Solidarität mit allen Betroffenen neonazistischer Gewalt! In den letzten Monaten kam es bundesweit zu einer Vielzahl neonazistischer Gewalttaten: Mitte Mai jagten Neonazis, nach dem gescheiterten Versuch einer Demonstration durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg, Migrant_innen, Journalist_innen und Gegendemonstrant_innen durch einen U-Bahnhof und verletzten diese dabei teilweise schwer. Ende Mai wurden im sächsischen Limbach-Oberfrohna Jugendliche bei dem Ausbau eines neuen Infoladens, der alte Infoladen wurde durch einen Brandanschlag im November 2010 zerstört, von Nazis verbal bedroht. Später attackierten 20 vermummte Neonazis das Gebäude mit Flaschen und Steinen.
In Buchholz bei Hamburg sind Ende Juni zwei Jugendliche aufgrund ihres Engagements in der Partei Die Linke von stadtbekannten Neonazis geschlagen und mit dem Messer bedroht worden. In der Nacht vom 26. auf den 27. Juni 2011 kam es zu einer Reihe von fünf Brandanschlägen auf alternative Läden, Projekte und Wohnhäuser in Berlin bei denen Todesopfer billigend in Kauf genommen wurden.
Different places – same shit…
So unterschiedlich die Schauplätze dieser Geschehnisse auch sind, so eindeutig und lächerlich sind die Ursachenanalysen von Massenmedien und Politik. Da ist die Rede von linken und rechten Gewalttäter_innen, die sich in ihrer Auseinandersetzung gegenseitig hochschaukeln würden. So seien die fünf Brandanschläge in Berlin eine Reaktion auf Angriffe gegen einige Berliner Nazi-Funktionäre und -Aktivisten gewesen, die zeitlich kurz zuvor von Unbekannten attackiert und leicht verletzt worden waren. Damit muss seitens der Politik um den Berliner Innensenator Körting mal wieder die oft beschworene Gewaltspirale herhalten um neonazistische Gewalttaten verharmlosen zu können und die Ursachen für diese Exzesse unter den Teppich zu kehren. Diese Gleichstellung geschieht jeweils unter der Bezugnahme auf die Extremismusdoktrin, dem neuen (oder wiederentdeckten) Lieblingsspielzeug zur Wahrung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung. In dessen Zuge werden emanzipatorische Positionen der politischen Linken mit der Menschenverachtung der Nazis, antifaschistischer Selbstschutz mit faschistischen Mordanschlägen, blaue Flecken bei Nazi-Kadern mit angezündeten Wohnhäusern gleichgesetzt. Das diese Brandanschläge weder Teil einer Gewaltspirale im Rahmen eines Bandenkrieges zwischen links und rechts, noch die Tat verwirrter EinzeltäterInnen sind, beweist ein Blick auf die neonazistischen Aktivitäten in Berlin während der letzten eineinhalb Jahre. So sind linke Wohnprojekte, Kneipen, Parteibüros von Grünen, der Linken oder der SPD, Autos und Wohnungen von Einzelpersonen von einer Vielzahl rechter Angriffe, vom verkleben der Türschlösser bis zum Einwerfen der Scheiben, betroffen gewesen. Auch Brandstiftungen zählten schon vor den Anschlägen vom 26./27.06 zum Repertoire der von den Nazis gewählten Mittel.
Wie die Vorfälle in Berlin müssen natürlich auch die Angriffe in Buchholz oder der sächsischen Provinz in den entsprechenden Kontext gesetzt werden.
