Kiel im Frühling 2010: Aus einem Personenpool von etwa 20, teils sehr jungen Neonazis, viele von ihnen wohnhaft im Kieler Norden, kommt es immer wieder zu Schüben von Aktivismus: Mal versucht man eine Kundgebung durchzuführen, mal verunstaltet man großflächig das Kieler Straßenbild mit Nazipropaganda. Man mietet mitten in der Innenstadt einen Raum für eine abendliche Veranstaltung mit Beteiligung der üblichen schleswig-holsteiner Aktivnazis, fährt am Wochenende gemeinsam zu überregionalen Demos, wo ihr Leithammel Daniel Zöllner sogar auch mal reden darf. Und es fliegen auch mal wieder Scheiben bei alternativen Läden ein. Das alles läuft unter dem mittlerweile nicht mehr ganz neuen Namen „Aktionsgruppe Kiel“, der zwei Jahre zuvor von einer noch größtenteils von anderen Personen durchsetzten Generation von Neonazis außerhalb der NPD um den langjährigen Nazikader Peter Borchert ins Spiel gebracht wurde und seither vor allem für oftmals gewaltförmigen und spontanen Neonazi-Aktivismus steht, der bewusst die Konfrontation mit Antifaschist_innen sucht.
Kiel ein Jahr später im Frühling 2011: Nichtmal 20 Nazis nicht nur aus Kiel laufen unter dem Banner der NPD nichteinmal eine halbe Stunde durch die Fußgängerzone in der Kieler City. Sie sind so schnell weg, wie sie gekommen sind. Ähnliches passiert in den Wochen zuvor und danach im Örtchen Bornhöved, im Kieler Sophienhof oder in Husum. Außer bei letztgenannter Aktion, bei der sie am 1. Mai die lokale DGB-Kundgebung stören, bemüht man sich, durch äußerste Geheimhaltung im Vorfeld, die Wahl abgelegener Orte oder strikte zeitliche Begrenzung, antifaschistischen Gegenaktionen aus dem Weg zu gehen, was auch vergleichsweise gut klappt. Der Preis dafür ist eine geringe Außenwirkung und Beschränkung des TeilnehmerInnenspektrums auf den Kern der organisierten Neonazisszene und ihr direkten Umfeldes, das auf etwa 50 Personen landesweit geschätzt werden kann. Federführend beteiligt sind bei diesen Aktionen NPD-Kader wie ihr Landesvorsitzende Jens Lütke, ebenfalls beteiligte selbsternannte Frei Nationalisten schließen sich ihnen an.
Was ist in der Zwischenzeit geschehen? In der zweiten Hälfte des letzten Jahres wurde es um die lokale Neonaziszene in Kiel relativ ruhig. Führende Aktionsgruppen-Nazis traten nicht mehr in Erscheinung und auch sonst passierte nicht viel. Einige verabschiedeten sich, wie schon in den Jahren zuvor immer wieder zu beobachten gewesen war, in die Rockerszene und setzten ihren Schwerpunkt nun auf skrupellose Geschäftemacherei, darunter auch Protagonisten der Friedrichsorter Naziszene. Andere verschwanden, zumindest vorübergehend, ganz von der Bildfläche und die, die in der Naziszene verblieben versuchten sich im wenig erfolgreichen Aufbau der NPD-Nachwuchsorganisation JN oder traten auf einmal als Freie Nationalisten Kiel auf.
Daraus ergibt sich eine derzeitige Gemengelage in der Kieler Naziszene, in der die jahrelang aktive NPD-Garde um Jens Lütke, Roland-Siegfried Fischer oder auch Ratsherr Hermann Gutsche wieder die Kontrolle zurückgewonnen haben und von ihrem Fußvolksammelbecken auf Parteilinie FN Kiel aktionistisch unterstützt wird. Die selbstbewusste AG Kiel, die es in den Jahren zuvor geschafft hatte, der lokalen Szene ihren aggressiven, aber wenig politisch-strategischen Stempel aufzudrücken, scheint sich derweil endgültig erledigt zu haben.
Diese Entwicklung spiegelt sich ganz zwangsläufig auch im Auftreten Friedrichsorter Neonazis wieder, die noch im vergangenen Jahr eng an der AG Kiel orientiert war und für sie ein wichtiges subkulturelles Nachwuchsbecken darstellte. Die derzeitige Rückbesinnung der Kieler Naziszene auf eine etwas zurückhaltendere NPD-Linie muss neben den bereits im ersten Redebeitrag genannten Faktoren bei einer Einschätzung der Lage in Friedrichsort berücksichtigt werden.
Uns ist es dagegen relativ egal, unter welchem Namen und mit welchen favorisierten Mittel Neonazis ihre rassistische, nationalistische und antisemitische Ideologie verbreiten und ausleben. Ob NPD, FN, AG oder welche Nazibande auch immer, wir werden ihnen auch weiterhin dort gehörig auf die Nerven gehen, wo sie versuchen sich Raum zu nehmen, Menschen einzuschüchtern und anzugreifen oder wo sie ihre Propaganda verbreiten wollen. Wir werden immer die passende Strategie zu ihrer Bekämpfung entwickeln und sie für ihren Menschenhass zur Rechenschaft ziehen.
Für uns als Antifaschist_innen bedeutet dies gerade in Anbetracht ihrer derzeitigen Strategie spontaner Blitzauftritte, im Alltag wachsam zu sein und im Fall der Fälle selbstverantwortlich und schnell wichtige Informationen weiter zu verbreiten und – vor allem – entschlossen und flexibel zu handeln.
Organisiert Euch – seid aufmerksam, spontan, schnell und entschlossen!
Kein Meter und keine Minute für Nazis – weder der NPD, noch sonstwem!
Nicht in Friedrichsort, noch sonstwo!