Etwas unglaubliches scheint hier in Friedrichsort passiert zu sein, denn dort hat sich die lokale Neonazi-Szene, die das Viertel noch vor einem Jahr mit tonnenweise menschenverachtender rassistischer, nationalistischer und antisemitischer Propaganda überhäuft und regelmäßig Menschen, die nicht ihrem beschränkten Weltbild entsprechen, mit Einschüchterungsversuchen belästigt hat, angeblich in Luft aufgelöst. So zumindest dem stellvertretenden Leiter der Polizeistation in Friedrichsort zufolge, der auf einer Sitzung des Ortsbeirates am 9. März deshalb „Entwarnung“ gegeben hat, was von den Kieler Nachrichten in gewohnter Manier unhinterfragt aufgegriffen und weiterverbreitet wurde.
Dass das Verharmlosen von Neonazi-Aktivitäten in Kiel traurige Tradition ist, haben wir in den letzten Jahren schon das eine oder andere Mal feststellen müssen. Mit besagtem, am 11. März 2011 veröffentlichten Artikel über die „Kriminalitätsstatistik für Friedrichsort“ setzen KN und Kieler Polizei diese Linie unverändert fort.dass „Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund“ den Stadtteil Friedrichsort „im vergangenen Jahr erschüttert und zur Gründung eines <> geführt“ haben und es „<> rechtsextrem motivierter Taten – wie das Bekleben und Besprühen von Gebäuden“ gab, behauptet der stellvertretende Leiter der Polizeistation in Friedrichsort Lutz Rohwer nun im März, dass diese Taten „alle auf das Konto eines Mannes“ gingen, „der inzwischen nach Eutin zurückgezogen sei, wo die Taten jetzt weitergingen“. Weiter heißt es, dass seitdem „in Friedrichsort von rechter Seite nichts mehr passiert“ ist. „Rohwer führt dies darauf zurück, dass <>. Gleichzeitig hatte es aber auch in der letzten Zeit viele Veranstaltungen gegen rechts gegeben.“ (Alle Zitate aus dem KN Artikel vom 11.3.2011).
Können wir solch absurde Einschätzungen als bloßen schlechten Scherz aus dem Hause Rohwer abtun oder steckt da wohlmöglich mehr dahinter?
Während die Feststellung, dass Friedrichsort im letzten Jahr ein lokaler Brennpunkt von Neonaziaktivitäten war und es dieses Jahr bisher vergleichsweise ruhig ist soweit stimmt, ist die Behauptung, dass alle Taten von nur einer Person begangen wurden und es seit ihrem Wegzug dort „ruhig“ ist eine reine Farce! Es ist bekannt, dass in Friedrichsort im vergangenen Jahr eine ganze Clique von etwa 10-15 Jugendlichen zu den Neonazis übergelaufen ist. Uns wurde berichtet, dass sich diese Nachwuchsnazis in Friedrichsort Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert haben, dass sie zusammen mit anderen Kieler Nazis unter einer Hakenkreuzflagge am Skagerrakufer faschistische Parolen gerufen und Lieder gesungen haben. Wir wissen von Einschüchterungsversuchen und Angriffen eben dieser Neonazis gegenüber Friedrichsorter Jugendlichen, welche durch ihr Aussehen oder Äußerungen zum Ziel wurden, und das leider auch wieder im Jahr 2011. Die Polizei hat ihre eigene Aussage im Übrigen längst selber widerlegt: Am 22.1.11, dem Abend des antifaschistischen Konzertes „beats against nazis“ im Friedrichsorter Jugendzentrum, postierte sich die Polizei vor dem Haus von Pascal N. in der Stromeyerallee und hielt eine Gruppe Neonazis dort fest. Des weiteren wurden Ende März in Friedrichsort Plakate für den Neonazi-Aufmarsch am 26.3.11 in Lübeck verklebt. Wahrscheinlich von einer einzigen Person, die dafür extra alleine von Eutin nach Kiel-Friedrichsort gefahren ist… Oder was!?
Die „Entwarnung“ der Polizei und die Aussage des KN-Artikels, das Naziproblem in Friedrichsort habe sich erledigt, ist eine dreiste Verharmlosung der Situation und entspricht nicht der Wahrheit. Sie passt allerdings in das altbekanntes Schema, neonazistische Aktivitäten als Taten von Einzelpersonen oder als bloßes Jugendproblem darzustellen. Die Existenz einer organisierten, gewachsenen Struktur wird geleugnet in der Sorge um das Image des eigenen Ortes und mit dem Ziel eine öffentlichen Thematisierung und das konsequente Begegnen der Problematik durch Antifaschist_innen zu sabotieren. Und das ist ausdrücklich kein Friedrichsorter Phänomen.
Der Umstand, dass sich die Neonazis in Friedrichsort im Moment relativ zurückhalten, heißt noch lange nicht, dass es sie nicht mehr gibt. Wir können feststellen, dass sich die gesamte Kieler Neonaziszene im Moment verhältnismäßig ruhig verhält und in anderer Form öffentlich in Erscheinung tritt als noch vor einem Jahr. Das bedeutet aber leider nicht zwangsläufig, dass sie sich aufgelöst hat und so gehen wir auch im Fall Friedrichsort nicht von einer einfachen „Auflösung“ der Nazi-Szene und einem Ende der neonazistischen Aktivitäten aus.
Denn nicht irgendwelche Umzüge einzelner Neonazis haben dazu geführt, dass die Neonazis zur Zeit nicht mehr ganz so selbstbewusst wie noch vor einem Jahr im Viertel auftreten können, sondern auch der zunehmende Gegenwind, der ihnen durch die kontinuierliche antifaschistische Arbeit von Friedrichsorter Anwohner_innen und Antifa-Aktivist_innen im vergangenen Jahr entgegengebracht wurde und wird. Diese Arbeit wollen wir fortsetzen, deshalb sind wir heute hier und beziehen öffentlich Stellung gegen Neonaziumtriebe, gegen ihre Verharmlosung durch Polizei und Kieler Nachrichten in Friedrichsort und gegen jede Form von rassistischer, antisemitischer oder nationalistischer Ideologie und ihren Auswüchsen.
Es bleibt auch in Friedrichsort im Jahre 2011 dabei – Antifa ist Alltagsgeschäft:
Entfernt Nazi-Propaganda wo ihr sie seht und macht andere auf Naziumtriebe aufmerksam!
Organisiert Euch mit Euren Freund_innen, werdet antifaschistisch aktiv und seid solidarisch mit Betroffenen faschistischer Gewalt und Einschüchterungsversuche!
Gegen die Totschweige- und Verharmlosungstaktik von Polizei und KN!
Keinen Millimeter den Nazis – Für einen konsequenten Antifaschismus!