…von Bandenkriegen und „persönlichem Streit“
Die Angreifer von Buchholz kamen aus dem nahegelegenen Tostedt, eine niedersächsische Kleinstadt, wo körperliche Übergriffe auf Antifaschist_innen und deren Umfeld zeitweise an der Tagesordnung waren und noch immer zum Alltag gehören. In der Tostedter Gesellschaft sind Neonazis akzeptiert und integriert, über staatliche Subventionen konnten Anlaufpunkte für potenzielle NeueinsteigerInnen und zur Stärkung der eigenen Strukturen geschaffen werden. Antifaschistischer Protest wird auch hier unter Rückgriff auf die sogenannte Extremismusbekämpfung kriminalisiert und gezielte Angriffe von organisierten Nazis auf Antifaschist_innen durch die Polizei entpolitisiert. So wurde ein Angriff von 15 Neonazis auf eine Wohngemeinschaft in der Nähe von Tostedt, in dessen Folge zwei Schwerverletzte im Krankenhaus notversorgt werden mussten, offiziell zu einer “Auseinandersetzungen zwischen Jugendbanden” runtergespielt. In einem anderen Vorfall ähnliches Ausmaßes, wurde die Sache zu „zu einem persönlichen Streit, der seit geraumer Zeit existierte“ verdreht. Um diese rechte Hegemonie in Tostedt zu brechen hat sich im Oktober letzten Jahres die Kampagne „Landfriedensbruch“ gegründet, die von verschiedenen antifaschistischen Gruppen getragen wird. Wie soll es auch anders sein, müssen sich auch die Genoss_innen von der Kampagne immer wieder mit lokalpolitischen Behinderungen auseinandersetzen, so z.B. dem Verbot einer Kundgebung im Innenstadtbereich oder die Untersagung der Nutzung einer örtlichen Skateanlage für eine Veranstaltung unter dem Motto „Skaten gegen Nazis“.
Unterm Teppich liegt ne Menge Dreck
Diese Beispiele von neonazistischer Gewalt sind weder Folge einer herbeiphantasierten Gewaltspirale, noch Teil eines entpolitisierten Bandenkrieges, diese Angriffe sind keine Ausnahmen sondern alltägliche Realität. Die Ursachen für nazistische Gewalttaten liegen in einer Ideologie, die ein organisches Verständnis von Nation, Volk oder Rasse als essentielle Einheiten zugrunde legt, welches ein starr konstruiertes Freund/ Feind-Denken hervorbringt. Als Feinde gelten alle diejenigen, die durch diese Ideologie als minderwertig angesehen werden und somit nicht in ihr verqueres Bild einer Volksgemeinschaft passen, sei es aufgrund von Herkunft, sexueller Orientierung oder politischer Gesinnung. Hinzu kommt ein faschistisches Ideal der Männlichkeit, welches sich über Kampf und Opferbereitschaft definiert und im Sinne dieser barbarischen Tugenden für eine neue nationalsozialistische Volksgemeinschaft auch bereit ist, bewusst Menschenleben durch nächtliche Brandstiftungen oder Angriffe anderer Art zu gefährden.
Umso zynischer klingt es, dass die schon mehrfach erwähnte Extremismusdoktrin das Grundgerüst dieser bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung vor Angriffen von links und rechts schützen soll. Dabei ist es doch gerade diese kaputte, auf Ausbeutung, Unterdrückung und Konkurrenz aufbauende Gesellschaftsordnung, welche auch immer wieder kaputte Nazis hervorbringt
Dass es zu rassistischen Übergriffen, zu Angriffen auf Linke und zur Verbreitung von Vernichtungs- und Ausgrenzungsideologien kommt, werden wir innerhalb dieser Verhältnisse – die es nicht nur aus diesem Grund zu verändern gilt – leider niemals verhindern können. Wir können uns aber bemühen, damit den bestmöglichen Umgang zu finden. Zum größtmöglichen Schutz vor Naziaggressionen setzen wir auf eine breite antifaschistische Bewegung, d.h. auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Menschen, die in der Lage sind, aus einem emanzipatorischen Selbstverständnis heraus zu jeder Zeit und an jedem Ort selbstständig und selbstbewusst Nazis im Alltag zu widersprechen und zu widerstehen.
Unerlässlich dabei ist ein antifaschistischer Selbstschutz, der nicht nur darauf ausgerichtet ist in einer Abwehrhaltung zu verharren, sondern offensiv und vorausschauend gegen neonazistische Strukturen vorgeht. Durch verschiedenste Aktionsformen kann Nazis verdeutlicht werden, dass ihre Ideologie und ihr Verhalten immer auch entsprechende Konsequenzen und Widerstand nach sich zieht und ihnen gleichzeitig das Gefühl der Sicherheit ihrer herbeiphantasierten Volksgemeinschaft genommen wird.
Dies schließt natürlich ganz zentral die praktische Solidarität mit Betroffenen von Nazigewalt ein. Wir solidarisieren uns mit den Betroffenen Projekten und Personen und wünschen euch Kraft und Mut!
Solidarität mit allen Betroffen neonazistischer Gewalt!
Extremismusdoktrin zum Teufel jagen!
Für einen offensiven antifaschistischen Selbstschutz!