Zum ersten Jahrestag des rassistischen Mordanschlags von Hanau am 19. Februar 2020 wurde auch in Kiel auf vielfältige Art und Weise seiner Opfer gedacht. Zu einer zentralen Gedenkkundgebung am Nachmittag hatten das Kollektiv afrodeutscher Frauen (KOA) und die Gruppe EmBIPOC – Empowerment von Black, Indigenous und People of Color eingeladen. An dieser beteiligten sich 100Teilnehmer*innen und zusätzlich 200 Zuhörer*innen rund um den abgegrenzten Kundgebungsort am Asmus-Bremer-Platz. Die Veranstaltung hätte unter den derzeitigen Umständen der Pandemie gebührender nicht sein können.
„Hanau war kein Einzelfall, der Täter kein psychisch Verwirrter sondern ein Rassist. Wenn rechtes und rassistisches Gedankengut in diesem Land weiter keimen können, wird sich Hanau wiederholen, so wie es sich in der Vergangenheit wiederholte.
Nicht wir sind in diesem Land falsch, sondern sie sind es.
Die, die sich dem Rassismus nicht entgegenstellen.
Die, die über rassistische Witze lachen.
Die, die am Stammtisch fröhlich rechte Parolen mitgröhlen.
Die, die sich aufgrund ihrer Hautfarbe und Haarfarbe für erhöht halten.
Die, die leugnen, dass es Rassismus gibt.“ (KOA)
Des Weiteren haben etwa zehn Aktivist*innen mit Plakaten, Tapeten und einem Lautsprecher am Vinetaplatz und am Germaniahafen für kurze Momente des Gedenken gesorgt. Dabei wurde das Lied „Bist du wach?“ und Redebeiträge der Hinterbliebenen abgespielt und auch die Namen verlesen. Am Vinetaplatz blieben viele Menschen stehen, manche nahmen sich sogar ein Plakat und stellten sich dazu. Es war still, auf dem sonst so lebendigem Ort in Gaarden. Bei der Aktion am Germaniahafen kam es dagegen zu Störungen durch Rassist*innen. So wurden die Aktivist*innen hier aus dem sechsten Stock der dortigen Luxusappartements mit Eiern beworfen.
Neben zahlreichen Plakaten und einzelnen Graffitis, die zur Erinnerung an die Morde von Hanau im ganzen Stadtgebiet verbreitet wurden, entstanden am Asmus-Bremer-Platz, am Germania-Hafe sowie am Bahide-Arslan-Platz temporäre Gedenkorte, die erfreulich große Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnten. In Kiel-Gaarden haben Antifaschist*innen außerdem drei Straßen umbenannt. Seit der Nacht auf Freitag erinnern die Mercedes-Kierpacz-Straße (ehemals Iltisstraße) und die Vili-Viorel-Păun-Straße (ehemals Gazellenstraße) an Todesopfer rassistischer Gewalt in Deutschland. Wenige Tage später wurde zudem die Ferhat-Unvar-Straße (ehemals Medusastraße) geschaffen. Die den deutschen Militarismus und Kolonialismus verherrlichende Verweise auf Kriegsschiffe verschwanden zugunsten des Gedenkens an die Opfer rassistischer Morde in der BRD. Auf Aushängen wurden die Anwohner*innen über die Hintergründe der Umbenennungen in Kenntnis gesetzt, außerdem wurden in den Straßen Plakate mit den Porträts aller neun Ermordeten verklebt.
Das Zusammenspiel der vielfältigen Aktionen hat ermöglicht, dass Antirassist*innen und Antifaschist*innen auch von Kiel aus
gemeinsam mit den Angehörigen, Familien und Freund*innen der Opfer das würdige Gedenken an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin lebendig halten konnten und sich dem bundesweiten Aufruf zum Widerstand gegen Rassismus und rechten Terror trotz andauerndem Ausnahmezustand angeschlossen haben.
„Ferhat, Said, Hamza, Vili, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat, Gökhan.
Eure Erinnerung aufrechtzuerhalten ist unser Kampf.
Euer Tod ist gleichzeitig auch unser Versagen als Antifaschist*innen.
Euer Gedenken heißt, dass wir unsere eigenen Rassismen erkennen, hinterfragen und aufbrechen.
Euer Gedenken heißt, dass wir keine rassistische, rechte Gewalt unbeantwortet lassen.
Der Kampf für ein besseres Morgen muss dort beginnen, wo Faschist*innen offen auftreten.
Unser Versprechen gilt Euch, euren Familien, und allen Menschen, die tagtäglich unter rassistischen Mechanismen leiden.
Wir werden unsere Privilegien nutzen, und die Faschist*innen mit allen notwendigen Mitteln bekämpfen.
Keine rechte Tat wird unbeantwortet bleiben, weder auf der Straße noch in den Parlamenten. Wir werden die Täter benennen, und sie mit voller Härte bekämpfen.
Wir wissen wer sie sind. Das tut auch der Staat.
Doch wenn auf ihn kein Verlass ist, dann wird Antifaschismus zum Selbstschutz.
Das verpflichtet uns unser Selbstverständnis.„ (Einige Antifaschist*innen)