Redebeitrag der Autonomen Antifa-Koordination Kiel auf der antifaschistischen Demonstration „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ am 28.1.2012 in Hamburg
Wir sind heute hier, um zu skandalisieren, dass eine Nazibande 13 Jahre lang ihr Unwesen in Deutschland getrieben hat, dass 10 Menschen, davon 9 aus rassistischen Beweggründen, von diesen Nazis ermordet wurden, dass staatliche Behörden bei diesen Morden nicht nur MitwisserInnen sondern auch MittäterInnen waren. Wir wollen ebenfalls nicht die über 180 Todesopfer vergessen, die rassistische Gewalt seit 1990 in Deutschland gefordert hat. Stattdessen wollen wir etwas festhalten, was eigentlich eine so banale Erkenntnis ist, dass sie jedem Schulkind aufgrund ihrer Brutalität bewusst sein müsste. Die simple Feststellung: Nazis töten Menschen. Immer und immer wieder, weil eben das ein Bestandteil ihres Weltbildes ist, weil ein nationalsozialistisches Weltbild ohne Mord und Totschlag nicht zu denken ist.
Auch die bürgerliche Gesellschaft ist nicht zu denken, ohne die Möglichkeit ihrer negativen Aufhebung, hinein in völlige Barbarei. Zu eng verwoben sind ihre Grundlagen mit der Ausgrenzung, Kategorisierung, Unterdrückung und Beherrschung von Menschen, zu sehr teilt die kapitalistische Logik Menschen in Verwertbare und Nicht-Verwertbare, zu sehr identifizieren sich viele Menschen mit ihrer eigenen Unterdrückung. Insbesondere in Deutschland ziehen sich obrigkeitsstaatliches Denken, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus durch die ganze Gesellschaft. Entgegen auf halber Strecke schlapp machender Analysen, dienen sie nicht bloß der einseitig von oben betriebenen Spaltung der Arbeiter_innenklasse, sondern dienen allen Beteiligten als ideologischer Kitt zum Zusammenhalt verschiedener Klassen in der deutschen Gesellschaft. Auch Nachkriegsdeutschland ist nicht zu denken, ohne die Gräuel des historischen Nationalsozialismus, der solange nicht historisch ist, wie es Nazis gibt, solange NS-Kontinuitäten die deutsche Gesellschaft, ihre vermeintliche Mitte und ihre Institutionen prägen.
Auch der Verfassungsschutz steht in schlechter, deutscher Tradition. Gegründet in antikommunistischer Motivation und wesentlich aufgebaut von Offizieren von Gestapo und SS, ist er, wie alle staatlichen Repressionsorgane, auch ein Sammelbecken für Reaktionäre, die Gefallen an der aktuellen Gesellschaftsordnung oder Schlimmerem gefunden haben. Aus dieser Tradition und Gegenwart erklären sich Handlungen und Ideologieproduktion des VS. Die Beteiligung des Verfassungsschutzes an den Morden an Migrant_innen mag uns in ihrem Ausmaß überraschen, dass eine dermaßen reaktionäre Behörde sich entsprechend reaktionär verhält, ist allerdings keine allzu bahnbrechende Erkenntnis. Dennoch greift es als Erklärungsansatz zu kurz, dem Staat als Gesamtkonstrukt ein Interesse an Nazis und Nazigewalt zu unterstellen, zu verschieden sind die Interessen verschiedener Staatsorgane, zu besorgt ist die Regierung, zwar nicht um die betroffenen Menschen, aber doch um Deutschlands Ansehen im Ausland.
Wieso der Verfassungsschutz offenbar ein solches Eigenleben entwickeln konnte, dass es bei Zeiten durchaus auch mal den eigentlichen Standortinteressen der Regierung entgegen stehen kann, soll nicht unsere Fragestellung sein. Wir dürfen auch nicht bei einer Forderung nach der Abschaffung des VS stehenbleiben, ist doch auch der VS nur ein Produkt der deutschen staatlichen Verhältnisse, die ihn erschaffen haben und die er absichern soll.
Zur Absicherung eben dieser Verhältnisse also verbreitet der Inlandsgeheimdienst des deutschen Staates eine völlig unsinnige Theorie von der Mitte der Gesellschaft, die von zwei extremistischen Rändern bedroht werde. Damit wird Geschichte relativiert, rechte Gewalt und gesellschaftlicher Rassismus werden verharmlost. Protegiert durch sogenannte Wissenschaftler wie Backes und Jesse betreibt der VS eine Gleichsetzung von Ideen, Handlungen und Zielen von emanzipatorischen Linken und Nazis, mit dem Ziel nationalistische Positionen salonfähig zu machen, die Geschichte im Sinne Deutschlands umzudeuten und die rassistische, bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsordnung für Kritik unangreifbar zu machen.
