Vor zwei Wochen veröffentlichte das Recherche-Portal Correctiv die Teilnehmer*innen und Inhalte einer nicht-öffentlichen Diskussionsrunde einflussreicher Vertreter*innen der elitären Rechten, die im November im Landhaus Adlon in Potsdam stattgefunden hat. Die ans Licht gebrachten Details sorgen seitdem bundesweit für Empörung und Widerspruch: Führungspersonal der AfD traf hier auf den rechten Rand der CDU und „Werteunion“, Adlige wie Alexander von Bismarck und finanzstarke Vertreter des deutschen „Mittelstandes“, um hinter verschlossenen Türen u.a. dem Chefstrategen der deutschsprachigen „Identitäten Bewegung“ (IB), Martin Sellner, zu lauschen. Dieser referierte vor der aufgeschlossenen Zuhörer*innenschaft seinen ganz konkreten „Masterplan“, um beim zukünftigen Machtantritt einer rechten Regierung unter Führung der AfD im großen Stil ein nach völkisch-rassistischen Maßstäben homogenes Deutschland herzustellen.
Brutaler Kern dieser Überlegungen ist es, Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte, aber auch alle anderen, die ihnen als „undeutsch“ gelten, zu vertreiben und zu deportieren. Ohne Übertreibung werden hierin offenkundige Parallelen zur rassistischen NS-Bevölkerungspolitik deutlich. Organisiert wurde die prominent gewordene Ausgabe der regelmäßig stattfindenden „Düsseldorfer Runde“ von dem extrem rechten Netzwerker Gernot Mörig. Im Hintergrund agierte zudem der Unternehmer Hans-Christian Limmer, bis vor Kurzem u.a. Mitgesellschafter der Burgerkette „Hans im Glück“. Die beträchtlichen Gelder, die auf dem Treffen gesammelt wurden, sind in IB-Strukturen geflossen.
All diese Zusammenhänge, die den alarmierenden Status Quo des rechten Spektrums, seines Selbstbewusstseins, seiner Programmatik und seiner Unterstützer*innen erschreckend treffend einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht haben, erfahren derzeit eine erfreuliche mediale Aufmerksamkeit und treiben bundesweit Zigtausende gegen die perfiden Deportationsphantasien auf die Straße. Auch in Kiel demonstrierten am Sonntag nach der Veröffentlichung beeindruckende 8000 Menschen spontan gegen AfD, „Werteunion“ und Faschismus. Die führenden Protagonist*innen des Treffens werden derzeit ausführlich beleuchtet, einige mussten bereits zumindest kurzfristige Konsequenzen aus dem Outing ziehen.
Was bei der großen Aufmerksamkeit bisher jedoch eher ein Randaspekt geblieben ist, ist die Tatsache, dass einer der gerade einmal 22 Teilnehmer*innen ein in Kiel wirkender renommierter Heilpraktiker ist: Henning Pless, Betreiber einer Praxis in der Ringstraße 54.
Auch wenn Pless penibel darauf bedacht ist, seine politischen Hintergründe zu verschleiern, kann er auf eine lange Biographie in der extremen Rechten zurückblicken und gerät nicht zum ersten Mal in den Fokus von Antifaschistinnen. Höchste Zeit also, dass sein Background wieder zu der Aufmerksamkeit zurück findet, die ein Teilnehmer der Postdamer Faschistinnentagung verdient.
Der Darmexperte aus der „Heimattreuen Jugend“: Das Doppelleben des Henning Pless
Dass Henning Pless, Jahrgang 1967 und wohnhaft im Kreis Plön, in der völkischen Rechten aktiv und gut vernetzt ist, ist keine Neuigkeit. Er entstammt dem Sumpf der völkisch-neonazistischen Jugendbünde und war nach ihrer Gründung im Jahr 1990 Bundesvorsitzender der „Heimattreuen Jugend“ (HJ). Diese nannte sich später in „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) um und wurde schließlich 2009 als Nachfolgeorganistation der offen an der Hitlerjugend orientierten „Wiking Jugend“ verboten. Auch Gernot Mörig, der Veranstalter der Potsdamer Deportationstagung, entstammt den Vorgängerstrukturen der HJ und war schon in den 1970er Jahren am Aufbau von Dietmar Muniers rechten Verlagsimperium „Lesen und Schenken“ beteiligt. Dieses hat seinen Sitz in Martensrade (Kreis Plön). Munier ist ebenfalls ein Zögling und Funktionär der „heimattreuen“ Jugenden und wiederum enger Vertrauter von Pless. Zusammen bauten sie den geschichts- und gebietsrevisionistischen “Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Ostpreußen e.V.” und “Aktion Deutsches Königsberg” auf. Das zentrale Projekt dieses Vereins ist die “Wiederansiedlung von Deutschen” in dem russischen Dorf Jasnaja Poljana – also der alte Kolonialtraum der NS-Faschist*innen vom „Lebensraum im Osten“. Henning Pless war in diesem Zusammenhang auch für die Ausrichtung der “ZUERST! Lesertreffen” verantwortlich, die in Ziel- und Zusammensetzung dem Konzept der „Düsseldorfer Runde“ als rechter Think Tank nahezu identisch waren. Zu den Teilnehmer*innen gehörte z.B. NPD-Barde Frank Rennicke. Mit seinem Auffliegen als Teilnehmer von Potsdam schließt sich insofern nur ein Kreis, der auf eine Jahrzehnte lange Geschichte zurückweist. Da helfen auch keine medial verbreiteten faulen Ausreden, Pless sei dort erst nach dem zum Skandal gewordenen Vortrag des IB-Faschisten Martin Sellner hinzugestoßen.
Schon vor zehn Jahren machten Antifaschist*innen Pless‘ stets im Verborgenen gehaltene Aktivitäten im Rahmen der Kampagne An die Substanz öffentlich und rückten insbesondere seinem damaligen „Heilcentrum Pless“ am Europaplatz auf die Pelle. Die antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit schlug durchaus Wellen, auch bei dem esoterisch geprägten Kund*innen seiner Heilangebote und Ernährungstipps. Pless reagierte entsprechend allergisch auf die Kundgebungen und Aktionen vor der Praxis, hetzte die Polizei auf Demonstrant*innen und ging mit Anzeigen gegen Aktivist*innen vor. Nichtsdestotrotz waren seine neonazistischen Machenschaften zu dieser Zeit zumindest einer kritischen Öffentlichkeit bekannt. In den folgenden Jahren wurde es wieder ruhiger um Pless, auch, weil er sich noch bedeckter hielt als zuvor. Mittlerweile ist seine Praxis hier in die Ringstraße 54 umgezogen und kann als renommiert unter esoterischen Heilpraktiker*innen angesehen werden. In den sozialen Netzwerken tritt Pless darüber hinaus als „Darmexperte“ durchaus erfolgreich als Influencer für Ernährungsberatung in Erscheinung. Auch abseits der völkischen Rechten pflegt Pless schon immer gute Kontakte: So war er noch 2020 Teilnehmer eines Charity Events von Holstein Kiel, obwohl Pless‘ rechte Biographie schon damals gut dokumentiert nachprüfbar gewesen ist.
Damit muss Schluss sein! Es ist mittlerweile mehrfach nachgewiesen: Henning Pless ist ein Nazischwein durch und durch, nicht anders sollte er bewertet und behandelt werden. Einen gelungenen Anfang machten die 6000 Antifaschistinnen, die am vergangenen Freitag ihren lautstarken Widerspruch direkt vor Pless‘ Praxis trugen. Daran gilt es als Antifaschist*innen in den kommenden Wochen anzuknüpfen.