Liebe Genoss_innen, liebe Kieler_innen!
Morgen, am 1. Mai will die neonazistische NPD als Höhepunkt ihres Landtagswahlkampfes in Neumünster aufmarschieren. Der 1. Mai ist traditionell der internationale Kampftag der Arbeiter_innenbewegung, anlässlich dessen seit 1890 weltweit Millionen von Menschen in Gedenken an die Opfer des Arbeiter_innenaufstands vom Chicagoer Haymarket 1886 und für Arbeiter_innenrechte auf die Straße gehen. Bezugspunkt für die NPD an diesem Datum ist dagegen aber der nationalsozialistische „Tag der nationalen Arbeit“. Dieser wurde 1933 nur wenige Monate nach der Machtübertragung an Hitler als gesetzlicher Feiertag in Nazi-Deutschland installiert, um den befürchteten antifaschistischen Kundgebungen der organisierten Arbeiter_innenschaft am 1. Mai das Wasser abzugraben und die Zerschlagung der Gewerkschaften am 2. Mai vorzubereiten. Statt internationalem Klassenkampf wurde nun die Deutsche Arbeitsfront gefeiert, im Mittelpunkt standen nicht mehr antagonistische Klassenverhältnisse sondern die deutsche Volksgemeinschaft und das spezifisch deutsche Verhältnis zur Arbeit als Selbstzweck.
Die zahlreichen faschistischen und rechts-autoritären Regime in ganz Europa waren die reaktionären Antworten auf die sozialen Verunsicherungen einerseits und revolutionären Prozesse andererseits im Zuge der großen Weltwirtschaftskrise von 1929. Dennoch lässt sich gerade die deutsche Spielart des Faschismus nicht eindimensional als Krisenfolge erklären: Der Nationalsozialismus konnte auf ein lange tradiertes Fundament aus Antisemitismus, Chauvinismus, Autoritarismus und Militarismus des völkisch begründeten deutschen Nationalgefühls aufbauen. Die Entscheidung der Mehrheit der Deutschen für die wahnhafte Ausgrenzung, Ausbeutung, Versklavung und Vernichtung von zu Untermenschen oder Volksschädlingen erklärten Menschen und gegen die Option der emanzipatorischen Aufhebung der krisenhaften kapitalistischen Verhältnisse und der Durchsetzung der Gleichheit aller, gipfelte in Vernichtungskrieg und Shoa. Statt die Schuld für die Folgen der Wirtschaftskrise in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu suchen, wurde sie einem ideologischen Außen zugeschoben – vor allem einer angeblichen jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung. Trotz seiner teilweise rebellischen und anti-bürgerlichen Inszenierung: Der NS ist nur auf Grundlage der Widersprüchlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen, die mit der barbarischen Regression seit ihrer Entstehung mindestens ebenso schwanger geht, wie mit der Möglichkeit ihrer emanzipatorischen Aufhebung.
Im gegenwärtigen Jahr 2012 erleben wir gerade die heftigste Krise der kapitalistischen Wirtschaft der letzten 80 Jahre. In einem globalisierten Kapitalismus versuchen die einzelnen nationalstaatlich verfassten Wirtschaftsstandorte ihren Arsch zu retten. Wenn die deutsche Regierung ihre ökonomische und politische Vormachtstellung in Europa, die vor allem durch ihre exportorientierte Wirtschaft auf Kosten der importierenden Staaten und der hiesigen Lohnabhängigen ermöglicht wurde, aggressiv durch den Ruin und die Unterwerfung von Standorten wie Griechenland durchsetzt, betreibt sie kapitalistischen Konkurrenzkampf der Nationalökonomien – von oben.
Dass häufig grade in solchen Zeiten irrationale und menschenfeindliche Ideologien an Bedeutung gewinnen ist kein Zufall. Durch vorhandene Ressentiments und autoritäre Charakterzüge unterstützen viele Menschen reaktionäre Formen der Krisenverwaltung. Wenn auf eher links verorteten Krisendemos unter Verwendung antisemitischer Stereotypen in gierigen Machtcliquen die Verantwortlichkeit gesucht und an deutschen Stammtischen rassistisch gegen „faule Pleitegriechen“ oder sozialchauvinistisch gegen „Langzeitarbeitslose“ gehetzt wird, geschieht die Ideologieproduktion nicht selten auch ohne Hochglanz-Kampagnen als Selbstgänger von unten. So wird der Konkurrenzkampf der nationalstaatlich organisierten Standorte durch reaktionäre Ressentiments legitimiert.
