Liebe Genoss_innen, liebe Antifaschist_innen, liebe Glinder_innen!
Wir demonstrieren hier heute in Glinde abermals gegen den den Laden „Tönsberg“, der nun leider schon seit fast zwei Jahren Nazis, rechtsoffenene Deppen und ignorante Geschmackslegastheniker aus Hamburg und Schleswig-Holstein mit seinen durch nationalistische, rassistische und faschistische Symbolik durchtränkten Klamotten versorgen kann. Das kapitalistische Prinzip lehrt uns nicht wenig penetrant: Dort wo sich ein Angebot über einen längeren Zeitraum auf dem Markt halten kann, muss auch eine entsprechende Nachfrage vorhanden sein. Nun denn, werfen wir doch mal einen Blick in die Landschaft des potentiellen Tönsberg-Kundenkreises in Schleswig-Holstein.
Wer die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein vor zwei Wochen verfolgt hat, musste leider zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass es neofaschistische Wahllisten gelungen ist, immerhin drei ihrer Kandidaten für die nächsten fünf Jahre in Rathäuser und Kreistage zu schicken und das, trotz eines weitestgehend nicht wahrnehmbaren Wahlkampfes und Kandidaturen in gerade einmal vier Kreisen landesweit.
Der NPDlerHerrmann Gutsche konnte trotz sinkender Wähler/innenzahlen seinen Sitz in der Kieler Ratsversammlung verteidigen, diesmal nicht unter dem NPD-Label, sondern für die Tarnliste “Wahlalternative Kieler Bürger” (WAKB). Auch Kay Oelke, der erst kurz vor der Wahl aus der NPD ausgetreten war, erreichte mit seiner Splittergruppe “Rechtsstaatliche Liga” im Herzogtum-Lauenburg mit 1,6% der Stimmen das nötige Ergebnis für die Verteidigung seines Sitzes im Kreistag, wie auch für den Einzug ins Geesthachter Rathaus. Ebenso Mark Proch, der in Neumünster offen für die NPD angetreten war, konnte sich auf genügend Nazi-Wähler/innen verlassen und sitzt nun im Neumünsteraner Rathaus. Die nüchterne Bilanz aus antifaschistischer Perspektive am Wahlabend war damit, dass es neo-faschistischen Bewerbern in Schleswig-Holstein gelungen ist, die Anzahl ihrer Ratsvertreter im Land von zwei auf drei bzw. vier zu erhöhen.
Welche Schlüsse müssen wir also daraus ziehen, wenn es dem hiesigen Rechtsaußenlager gelingt, ein gemessen an seiner allgemein desolaten Verfassung und den Erwartungen im Vorfeld durchaus als Erfolg zu benennendes Wahlergebnis zu erzielen? Zur Erinnerung: Die schleswig-holsteinische NPD und ihre Umfeldstrukturen befinden sich seit einigen Jahren im stetigen Niedergang, das vergangene Jahr steht exemplarisch dafür: Auf der Straße entpuppte sich die Neonazi-Szene als so schwach, dass sie über ein nur äußerst bescheidenes Mobilisierungspotenzial verfügt, dass den dreistelligen Bereich an Teilnehmer/innen bei ihren Aktionen nur mit viel Mühe anticken kann und auch darüber hinaus nicht fähig ist, ihre Demonstrationen durchzusetzen. Dies hat sie am 1. Mai 2012 in Neumünster vor viel Publikum vorgeführt. Konsequenz ist eine öffentliche Präsenz von organisierten Neonazis, die sich aktuell auf wenige, in der Regel unangekündigte Stände und Kleinstkundgebungen meist auf Dörfern und in Kleinstädten beschränkt, beunruhigende Ausnahmen waren die nicht expliziten Nazimobilisierungen zum Thema sexueller Missbrauch von Kindern vor allem in Leck und Neumünster, wo Neonazis, darunter besagter Mark Proch, entsprechende Wutbürger-Proteste mit zeitweisem Erfolg angeführt haben. Selbst das einzige regelmäßige Event der Szene mit zumindest einer gewissen Ausstrahlungskraft, der sogenannte „Trauermarsch“ in Lübeck, ist seit diesem Jahr endgültig die Fahrt nach Walhalla angetreten und auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, was sicherlich der genannten abgenommenen Mobilisierungskraft, vor allem aber ausgeprägten und andauernden parteiinternen Querelen geschuldet ist. So haben im vergangenen Jahr verschiedene wichtige Personalien die NPD im Streit verlassen, zum einen z.B. der einstige Anmelder des Lübecker Trauermarsches Roland Siegfried Fischer aus Kiel, zum anderen als aktuellstes Beispiel mitten im angelaufenen Wahlkampf genannter Kay Oelke aus