Ein Großteil zog anschließend weiter zum Asmus-Bremer-Platz, um sich einer Versammlung der „Corona Rebellen Kiel“ entgegen zu stellen. Hierbei handelt es sich um einen weiteren losen Zusammenschluss, in dem sich diverse Facetten der seit einigen Wochen bundesweit auf die Straßen drängenden „Corona-Skeptiker*innen“ vereinen. Das Bild auf dem Asmus-Bremer-Platz war, anders als die Aktionen des „Demokratischen Widerstands“ in den drei Wochen zuvor, deutlich weniger durch vordergründig alternative Akteure geprägt, vielmehr dominierten Wutbürger*innen mittleren Alters die Szenerie. Antifaschist*innen postierten sich mit einem meterlangen Transparent im Rücken der Pseudo-Rebellen und stellten klar: „Verblödete Eso-Hippies und reaktionäre Chauvinisten-Männer sind kein Widerstand.“
Erstmalig zogen die Teilnehmer*innen mit ihrer Mahnwache gegen gesellschaftliche Solidarität in Zeiten der Pandemie auch als Protestspaziergang durch die Innenstadt. Nach einem konfus anmutenden Aufbruch bewegten diese sich zunächst zum Alten Markt und zum Schlossgarten und anschließend wieder zurück durch die Holstenstraße zum Holstenplatz, wo die Versammlung nach einer Stunde aufgelöst wurde. Begleitet wurde der skurrile Aufzug, bei dem Grundgesetz, Alukugel, Besorgnis und Verschwörungsblödsinn Hand in Hand gingen und „Die Gedanken sind frei“ geträllert wurde, von antifaschistischen Protesten. Immer wieder kam es zu hitzigen Diskussionen, Pöbeleien und dem Rufen der Parole „Mit rechten Spinnern Hand in Hand, das ist Euer Widerstand!“. Ab Alter Markt begleiteten deshalb vermehrt Polizeikräfte das Geschehen.
Auch am Sonntagnachmittag flankierten 30 Antifaschist*innen eine Kundgebung aus dem Umfeld der rechtsoffenen Parteieninitiative „Widerstand 2020“ an der Kiellinie mit Protest. Während bei dieser etwa 40 Teilnehmende eineinhalb Stunden lang Redner*innen, die aus unterschiedlicher Perspektive für einen verantwortungslosen Umgang mit der Corona-Pandemie warben, zuhörten, wurden an die Passant*innen hunderte Flugblätter der Kampagne Nationalismus ist keine Alternative verteilt, in denen sich kritisch mit Verschwörungsideologien auseinandergesetzt wird.
Inhaltlich ging es bei den „Corona-Skeptiker*innen“ um die üblichen Themen: Neben nachvollziehbaren Existenzsorgen und Unverständnis über bestimmte soziale Kontaktverbote, wurde ausführlich über die Personalie Bill Gates gesprochen, eine Meinungsdiktatur beschworen und gegen Impfungen agitiert. Einige Teilnehmer*innen trugen abermals aus dem verschwörungsideologischen Spektrum entlehnte Alukugeln, ein Redner aus Flensburg versuchte sich als brüllender Aufhetzer der nicht anwesenden Massen. Während die Organisator*innen bemüht schienen, allzu absurde oder offen rechte oder antisemitische Positionen nicht zu bedienen, hielten sich am Rande der Kundgebung mindestens vereinzelt bekannte Rechte auf. Bereits am Freitagabend hatten sich 25 ihrer Sympathisant*innen von „Widerstand 2020“ vor dem Landeshaus versammelt.
Es besteht in Anbetracht der bundesweiten Entwicklung der sozialdarwinistischen und verschwörungsideologischen Straßenproteste, bei denen Neofaschist*innen ausdrücklich geduldet werden, für Antifaschist*innen kein Zweifel, dass diese auch in Kiel weiter aufmerksam beobachtet und mit Widerspruch konfrontiert werden müssen. Angesichts der Vielzahl von Klein- und Kleinstaktivitäten muss sich organisierter Protest jedoch zwangsläufig fokussieren. Alle Antifaschist*innen sind daher aufgerufen, aufmerksam zu bleiben und auch eigeninitiativ zu handeln.
Auf keinen Fall dürfen Linke zudem in die Falle tappen, sich in den nächsten Wochen ausschließlich an den rechtsoffenen, irrationalen und im Sinne des Kapitals agierenden Pseudo-Rebellen abzuarbeiten. Es gibt im Corona-Ausnahmezustand genügend Fehlentwicklungen und Verschärfungen zu kritisieren, die realen Widerstands bedürfen. Für kommenden Samstag etwa ruft die Seebrücke Kiel zu einer Kundgebung für die sofortige Evakuierung aller Geflüchtetenlager auf. Auch im Anschluss an diese Aktion besteht gegebenenfalls die Möglichkeit, etwaige weitere Aufläufe von anti-solidarischen Corona-Demonstrant*innen antifaschistisch zu begleiten. Für Sonntag hat der „Widerstand 2020“ desweiteren eine weitere Kundgebung an der Kielline angekündigt. Es bleibt also, wie so oft, genug zu tun.