Gerade im Umgang des deutschen Staates und Stammtisches mit Griechenland zeigt sich, dass es ein „geläutertes Deutschland“ nicht gibt, dass auch der „modernisierte“ deutsche Nationalismus nicht ohne Großmachtstreben auskommt. Auf der einen Seite verweigert der selbsternannte „Erinnerungsweltmeister“ den Opfern von NS-Kriegsverbrechen nicht nur im griechischen Distomo Entschädigungszahlungen, andererseits fordert die BILD-Zeitung in imperialer Manier: „Gebt uns Korfu, dann gibt’s Kohle.“ Zur Erinnerung: Der letzte deutsche Anlauf zur Beherrschung Korfus kostete fast 1600 der 1900 dort lebenden Jüdinnen und Juden das Leben, die Anzahl der Opfer der Bombardierungen ist nicht bekannt.
Die NPD will morgen mit ihrem Aufmarsch in Neumünster stumpfen Motto „Wir arbeiten – Brüssel kassiert! Raus aus dem Euro!“ eine eher altbackene Version reaktionärer Krisenverwaltung in Form der nationalen Autarkie propagieren – die freilich ohne kriegerische Raubzüge nicht zu haben ist. Tatsächlich macht sie sich damit für einen anderen Weg anti-emanzipatorischer Krisenpolitik stark, als den der deutschen Dominanz in einem ökonomisch vereinigten Europa. Die deutsche Dominanz als Ziel haben auch zahlreiche Liberale, Sozialdemokraten und Konservative. Das chauvinistische Streben nach einer deutschen Großmacht als Zielvorstellung gibt es als in verschiedenen Varianten, allerdings ist es bei den bekennenden Neonazis näher an der mörderischen Tradition des historischen Nationalsozialismus angesiedelt.
Am 1. Mai, oder eben an seinem Vorabend, gilt es für uns also auch dem Gefasel von wahlweise „Standort“ oder „Volksgemeinschaft“ entgegenzutreten und klarzumachen, dass das Interesse der deutschen Scholle nicht unser Interesse ist. Vielmehr gilt es zu unterstreichen, dass Deutschland nur deshalb Krisengewinnler ist, weil es hier seit Jahren stagnierende Reallöhne gibt, dass der Aufschwung vor allem dadurch erkauft wurde, dass massenweise beschissen bezahlte Jobs geschaffen worden sind, sprich: Dass dem Kapital allerbeste Verwertungsmöglichkeiten geschaffen worden sind.
Wir haben keinen Bock darauf, uns hier für ’ne Handvoll oder auch ein paar mehr Euro kaputt zu arbeiten, wir haben keinen Bock uns als moderne Sklaven in Leiharbeitsverhältnissen zu verkaufen oder von Hartz4 zu vegetieren, damit der großdeutsche Standort weiter zu seinen Gunsten die Lebensbedingungen ganzer Gesellschaften anderswo zerstören kann. Deshalb kämpfen wir auch und gerade heute noch im Geiste der Haymarket-Aufständischen vom 1. Mai 1886 für die Aufhebung des zerstörerischen und menschenfeindlichen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses – überall! Wenn wir den Normalbetrieb der Kapitalverwertung hier in Deutschland sabotieren, betreiben wir praktische Solidarität mit den kämpfenden Menschen in Griechenland und anderswo!
Gegen reaktionäre Krisenverwaltungsstrategien – für internationalen Klassenkampf!
Solidarität und Emanzipation statt nationalistische Barbarei!
Kapitalismus abschaffen – die befreite Gesellschaft erkämpfen!
Und morgen: Naziaufmarsch am 1. Mai in Neumünster blockieren – angreifen – verhindern!