Lauenburg. In Kiel musste Herrmann Gutsche nach dem Wegbrechen der zwischenzeitlich sehr aktiven freien Strukturen um die „AG Kiel“ gar auf den nazi-unterwanderten Hobbyfußballclub „Bollstein Kiel“ zurückgreifen, um seine Wahllisten zu füllen. Dessen Mitglieder scheinen für alles andere mehr geeignet als zu dessen krampfhaft bürgernaher Parteipolitik. Bei den freien Kräften sieht es keinesfalls anders aus: Zwar in einigen Landesteilen mit bekannten Begleiterscheinungen in Form von Nazipropaganda und Übergriffen noch existent und aktiv, vor allem in Nordfriesland, Stormarn und Ostholstein, ist der politische Aktivismus und die Vernetzung aber nicht annähernd mehr mit dem zwischenzeitlichen Hype von „autonomen Nationalisten“ in S-H vor wenigen Jahren zu vergleichen. Auch das faschistische Spektrum jenseits der NPD und klassischen Freien kann hier bis dato nicht in größerem Maßstab in dieses tendenzielle Vakuum vordringen: Die „Freiheit“, die „Identitären“ oder auch die „Rechte“ sind zwar mal mehr, mal weniger existent, wirkliche Relevanz konnten sie aber bisher auf keinem Gebiet erzielen.
Kurzum: Organisierte Nazi-Strukturen kriseln in Schleswig-Holstein nicht erst seit gestern größtenteils vor sich hin und doch haben faschistische Parteien ihre Sitze in den Rathäusern und der Glinder „Tönsberg“ genügend Kund/innen und – apropos! – nicht nur der. Denn was Antifaschist_innen und kritische Journalist_innen zwar regelmäßig aufdecken, aber in der antifaschistischen Praxis bisher oft zu kurz gekommen ist, ist eine nicht zu unterschätzende rechte Geschäftswelt und Infrastruktur, die teilweise bundesweit Ausstrahlungskraft hat. Allein in der und um die Landeshauptstadt Kiel gibt es so einige Läden, deren Betreiber/innen und teils auch Sortiment einige Unappetitlichkeiten zu bieten haben – einige Beispiele seien im Folgenden genannt: Der Regin-Verlag aus Kiel, vor allem aber das Verlagsimperium von Dietmar Munier in Martensrade (Kreis Plön) versorgen die ganze Bundesrepublik mit nationalistischer, verschwörungstheoretischer, militaristischer und faschistischer Literatur. Letzterer kann gar mit Großkalibern wie der Zeitschrift „Zuerst!“ – einer Art Focus für Neonazis – oder der „Deutschen Militärzeitschrift“ aufwarten, die zum Standartsortiment von Bahnhofsbuchhandlungen gehört. Eine namhafte Heilpraxis, das „Heilcentrum Pless“ wird mitten in der Kieler Innenstadt von Henning Pless betrieben, einem in den frühen 1990ern als Vorsitzender der „Heimattreuen Jugend“ bekannt gewordenen Neonazi, der heute vor allem im Bereich des organisierten Gebietsrevisionismus eine prägende Funktion einnimmt. In Kiel-Gaarden existiert seit einigen Monaten der Laden PLS-Werkzeuge, der von dem langjährigen Nazischläger und Mittlerweile-Bandido Alexander Hardt geschmissen wird. Dieser gehört zum Umfeld des ebenfalls immer noch existenten Club88 in Neumünster, der immerhin schon seit 15 Jahren einer der bekanntesten Treffpunkte der Neonaziszene in ganz Deutschland ist, wenngleich mit abnehmender Relevanz. In derselben Stadt ist die Kneipe Titanic nicht nur Anlaufpunkt für die rechte Szene der Region, sondern wird von dem seit seiner diesjährigen Kandidatur für die NPD mittlerweile sogar offen als Nazis selbst erklärten Horst Micheel betrieben. In Nessendorf (Kreis Plön) war mutmaßlich sogar der NSU beim langjährig bekannten NPD-Unterstützer Eckart August Reiten, dessen Eselspark zu den führenden Ausflugstipps schleswig-holsteinischer Reiseführer gehört. Und hier in Glinde, da schließt sich der unvollständige Kreis der rechten Wirtschaftswelt, wird die Szene eingekleidet, um sich fesch auf rechten Events zwischen grauzonigen „Wir sprechen Deutsch – ehrlich und laut!“-Stumpfrock-Festivals in Schacht-Audorf, Freiwild-Konzerten in Dithmarschen, Kategorie-C-Konzerten in Flensburg, Kiel oder Neumünster und Nazi-Liederabenden an geheimgehaltenen Orten zur Schau zu zu stellen. Denn all sowas gab es in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahren an mal mehr, mal weniger beachteter rechter Erlebniswelt ebenfalls.
