifas aus ganz Schleswig-Holstein und Hamburg angereist. Allein aus der Hansestadt beteiligten sich rund 300 Menschen an den gemeinsamen Bahnanreisen, auch aus Kiel reisten etwa 50 Antifaschist*innen mit dem Zug an.
Die riesige und in vielerlei Hinsicht heterogene und lebendige Menschenmenge bewegte sich bei guter Stimmung über zwei Stunden durch den Innenstadtbereich, an vielen Ecken ertönten laute antifaschistische Parolen. Eine Gegenkundgebung der Neonazis hatte der Kreis Segeberg zuvor unter Verweis auf den Gedenktag an die Reichsprogromnacht vor 81 Jahren verboten. Stattdessen versammelten sich 10-15 Neonazis polizeilich abgeschirmt und mit Platzverweisen belegt an einem McDonalds-Restaurant außerhalb der Innenstadt. Vereinzelt tauchten am Rande der Demo zwar fragwürdige Gestalten auf, es kam jedoch zu keinerlei Störversuchen.
Bei den zahlreichen Redebeiträgen lag Licht und Schatten nah beieinander. Positive Bezüge einzelner Redener*innen auf die sogenannte deutsche Wiedervereinigung wirkten an diesem Tag in Anbetracht des damit einhergegangenen Aufstieg des Neo-Faschismus in Deutschland genauso deplatziert, wie in Anbetracht der offensiv zur Schau gestellten Aggression von Tödters Nazibande.die vorauseilende Mahnung zur Gewaltfreiheit. Positiv herauszustellen sind dagegegen die Erinnerung an die antisemitische Reichspogromnacht von 1938 und dessen Mahnung zum „Nie wieder!“ oder der Hinweis auf die fatale Schwächung antifaschistischer Strukturen in Bad Segeberg durch die Räumung des „Hotel am Kalkberg“ (HaK) vor genau sieben Jahren. Dass die jüngste Erstarkung der lokalen Naziszene mit der Existenz eines aktiven linken Jugendzentrums in dieser Form nicht denkbar gewesen wäre, drückte auch die treffende Parole „Dieter Schönfeld räumt das HaK, jetzt gibt’s Nazis in der Stadt!“ aus.
Die Demo endete gegen 16 Uhr mit musikalischen Beiträgen auf dem Marktplatz im Bad Segeberger Zentrum. Das Gro der auswärrtigen Antifaschist*innen reiste zeitnah ab. 14 Neonazis um Tödter, Daniel Schmidt und Marcel Steenbuck zogen sich abermals nach Sülfeld in einen Vorgarten des dortigen Eichenwegs zurück, wo sie sich einem Trinkgelage hingaben. Die Lage blieb dort die Nacht über angespannt, eskalierte jedoch nicht.
Die gestrige Demo war ohne Frage eine beeindruckende Antwort von Zivilgesellschaft und Antifa auf die Nazi-Umtriebe in Bad Segeberg und Umland. Eine Aktion solcher Größenordnung ist auf den Straßen Segebergs alles andere als alltäglich oder gar selbstverständlich. Das Zusammenwirken verschiedener Spektren unter der Parole „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ ist in Anbetracht der konkreten Bedrohungslage, die die politisch zwar isolierte, aber äußerst aggressive Nazibande vor Ort derzeit erzeugt, das Gebot der Stunde. Nun kommt es darauf an, das sichtbar gewordene Potenzial für schlagkräften antifaschistischen Selbstschutz nutzbar und auch jenseits solch erfolgreicher Mobilisierungen im Alltag abrufbar zu machen. Dies wird die Aufgabe aller Antifaschist*innen in Bad Segeberg, aber genauso au den den umliegenden (größeren) Städten sein. Gelingt das, dürfte der „Aryan Circle“ genauso schnell wieder auf dem Müllhaufen der Geschichte landen, wie er auf der Bildfläche erschienen ist.