Wir dokumetieren eine Veröffentlichung vom Verein zur Förderung der politischen Bildung in Gaarden e.V. und der Wagengruppe Schlagloch vom 19.12.2018 sowie weitere Pressemeldungen (Update 21.12.18).
- Brandanschlag auf Ladenfassade des linken Projekts Li(e)ber Anders in Gaarden
- Rechter Hintergrund der Tat offensichtlich
- Bundesweite Reihe von Brandanschlägen auf linke Zentren wird Nutzer*innen nicht einschüchtern
In der Nacht des Mittwoch, 19. Dezember 2018 wurde gegen 1.30 Uhr ein Brandanschlag auf die Außenfassade des linken Treffpunkts Li(e)ber Anders in der Iltisstraße in Kiel-Gaarden verübt. Im äußeren Eingangsbereich entfachten die Täter*innen ein Feuer, dessen Flammen die Eingangstür beschädigten. Ein Schwelbrand sowie die starke Rauchentwicklung griff dabei auch auf das Ladeninnere im Erdgeschoss über. Die von Anwohner*innen alarmierte Feuerwehr konnte den Brand schnell löschen, bevor das Feuer auf das Wohnhaus übergehen konnte. Dies hätte Gefahr für Leib und Leben der Bewohner*innen der Stockwerke darüber bedeutet.
Die Täter*innen verwendeten als Brennstoff politische Transparente, die schon im Oktober am alternativen Bauwagenplatz Schlagloch in der Werftbahnstraße entwendet worden sind und entzündeten diese. Ein politischer Hintergrund des Brandanschlags ist damit offensichtlich: Er richtet sich gegen linke Strukturen und Räume in Kiel, aus denen heraus seit Jahren immer wieder auch wichtige antifaschistische Arbeit in dieser Stadt geleistet wird. Dass es sich bei den Täter*innen um rechte Akteur*innen handelt, kann somit als gesichert angesehen werden. Bereits in den vergangenen Wochen wurden wiederholt Nazi-Parolen wie „Rotfront verrecke“ an das Gebäude gekritzelt.
Der Vorfall ereignet sich zu einem Zeitpunkt, an dem sich Brandanschläge auf linke und emanzipatorische Räume bundesweit wieder auffällig häufen. Allein im Rhein-Main-Gebiet waren in den letzten Wochen fünf Projekte betroffen, auch in Berlin kam es zu schweren Brandstiftungen. Diese können nicht losgelöst von einem gesellschaftlichen Klima betrachtet werden, das in den letzten Jahren immer weiter nach rechts gerückt ist und die Hetze nicht nur gegen Migrant*innen und Geflüchtete, sondern auch gegen Linke massiv verstärkt hat. Dass diese immer wieder vor allem auch von der sogenannten Mitte entfacht wird, zeigt die aktuell von Bundesinnenminister Seehofer lancierte Debatte um ein Verbot der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe. Es ist ein bekanntes Muster, dass sich rechte Brandstifter*innen von solchem Rückenwind bemüßigt fühlen, zur Tat zu Schreiten. Auch in Kiel wurde zuletzt öffentlichkeitswirksam gegen die Rote Hilfe gehetzt. Deren Kieler Ortsgruppe trifft sich im Li(e)ber Anders.
Das Li(e)ber Anders ist ein seit zehn Jahren bestehendes, selbstorganisiertes emanzipatorisches Stadtteil-Projekt in Gaarden, dessen Räumlichkeiten von politischen Initiativen genutzt werden und Begegnungsort von Anwohner*innen sind. Hier treffen sich linke Gruppen, hier finden antirassistische Cafés für Menschen mit oder ohne deutschen Pass statt, hier wird Raum bereit gestellt, um Widerstand gegen Verdrängung und Entwürdigung zu entwickeln, hier gibt es aktuelle Informationen aus politischen und sozialen Bewegungen, hier wird gemeinsam gekocht oder Kaffee getrunken – ohne kommerzielle Interessen. Auch der Wagenplatz Schlagloch, den es seit Anfang 2017 auf verschiedenen (besetzten) Flächen Kiels gibt, stellt einen Ort der politischen, kreativen und solidarischen Entfaltung dar. Daran werden auch nächtliche rechte Angriffe nichts ändern. Die Nutzer*innen des L(i)eber Anders sowie die Wagengruppe Schlagloch rufen im Gegenteil dazu auf, die bevorstehenden öffentlichen Veranstaltungen beider Projekte zu Zusammenkünften der ntifaschistischen Solidarität zu machen und ihre Räumlichkeiten mit Leben zu füllen. Am Donnerstag gibt es im und vorm Li(e)ber Anders um 17 Uhr Glühwein für alle.
Rückfragen über: antifa-kiel[at]riseup.net
Weitere Infos: lieberanders.gaarden.net | schlagloch.blogsport.eu | www.antifa-kiel.org
Presseartikel:
Rechte unter Verdacht (taz vom 21.12.18)
Anschlag auf alternatives Zentrum
Im Kieler Stadtteil Gaarden haben Unbekannte Feuer vor einem linken Treff gelegt. Die Polizei möchte trotzdem nicht von einem Anschlag reden.
