Wenn wir heute anlässlich der nun leider schon 13 Jahre andauernden Geschichte des nicht unbedeutenden Nazitreffs „Club 88“ für dessen lang überfällige Schließung auf der Straße sind, lohnt es sich auch, einen Blick auf die Entwicklungen seines unmittelbaren BesucherInnenklientels zu werfen: Der Neonaziszene Schleswig-Holsteins. Denn hier kann mensch seit etwa zwei Jahren Veränderungen wahrnehmen, die sich zumindest ansatzweise auch in deren Nutzung des „Club 88“ niederschlagen.
Nachdem die ersten und auch erfolgreichsten Jahre des „Club88“ vor allem geprägt waren durch Nähe zur neonazistischen Musik- und Skinheadszene und Verbindungen z.B. zum „Blood+Honour“-Netzwerk, wurde es Mitte dieses Jahrzehnts vergleichsweise ruhig um die schwarze Box in Gadeland. Die BesucherInnenzahlen gingen zurück, Teile des einstigen festen Umfelds des „Club88“ war gealtert und inaktiv geworden oder mittlerweile in anderen unpolitischen, sogenannten „kriminellen Millieus“ aktiv. Es schien an Nachwuchs zu fehlen, die jungen Saufnazis vergnügten sich lieber in der „Titanic“ in der neumünsteraner Innenstadt.
Dies war u.a. ein Ausdruck eines allgemeinen Wandels in der schleswig-holsteinischen Naziszene. Die Strukturen des noch aus Ende der 1990ern hervorgegangenen Spektrums der „freien Kameradschaften“, das sogar Anfang des Jahrtausends unter Führung von Nazikader Peter Borchert die Führung in der schleswig-holsteinischen NPD übernehmen konnte, war mit dem Versuch „Combat18“-Strukturen aufzubauen und nach Tankstellenüberfällen selbst für die deutschen Repressionsorgane zu weit gegangen. Wichtige Nazi-Aktivisten diese Spektrums – wie z.B. Peter Borchert – sahen sich mit Gefängnisaufenthalten konfrontiert, waren in in dessen Folge unter einander zerstritten und außerdem zumindest in der NPD politisch entmachtet worden.
Um 2005 war die schleswig-holsteinische Neonazisszene dominiert und geführt von einem sich eher spießbürgerlich gebenden NPD-Landesverband, der die Reste der offen gewalttätigen Kameradschaftsszene in sich integrieren und weitestgehend ruhig halten konnte. Darüber hinaus war nicht viel los. Öffentliche Auftritte von Nazis waren – das können wir zumindest für die Landeshauptstadt Kiel sagen – dementsprechend geprägt vom isolierten, regungslosen „Hinter-Bullenketten-Stehen“, umzingelt von wütenden AntifaschistInnen. In Anbetracht dessen wurden Versuche von Aufmärsche, Kundgebungen und Demos ob der wenig motivierenden Situation immer seltener. Mit Ausnahme des Wahlkampfauftaktes in Steinburg 2005 fand Nazigewalt selten am Rande von offiziellen Nazi-Veranstaltungen statt, sondern hauptsächlich in Verbindung mit Alkohol und abseits politischer Aktionen.
Vor etwa 2 Jahren änderte sich diese Tendenz in Schleswig-Holstein wieder: Die bundesweite Nazi-Trenderscheinung „Autonome Nationalisten“ erreichte auch den Norden und verbreitete sich von Kiel aus – wo dieser Prozess durch die Haftentlassung Peter Borcherts erheblich beschleunigt wurde – im nahezu gesamten Bundesland. Selbsternannte „Aktionsgruppen“ sprossen wie Pilze aus dem Boden, mal als Internet-Phantom, oft aber auch begleitet von einem hohen, extrem gewaltfixierten Aktionismus. Bisherige Höhepunkte dessen waren z.B. zwei Angriffsserien auf linke bzw. alternative Läden in Kiel in den vergangenen 1 ½ Jahren, der Brandanschlag auf das alternative Kulturzentrum T-Stube in Rendsburg diesen Sommer oder auch die verschieden Angriffen auf Antifas in Neumünster in den letzten Monaten.
Schwerpunkte dieser modernisierten Kameradschaftstrukturen mit neuen Namen, manchmal anderen Klamotten und höherer Aktionsflexibilität haben sich seitdem vor allem in Kiel, im Kreis Steinburg, in Dithmarschen, aber auch hier in Neumünster oder in Rendsburg herausgebildet. Diese sind untereinander vernetzt: Man fährt gemeinsam zu Nazidemonstrationen auch in andere Bundesländer, unterstützt sich gegenseitig bei eigenen Aktionen und betreibt ein gemeinsames Internetportal.
