Bis zu 300 Antifaschist_innen waren am Samstag, 23.4. 2016 gegen eine weitere rassistische Kundgebung von „Neumünster wehrt sich“ in der mittelholsteinischen Stadt auf der Straße. Gerade einmal 45 Neonazis aus ganz Schleswig-Holstein und Hamburg führten eine zweistündige Kundgebung in der Einöde des polizeilich abgeriegelten Rudolf Weißmannplatzs am Rande der neumünsteraner Innenstadt durch. Bereits am Mittag waren zuvor etwa 150 Antifaschist_innen, die größtenteils mit Zügen aus anderen Städten angereist waren, lautstark vom Bahnhof zum Weißmannplatz demonstriert. An der parallel begonnenenen und über den Nachmittag aufrecht erhaltenen Kundgebung des Bündnis gegen Rechts in Seh- und Hörweite der Nazi-Kundgebung beteiligten sich durchgehend weitere 100 Menschen. Um den Platz herum versammelten sich Antifaschist_innen an allen weiteren Zugängen und Sichtfenstern.
Antifaschist_innen beschimpften die Neonazis während deren Kundgebung von den weiträumigen Polizeiabsperrungen und einem anliegenden Parkhaus aus. Ein direktes Agieren gegen die Hetzkundgebung wurde durch tatkräftige Kollaboration der polizeilichen Einsatzleitung mit den Neonazis verunmöglicht. Bereits eineinhalb Stunden vor dem eigentlichen Kundgebungsbeginn war der Großteil der Neonazis zwar knapp, aber noch vor Eintreffen der antifaschistischen Gegendemonstrant_innen sicher auf den von Hamburger Gittern weiträumig umzäunten Parkplatz geleitet worden. Vorab getroffen hatt sich die knapp 30 Personen umfassende Gruppe zuvor am Stör-Park im Haart. Zur unbeschadeten Abreise stellte die Polizei gar einen ganzen Reisebus zur Verfügung, half fleißig beim Einräumen der Demotechnik aus der rechten Kneipe Titanic und karrte die Rassist_innen geschlossen aus dem umzingelten Terrain.
Der Preis der relativen Sicherheit war für die Neonazis jedoch abermals das Fehlen nahezu jeglicher Öffentlichkeit. Außer der wenigen direkten Anwohner_innen des Parkplatzes werden lediglich die Gegendemonstrant_innen von den über zwei Stunden ausgedehnten Hetzreden und grottigen Musikeinspielungen mitbekommen haben. Nachdem die Teilnehmer_innenzahl und Spektrenbreite von „Neumünster wehrt sich“ schon beim letzten realisierten Auftritt im Januar einen ersten Einbruch im Vergleich zu ihrer Premiere im November 2015 erlebt hatte und nur 80 statt über 100 RassistInnen ihrer Mobilisierung gefolgt waren, beteiligten sich nach der kurzfristigen Absage Ende Februar nun nur noch 45 Erkenntnisresistente an der rechten Parkplatzschau. Auffällig war, dass im Unterschied zum Januar das gesamte lokale wie landesweite Führungspersonal der NPD durch Abwesenheit glänzte, was auf andauernde interne Streitigkeiten und Intrigen unter den aktuellen und vormaligen „Neumünster wehrt sich“-Organisatoren zurückzuführen sein dürfte.
Als einziger Überraschungsgast aus dem Parteienspektrum trat lediglich der Hamburger NPD-Greis Uwe Schäfer als Redner in Erscheinung, die Anmeldung übernahm nach Riemkes erlogenen „Sportunfall“, der zur Absage im Februar führte, nun erstmalig der Nazi-Neuling Sven Späthmann. Die restlichen Beteiligten setzten sich neben wenigen weiteren Zaungästen aus dem rechten Neumünsteraner Sumpf aus den üblichen angereisten Nazigrüppchen um Sebastian Struve aus Eutin, Hauke Haak und Mario Herrmann aus Kiel und Hamburger Kameradschaftsnazis zusammen. Von den ursprünglich einmal ersehnten rassistischen Bürger_innen fehlte jede Spur.
Nicht ohne Grund zeigten sich die Initiatoren im Nachklang enttäuscht über die geringe Beteiligung an der Nazi-Kundgebung. Auch wenn der Handlungsspielraum für Antifaschist_innen vor allem durch den enormen Aufwand der Polizei, die Rechten zu beschützen, an diesem Tag begrenzt blieb und es nicht möglich war, über die verbale Konfrontation hinaus zu gehen, ist der Beitrag der kontinuierlichen antifaschistischen Mobilisierungen gegen „Neumünster wehrt sich“ kaum zu unterschätzen. Dass der von den Neonazis angesprochene Kreis aufgrund der unattraktiven Rahmenbedingungen ihrer Veranstaltungen zusehens zusammenschrumpft und die Aufläufe nahezu keine öffentliche Wirkung entfalten können, ist vor allem der Verdienst von hunderten Antifaschist_innen, die durch ihre Anwesendheit jedes Mal dafür gesorgt haben, dass „Neumünster wehrt sich“ nur hinter Polizeigittern und in der randstädtischen Peripherie existenzfähig ist. Damit dies mindestens so bleibt, sich aber besser zügig vollständig erledigt, sind alle Antifaschist_innen auch in den kommenden Monaten dazu aufgerufen, den Druck auf die RassistInnen aufrecht zu erhalten und auch weiteren Aufmarschankündigungen von Riemke, Späthmann und Co. entschlossen zu begegnen. Politisch sollte dabei vor allem auch die unrühmliche Rolle der Polizei bei der Ermöglichung der wiederkehrenden rassistischen Zusammenrottungen in der Schwalestadt im Fokus der antifaschistischen Gegenmobilisierungen stehen.
Presse: SHZ | KN | NDR-Reportage