HAMBURG taz | Die Eingangstür zum linken Zentrum „Li(e)ber Anders“ in Kiel-Gaarden ist verkohlt. Angesengte Stoffreste liegen herum, Rauch hat Spuren an der Hauswand hinterlassen. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag haben Unbekannte hier „Leib und Leben der Bewohner“ gefährdet, sagt Julia Schmidt von der Autonomen Antifa-Koordination Kiel und betont, dieser „Brandanschlag“ sei von rechts motivierten Tätern erfolgt. Die Polizei möchte nicht von „Anschlag“ sprechen.
Anwohner hatten den Schwelbrand und die starke Rauchentwicklung bemerkt und die Feuerwehr gerufen. Als Brennstoff verwendeten die Täter Transparente mit politischen Botschaften, die im Oktober von dem Bauwagenplatz „Schlagloch“ entwendet worden waren.
Für Schmidt ist das ein Indiz dafür, dass die Täter aus der politisch rechten Ecke kommen. Ein weiterer Hinweis sei laut Schmidt, dass in den vergangenen Wochen wiederholt rechtsextreme Parolen wie „Rotfront verrecke“ an das Gebäude gekritzelt wurden.
„Nur Laken gebrannt“
„Die Ermittlungen laufen“, sagt ein Pressesprecher der Polizei Kiel der taz. Das Wort „Anschlag“ wolle er für den Vorfall aber nicht wählen. Vor der Tür hätten Laken gebrannt, sagt der Sprecher. Nicht mehr. Ein Anschlag wäre doch anders vorbereitet worden und auch anders verlaufen, so der Sprecher. In die Statistik rechter Gewalttaten wird dieser Vorfall also nicht einfließen.
„Im Zuge eines gesellschaftlichen Rechtsrucks stellen wir fest, dass die Hemmschwellen weiter gefallen sind“, sagt Thorsten Nagel, Leiter des regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus des Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt. Die regionalen Beratungen seien 2018 auch gestiegen, sagt Nagel.
Diese Beobachtung deckt sich mit den offiziellen Zahlen zu Hasskriminalität in Schleswig-Holstein. Im Jahr 2017 lag das Bundesland mit 1,63 Taten pro 100.000 Einwohner in der bundesweiten Statistik auf Platz 1 der westdeutschen Länder.
Das linke Zentrum „Li(e)ber Anders“ in Kiel-Gaarden gibt es seit zehn Jahren. Die Räume werden von verschiedenen Initiativen genutzt. Es gibt etwa ein antirassistisches Café für Menschen mit oder ohne deutschen Pass. „Antifaschistische Arbeit findet in den Räumen auch statt“, sagt Schmidt. Der Angriff, versichert sie, werde die Aktivitäten des Zentrums nicht ausbremsen.
Möglicher Brandanschlag (Kieler Nachrichten vom 21.12.18)
Solidarität mit linkem Laden in Kiel
War es der erste rechtsextreme Anschlag auf Linke seit Jahren in Kiel? Für Antifa, Wagengruppe Schlagloch und den Verein hinter dem linken Szenetreff Li(e)ber Anders in Kiel-Gaarden ist klar: In der Nacht zu Mittwoch wurde der Brand hier gezielt gelegt. Die Polizei „ermittelt in alle Richtungen“.
Von Niklas Wieczorek
Behördensprecher Matthias Felsch erläuterte, dies bedeute Blicke „nach links, rechts und geradeaus“. Federführend ist das Kommissariat 5, in dem politische Kriminalität behandelt wird. Eine Verortung der Straftat bedeute das aber noch nicht, heißt es von der Polizei.
Solidarität auch international
Zum solidarischen Glühweintrinken versammelten sich gestern Abend etwa 80 Unterstützer vor dem Laden. Auch sonst sei der Beistand groß, sagte Julian Schmidt, einer der Aktivisten. Botschaften der Verbundenheit kamen nach seinen Angaben von vielen Initiativen aus Kiel und sogar aus Barcelona und Manchester.
Politiker schalten sich ein
Sorgen machen diese Ereignisse auch Lasse Petersdotter, Kieler Landtagsabgeordneter der Grünen und zuständig für Strategien gegen Rechtsextremismus: Zwar liegen ihm „keine näheren Erkenntnisse“ zu dem Vorfall vor, doch sei wichtig festzuhalten, „dass es offenbar der erste dokumentierte Anschlag auf linke Strukturen in Kiel seit Langem war“. Die Polizei konnte gestern nicht mehr zweifelsfrei klären, wann es letztmals ähnliche Ereignisse gegeben hatte.
Auch Nachbarn sind geschockt
Petersdotter sagte zum Vorfall in Gaarden: „Diese Sprache ist ein Mittel des Rechtsextremismus, die sagen soll: Ihr seid hier nicht willkommen. Doch dass die Rechten hier Territorien abstecken, wird nicht gelingen.“ Aus dem Wahlkreisbüro um die Ecke kam der SPD-Bundestagsabgeordnete Mathias Stein und sprach von einem „Anschlag auf viele Leute, die links sind oder auch einfach für Demokratie stehen“. Ebenfalls in der Nachbarschaft wohnt Claudia Schmidt, in deren Augen die mutmaßlich rechte Zündelei „total derbe“ ist: „Das findet hier niemand lustig.“