Im Unterschied zu früheren Jahren gibt es trotz der Erneuerung des offen neonazistischen und gewaltfixierten Spektrums allerdings keinen offen wahrnehmbaren Flügelkampf in der rechten Szene Schleswig-Holsteins. Im Gegenteil: Gerade erst in den letzten Wochen wurde wiederholt deutlich, dass „Aktionsgruppen“ und NPD, deren Mitglieder sich ohnehin überschneiden, wie es z.B. nicht nur im Fall von Peter von der Born ist, eng miteinander kooperieren: Der insgesamt vergleichsweise spärliche Land- und Bundestagswahlkampf wäre ohne die Mithilfe der erlebnisorientierten Aktionsgruppen wohl noch dürftiger ausgefallen. Aktionsgruppen und NPDlerInnen hängten zusammen Plakate auf, verklebten Aufkleber und NPD-Vorzeigespießer Ingo Stawitz fuhr sogar einträchtig mit einer der Führungspersonen der „Aktionsgruppe Kiel“, Daniel Zöllner, in einem alten Wohnmobil durch Teile Schleswig-Holsteins und beschallte die Umwelt mit schlechten Reden.
Aber auch die „Aktionsgruppen“ durften wie schon bei den letztjährigen Kommunalwahlen wieder ihre eigene aktionistische Note mit in den diesjährigen Wahlkampf einbringen: In Kiel, vor allem im Stadtteil Wik, versuchten bewaffnete Neonazis in diesem Jahr verstärkt NPD-Nazipropaganda vor PlakatpflückerInnen zu beschützen, am vergangenen Wochenende kam es sogar zu einem brutalen Angriff auf eine Gruppe alternativer Jugendlicher in zeitlicher und räumlicher Nähe zu einer Anti-NPD-Wahlkampfparty in der Alten Meierei. Und auch anderorts gab es am selben Wochenende Beispiele für den Wahlkampfalltag der NPD: So wurde z.B. Lübeck das Büro der Partei DIE LINKE von Nazis massiv bedrängt.
Dass es nun zu Beginn der Woche in Schwarzenbeck zu einem explizit rassistischen, glücklicherweise fehlgeschlagenen Brandanschlag auf ein Lokal eines migrantischen Betreibers kam, ist unerträglicher Ausdruck einer qualitativen Verschärfung dieser allgemeinen Tendenz innerhalb der Naziszene. Diesen und allen anderen Betroffenen von Nazigewalt sprechen wir an dieser Stelle unsere ausdrückliche Solidarität aus!
Der derzeitige Zustand der schleswig-holsteinischen Nazisszene lässt sich also zusammenfassend als politisch nach wie vor an der NPD orientiert beschreiben, wobei die sich meist bürgerlich gebende faschistische Wahlpartei auf die Unterstützung der oft jungen und motivierten „Aktionsgruppen“ angewiesen ist, sich aber auch auf diese verlassen kann. Im Gegenzug scheinen die zeitweisen Gewaltexzesse der Aktionsgruppen vom gemäßigteren Parteiflügel akzeptiert zu werden.
Um den Bogen zurück zum Anlass unserer heutigen Demonstration zu schlagen: Auch im Club88 hat die Wiederbelebung vorgeblich „freier“ Nazistrukturen Spuren hinterlassen: Aus dem erklärten Interesse dieser neuen Nazigeneration heraus, die Existenz eines ihrer bundesweit wenigen, ausdrücklich nationalsozialistischen Treffpunkte zu sichern und zu nutzen, scheint der „Club88“ in den letzten 1 ½ Jahren eine kleine Renaissance innerhalb der Naziszene zu erleben. Nicht nur, dass erstmalig wieder größere Veranstaltungen abseits der obligatorischen Geburtstagsfeiern stattfanden, der „Club88“ wurde am 1. Mai dieses Jahres von norddeutschen Nazis, die zur zentralen Nazidemo nach Hannover wollten, als Treffpunkt und Ausgangspunkt der späteren Spontandemo in Itzehoe seit langem wieder als offene Infrastruktur für politische Tätigkeiten genutzt. Wie’s damit weiter geht und wie sich’s mit der zweiten aktuellen Komponente des Club-Lebens verträgt, der Verwicklung des „Club88“ durch ehemalige Naziführungskader in unpolitische Rockerkriege, bleibt zu beobachten.
Wie auch immer: Die insgesamt erstarkte offen neonazistische Szene in Schleswig-Holstein, die immer das Fundament des Club88 gewesen ist, macht eine offensive alltägliche antifaschistische Praxis und das Anliegen der heutigen Demonstration umso erforderlicher:
13 Jahre sind 13 Jahre zu viel – Club88 endlich dichtmachen!
Nazi-Aktionsgruppen, NPD und alle anderen rassistischen, nationalistischen und/oder antisemitischen Scheißbanden zerschlagen!
Übernehmt Verantwortung: Organisiert die autonome Antifa!