Im Namen des Kommunalen Kinos, der Rosa Luxemburg Stiftung und der Autonomen Antifa-Koordination Kiel begrüße ich Euch alle recht herzlich zur Aufführung des Films „Die Geige aus Cervarolo“, der die im Jahr 2011 zu Ende gegangenen Prozesse vorm Militärgericht in Verona gegen ehemalige deutsche Wehrmachtssoldaten der Division Hermann Göring dokumentiert, die während des 2. Weltkriegs an verschiedenen Massakern in Norditalien beteiligt gewesen sind. Diese Veranstaltung findet statt im Rahmen der bundesweiten Filmreihe „Mai piu fascismo“ – italienisch für „Nie wieder Faschismus“ – die in diesem und im nächsten Monat in sechs deutschen Städten halt macht. Hinter „Mai piu fascismo“ verbergen sich verschiedene Gruppen aus der antifaschistischen Linken, die sich zum Ziel gesetzt haben, die jahrzehntelange Forderung der Überlebenden und Angehörigen der Opfer der Massaker nach Gerechtigkeit, der mit den Urteilen von Verona nach 67 Jahren des Verschleppens erstmalig auch von staatlicher Seite entsprochen wurde, auch dorthin zu tragen, wo die Täter – im Gegensatz zu vielen ihrer Opfer – bis heute eine gesicherte und ungestörte Existenz verbringen können. Denn von der vorgeblich geläuterten Bundesrepublik Deutschland ist in dieser Hinsicht auch im Jahre 2012 nichts zu erwarten: Weigert diese sich doch nicht nur, die Nazi-Täter auszuliefern oder selbst juristisch zur Verantwortung zu ziehen, sondern mit größter Vehemenz auch, als rechtliche Nachfolgerin des NS-Terrorstaates für materielle Entschädigungen aufzukommen, zu denen sie – nicht nur in Verona – zum wiederholten Male verurteilt wurde.
Die Auswahl der Städte, in denen unsere Filmtour halt macht, ist insofern nicht willkürlich. Im Gegenteil zeigen wir „Die Geige aus Cervarolo“ an bzw. in der Nähe derjenigen Orte, an denen die durch die Prozesse von Verona öffentlich gewordenen NS-Täter ihre Altersruhe verbringen. In Kiel machen wir Station, weil einer von ihnen, der 93jährige Erich Koeppe, nur wenige Kilometer die Förde ostwärts von hier, in Laboe lebt. Erich Koeppe war – so das Gericht von Verona – als Oberleutnant der selbsternannten Eliteeinheit Division „Hermann Göring“ maßgeblich mitverantwortlich für Massaker in Monchio, Susano und Constrignano. Nach dem Krieg verlebte er, schenkt man unseren spärlichen Informationen von Laboer Anwohner_innen Glauben, einen für Schleswig-Holstein idealtypischen Werdegang eines Nazi-Täters: Als Mitarbeiter der Landesregierung ohne materielle Not zunächst in Kiel und in den letzten 25 Jahren in Laboe lebend, galt er als gebildet und charmant, reiste gern, war im Dorf angesehen und offenbar nicht im größeren Maßstab politisch aktiv. Seine in Wehrmachts-Uniform verübten Verbrechen während des Nationalsozialismus sind nie Thema der lokalen Öffentlichkeit gewesen.
Am vergangenen Freitag erreichte uns die Nachricht, dass drei der Verurteilten von Verona in den Berufungsprozessen, die letzte Woche in Rom stattgefunden haben, freigesprochen wurden, darunter auch Erich Koeppe aus Laboe. Was für die Überlebenden und Angehörigen der Opfer ein Schlag ins Gesicht gewesen sein dürfte, ändert für uns nichts an der Motivation, heute Abend über ihre Verbrechen aufzuklären. Schließlich erfolgten die Freisprüche nicht, weil irgendwer die Zugehörigkeit der erstinstanzlich Verurteilten zur Division „Hermann Göring“ oder gar die Massaker an sich bezweifelt, sondern weil die ihnen individuell zur Last gelegten Taten für das Gericht in Rom juristisch nicht mehr zu 100% wasserdicht bewiesen werden konnten, was nach 67 Jahren der Verschleppung auch keine große Überraschung darstellen sollte.
Wir verstehen diese jüngsten Entwicklungen vielmehr als nachdrückliche Aufforderung, eine der letzten Gelegenheiten zu nutzen, am konkreten Beispiel zu benennen, wer aufrichtig im Sinne der Menschlichkeit und wer verbrecherisch gehandelt hat und damit wenigstens ein Stückchen Gerechtigkeit von unten zu schaffen. Wir wollen es deshalb auch nicht bei der heutigen Filmaufführung belassen, sondern planen, auch in den kommenden Monaten über den NS-Täter Erich Koeppe als ein benennbares Beispiel für viele Deutsche seiner Generation aufzuklären, und darüber hinaus die Widersprüchlichkeit zwischen propagierter Läuterung der deutschen Nation einerseits und der notorischen Weigerung, die Opfer des NS-Terrors zu entschädigen, andererseits, offenzulegen. Nicht zuletzt deshalb übrigens, weil diese behauptete Läuterung eine der Voraussetzungen dafür ist, dass die gegenwärtige chauvinistische und kriegerische deutsche Außenpolitik überhaupt erst wieder in dieser Form möglich wurde.
Wer Interesse hat, mit uns an dem Thema dranzubleiben, möge in der näheren Zukunft regelmäßig nach Ankündigungen unsererseits die Augen und Ohren offen halten.
Zum Ablauf des heutigen Abends: Wir werden jetzt den Film zeigen, danach schlagen wir eine fünfminütige (!) Pause vor, bevor wir im zweiten Teil des Abends Mathias Durchfeld und Nico Guidetti das Wort übergeben. Den beiden haben wir nicht nur den Film zu verdanken, sondern freuen uns außerordentlich, dass sie heute Abend vor Ort sind, um auch in eigenen Worten über die Prozesse und seine Hintergründe zu berichten. Es gibt wahrscheinlich wenige Menschen, die diesbezüglich kompetenter wären, denn Mathias und Nico haben sowohl die Prozesse, insbesondere die Zeugen, begleitet und sind als Mitarbeiter des ISTORECO – Institut für die Geschichte der Resistenza und Zeitgeschichte Reggio Emilia so etwas wie Experten für den Themenkomplex italienischer Faschismus, deutsche Besatzung, antifaschistischer Widerstand und italienische Nachkriegsgesellschaft.
Wir freuen uns über das das zahlreiche Interesse und wünschen uns allen einen erkenntnisreichen Abend!