Die weite Verbreitung dieses Bullshits in der Öffentlichkeit – mordenden Nazis zum Trotz! – beweist aber auch hier, dass das Problem nicht beim VS liegt, sondern in einer deutschen Gesellschaft auf der Suche nach einem geschichtspolitischen Schlussstrich, der in vielerlei Hinsicht einfach ein „Weiter so!“ bedeutet hat und heute noch bedeutet. Die sogenannte Extremismustheorie ist auch dazu gedacht, der radikalen Linken Handlungsräume zu nehmen, sie zu diskreditieren und sie politisch zu bekämpfen. Die ausführenden Institutionen sind Innenministerium, Polizei und Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz handelt dabei jedoch nicht nur im Verborgenen, mit Spitzeln und Abhörmaßnahmen, sondern beteiligt sich offen und offiziell an staatlichen oder staatlich geförderten politischen Initiativen, natürlich auch gegen den sogenannten „Rechtsextremismus“.
Aus aktuellem Anlass wollen wir am Beispiel Schleswig-Holstein kurz schildern, wie staatliche Repressionsorgane in den „Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus“ beteiligt sind. Wir haben dazu im Dezember einen längeren Text veröffentlicht, den ihr auch im Internet nachlesen könnt.
Das „Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“ in Schleswig-Holstein setzt sich aus mehreren staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen, Verbänden und Vereinen zusammen. Zu diesen zählen u.a. auch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, das Ministerium für Bildung und Frauen, das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa und last but not least der Rat für Kriminalitätsverhütung (Innenministerium), der Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt. Gesteuert wird das Ganze von einer „Landeskoordinierungsstelle“, die als AG Teil des Landesrats für Kriminalitätsverhütung im Innenministerium ist. Und hiermit kommen wir zum Knackpunkt, da mit dem wohlklingenden Namen „Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“ versucht wird, zivilgesellschaftliche Akteure und staatliche Stellen unter einem Banner im Kampf gegen den „Rechtsextremismus“ zusammenzuführen. Es wird also einerseits die Hand aufgemacht, linke Gruppen und Journalist_innen als Informationsquellen und Veranstaltungspartner_innen geworben, um andererseits von allen vollwertig Beteiligten die Unterschrift unter die als Extremismusklausel bekannt gewordene Demokratieerklärung und damit eine Distanzierung zur radikalen Linken zu fordern. Teile und herrsche! Wir sehen dies als einen praktischen Versuch, die Extremismustheorie auch in Kreisen durchzudrücken, in denen sie nicht ohnehin schon vollends geteilt wird, sowie die Handlungsspielräume für Linksradikale gleichzeitig einzuschränken und ihr Wissen über Nazis abzugreifen. Und ganz nebenbei – wie es sich für einen Inlandsgeheimdienst gehört, der etwas von seinem Handwerk versteht – Unsicherheiten und Zoff unter emanzipatorischen Zusammenhängen und Aktivist_innen zu schüren.
Hier stehen wir also, als radikale Linke und Antifaschist_innen, vor einem schier undurchdringbaren Haufen an Mist, den es zu kritisieren, anzugreifen, aufzuheben und abzuschaffen gehört. Oft genug geraten wir in Streit über unsere Analysen der Gesamtscheiße, machen Fortschritte, Rückschritte und uns oft genug das Leben schwerer, als es sein müsste und haben doch immer ein Ziel vor Augen: Die Emanzipation aller Menschen, den Ausweg aus den barbarischen Verhältnissen. Ein Ausweg mit Handicap, weil Kapitalismus, Nationalismus, Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und all die andere Scheiße eng miteinander verwoben sind, was den Weg nicht gerade erleichtert. Und eben weil der Verfassungsschutz ein Teil dieser Gesamtscheiße ist und aggressiv an ihrer Erhaltung arbeitet, weil er die Verhältnisse stabilisiert, die immer wieder mordende Nazis hervorbringen, weil er teilweise sogar aktiv mit mordenden Nazis zusammenarbeitet, kann der VS kein Partner für radikale Linke und zivilgesellschaftliche Akteur_innen sein, sondern nur politischer Gegner. Eine Kooperation mit staatlichen Repressionsorganen, auch in den Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus, kommt in unserem Verständnis linksradikaler Politik nicht vor. Statt mit dem Verfassungsschutz zusammenzuarbeiten, gilt es ihn und seine Ideologieproduktion ins Kreuzfeuer der Kritik zu nehmen, mit dem Ziel unsere Handlungsspielräume zurückzugewinnen, um letztlich die Verhältnisse abzuschaffen, in denen die derzeitige Scheiße stattfindet.
Gegen mordende Nazis und die Friedhofsruhe der deutschen Gesellschaft! Gegen den Verfassungsschutz, der diese Verhältnisse absichert! Für mehr entschlossene linksradikale Politik gegen Staat, bürgerlich-kapitalistische Verhältnisse und rassistische Zustände! Weg mit Deutschland! Für eine Welt ohne Grenzen auf den Karten und in den Köpfen! Für die befreite Gesellschaft!