Dass überdies in einigen Teilen des Landes Nazi-Übergriffe auch ohne sich öffentlich spektakulär in Szene setzende Gruppen zum Alltag gehören, belegen zu viele Beispiele. Deshalb nur ein aktuelles, durchaus erschreckendes Beispiel aus der Schleiregion vor den Stadttoren Eckernfördes, die Antifaschist_innen nicht erst seitdem als Hochburg von dörflichen Nazicliquen bekannt ist: In Kosel belagerten am diesjährigen Himmelfahrtstag über ein Dutzend Neonazis unter Naziparolen, Böllerwürfen und Hitlergrüßen das Grundstück einer iranischen Familie und bedrohten diese über einen langen Zeitraum ungestört. Erst als die Polizei nach Stunden genügend Kapazitäten frei gemacht hatte, löste sich der Nazi-Mob auf.
Wenn wir also den rechten Sumpf, der auch in Schleswig-Holstein zwar nicht immer übermäßig stark, aber zwischen einflussreichen Publizisten, unscheinbaren Geschäftsleuten, NPD-Umfeld, Nazikneipen-Szene, rechter Dorfjugend und Sarazzin-Leser/innen weitergehend austrocknen und damit das ohne größere Mühen stets abrufbare faschistische Wähler/innenpotenzial, genauso wie die Thor Steinar-Kaufkraft dezimieren wollen, müssen wir als Antifaschist_innen unseren Blick außer auf die letzten paar verbliebenen großen Namen auf den NPD-Wahllisten, was in der letzten Zeit ausgesprochen gut geklappt hat, auch dort hinrichten, wo sich ihr Klientel seine Nischen, Geldquellen, ideologischen Versicherungen und Erlebniswelten geschaffen hat. Also auf Felder, die uns mitunter nicht zwangsläufig auf offener Straße ins Auge springen. Insofern sind die heutige und die vorhergegangenen Initiativen hier in Glinde ein positives Beispiel für die richtige Richtung. Eine andere verlässliche Komponente im Kampf gegen rechte Strukturen und Erlebniswelten wurde in den letzten Jahren zwar auch in Glinde von engagierten Jugendlichen angegangen, aber von der hier vorherrschenden reaktionären und autoritären konservativen dorfpolitischen Hegemonie abgewürgt: Die hiesige Initiative, mit einem alternativen Jugendzentrum ein Gegenentwurf zum rechten Dummfug zu schaffen, scheiterte an obligatorischer Extremismuskeule und Lokalpolitikern, die den Unterschied zwischen emanzipatorischen Jugendlichen und rechtem Menschenhass ob ihrer eigenen simplen und verbitterten Weltsicht nicht begreifen können. Insofern lautet unser Fahrplan für Glinde: Am Ball bleiben und den „Tönsberg“ dichtmachen zum Einen, her mit einem alternativen Jugendzentrum zum Anderen. Und das Ganze wiederholen wir dann in ganz Schleswig-Holstein – Deal!?
Gegen Nazistrukturen und rechten Lifestyle vorgehen – linke Gegenkultur stärken!
Glinde neu einkleiden – bunte Haare statt Thor Steinar!
Keine Geschäfte mit Neonazis – nicht in Glinde, Kiel, Neumünster oder wo auch immer!