Etwa 150 Menschen von nah und fern besuchten am 7. November 2021 die Möllner Rede in Gedenken an die Opfer der rassistischen Brandanschläge von 1992 im Exil im Kieler Schauspielhaus. Zeitgleich verfolgten 50 Gaardener*innen trotz widriger Witterungsbedingungern ihre Live-Übertragung am Bahide-Arslan-Platz. Zudem wurde die Rede im Internet gestreamt. Neben Angehörigen der Familie Arslan, die das Wort ergriffen, wurde die Hauptrede in diesem Jahr vom stetig wachsenden Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992 gehalten, der den Familien in ihrem Kampf um ein würdiges und selbstbestimmtes Gedenken aus Betroffenenperspektive seit vielen Jahren solidarisch zur Seite steht.
Im Anschluss an die bewegende Veranstaltung besuchten Familienmitglieder und Freund*innen geschlossen den Bahide-Arslan-Platz. Die lokalen Organisator*innen danken allen Beteiligten für den in jeder Hinsicht besonderen Nachmittag und eine wahrhaftige Sinfonie der Solidarität gegen den mörderischen Rassismus in diesem Land. Die Rede lässt sich auch nachträglich online ansehen: www.youtube.com/watch?v=mlISzzoH6Qk
„Gedenken ist für mich die reinste Form des Erinnerns.
Für mich bedeutet das, dass ich mich an die Ermordeten erinnern kann. Yeliz Arslan, Ayşe Yılmaz, Bahide Arslan.
An all die schönen Momente mit ihnen. An die gemeinsamen Ausflüge, an die vielzähligen Picknicke, an gemeinsame fröhliche, aber auch traurige Lebenssituationen.
An die gemeinsamen Kämpfe, an die Verluste, und die Erfolge, an das Davor, aber leider nicht mehr an das danach.
Für mich bedeutet Gedenken, mich daran zu erinnern, dass sie nicht mehr bei uns sind, aber dennoch mit uns.Gedenken ist unser alltäglicher Begleiter, es ist ein Bestandteil unseres Lebens.
Gedenken bestimmt für mich Raum und Zeit, dennoch gibt es keinen Raum, den es ausfüllt oder abschließt. Es gibt für das Gedenken keine Amtszeit, sodass wir es nach einer Legislaturperiode ersetzen oder absetzten können.
Das Gedenken bestimmt unseren zeitlichen Geist, mal tut es uns weh, mal ist es befreiend.
Gedenken ist Wut, Trauer, Widerstand, aber auch Ruhe und Gelassenheit.Gedenken ist sich nicht zu beugen, trotz fehlender Staatsbürgerschaft, ohne gleiche Rechte, ohne Anerkennung, ohne Privilegien. Gedenken ist trotz all dem zu kämpfen, für Gerechtigkeit, gegen Barrieren und für die Freiheit.
Gedenken ist für mich Solidarität mit Betroffenen auf Augenhöhe, es ist ein politischer Prozess mit der Gesellschaft aber auch mit uns selbst. Es bedeutet die Betroffenen und Angehörigen anzuerkennen, es bedeutet heute über das Vergangene zu sprechen, das Gegenwärtige in den Vordergrund zu holen und die Zukunft einzufordern.
Es gibt viele Erfahrungen und Geschichten, viele Verletzungen, viele Wünsche und Bedürfnisse, viele Perspektiven.
Gedenken bedeutet sie zu hören, aus der Vereinzelung zusammenzubringen, zu vernetzen und so Erinnerungspolitiken herauszufordern.
Gedenken bedeutet Verantwortung zu tragen und zu wissen, dass wir nicht nur an die Ermordeten gedenken, sondern auch an die, die es überlebten, weil Rassismus weiterhin ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und davon immer noch viele betroffen.
Gedenken ist Vertrauen, Vertrauen an diejenigen, die das Gedenken gemeinsam mit uns gestalten und gemeinsam einfordern.“ (Ibrahim Arslan)
Fotos: Ulf Stephan (Kieler Arbeiterfotografen) / Chichi aus Prinzip