Da wir uns im Zusammenhang mit der antifaschistischen Meierei-Demo in einer Textpassage des Aufrufs auch mit dem Begriff des politischen „Extremismus“ auseinandergesetzt haben, welcher auf der einen Seite von Medien und Staat dafür benutzt wird AntifaschistInnen und Linke mit den Nazis gleichzusetzen, auf der anderen Seite aber auch immer noch in antifaschistischen Publikationen benutzt wird, dokumentieren wir passend zum Thema einen aktuellen Artikel aus dem Antifa Infoblatt.
Die antiextremistische Linie von Schwarz-Gelb zeigt die Gefahren des Extremismusansatzes, wie auch die politischen Folgen einer verkürzten Kritik daran. Staatliche Programme gegen »Rechtsextremismus« setzen erfolgreicher Intervention gegen Neonazi-Strukturen und -Ideologieelemente seit jeher Grenzen. Unabhängige Antifapolitik und Gesellschaftskritik können sie nicht ersetzen. Antinaziarbeit in Zeiten des Hufeisens Die Ankündigungen, die Förderung gegen sogenannten Rechtsextremismus neu zu konzipieren und dabei voll auf den Extremismusansatz zu setzen, sorgen für Protest in Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Viele fürchten um den Bestand von staatlich finanzierter Arbeit gegen Neonazis und für deren Opfer. Zusammen mit dem politisch und medial angeheizten Diskurs um eine angebliche »linksextremistische Gefahr« ist die Verschlechterung für Legitimation und Handlungsspielräume von geförderter sowie unabhängiger antifaschistischer Arbeit tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig drängt der Staat in die politische Bildungsarbeit, zieht ehemals zivilgesellschaftlich besetzte Bereiche an sich und versucht die Definitionshoheit über »das Problem« zu erlangen. Sicherheitsbehörden bieten mit Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung Weiterbildungen zu Totalitarismustheorie und »Extremismus« jeglicher Couleur an. Der Verfassungsschutz NRW vertreibt dazu passend massenhaft »Andi«-Comics in denen Antifaschismus und Kapitalismuskritik auf den Begriff der Gewalt reduziert werden. In Bayern wurde die »Bayrische Informationsstelle gegen Extremismus« gegründet, die Bürgertelefon, Bildungs-, Beratungs- sowie Vernetzungsstelle für Behörden, Kommunen, Schulen und Zivilgesellschaft sein soll. Aufgaben, die klassischen Tätigkeitsbereichen von zivilgesellschaftlichen Initiativen oder deren professionalisierten Varianten, z.B. den Mobilen Beratungsteams, entsprechen, werden künftig Behörden übernehmen – die Stelle ist im Landesamt für Verfassungsschutz angesiedelt. Die Gefahren der Verstaatlichung zivilgesellschaftlicher Aufgaben im Kampf gegen Neonazis liegen auf der Hand: Staatliche Sicherheitsbehörden sind an Informationsbeschaffung und Strafverfolgung interessiert. Unabhängige Interessenvertretung für Betroffene von Neonazigewalt oder Diskriminierung sind sie nicht. Denn ihre Problemanalyse folgt der Extremismusformel, die Neonazistrukturen und Versatzstücke der nationalsozialistischen Ideologie als »Rechtsextremismus« – als Problem gesellschaftlicher Ränder, von Jugendlichen und von Gewalt thematisiert und repressive, ordnungsrechtliche Lösungen präferiert. Eine Definition des politischen Normalitätsbereichs und der davon abweichenden Ränder bleibt die Extremismusformel schuldig. Mit Symbolen wie dem Hufeisen, dessen Ränder sich annähern, wird suggeriert »Links-« und »RechtsextremistInnen« würden sich politisch und ideologisch annähern und bekämpften gemeinsam eine demokratische Mitte. Die Entscheidung über »Mitte« und »Rand«, also die Bestimmung dessen, was als »demokratisch« akzeptiert wird, liegt im Zweifel beim Verfassungs- und Staatsschutz und deren assoziiertem Wissenschaftsapparat. Ruhe, Ordnung, Gesetzestreue und das formale Bekenntnis zum Verfassungsstaat werden so zu Maßgaben des politischen Akzeptanzbereichs. Die Elemente nationalsozialistischer Ideologie zum Randgruppenphänomen zu erklären, heißt gleichzeitig, deren Verbindung zur deutschen Normalität zu leugnen. Die »demokratische Mitte« versichert sich so ihrer moralischen Legitimität. Wer diese Legitimation in Frage stellt und Kritik übt z.B. an institutionellem Rassismus, antisemitischen Projektionen, Heterosexismus oder autoritärem Staatsverständnis, läuft Gefahr, als »linksextrem« konstruiert und damit selbst aus dem Bereich des politisch Normalen ausgeschlossen zu werden. In Bayern wurde zuletzt die »Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München« auf Weisung des Innenministeriums aus dem »Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus« ausgeschlossen, nachdem sie der Verfassungsschutz begründungslos als »linksextremistische Organisation« aufgelistet hatte. Wenn staatliche Förderung künftig von einer Verfassungsschutzüberprüfung abhängig gemacht werden sollte, kann das viele Initiativen treffen. Kein Grund zur Nostalgie Zu oft fällt bei den aktuellen Debatten unter den Tisch, dass der Extremismusbegriff sich nicht erst mit Ministerin Schröder/Köhler in die Programme geschlichen hat. Seine Logik bestimmte schon zu Zeiten des staatlichen Antifasommers die Förderpolitik. Kritische Stimmen hatten es immer schwerer: Politische Anerkennung und finanzielle Unterstützung erhielten eher breite Bündnisse »Gegen Extremismus und Gewalt«, als Aktivitäten gegen rassistische Alltagsdiskriminierung in Behörden oder der lokalen Presse. Wer den Finger in die Wunde der Mehrheitsgesellschaft legt oder nach selbstverwalteten antifaschistischen Jugendzentren ruft, ist schnell raus. Der Opferberatungsstelle ABAD in Thüringen wurde schon zu Zeiten von CIVITAS die Förderung gestrichen, weil sie staatliche Migrationspolitik öffentlich anprangerte. Auch eine weitere Folge des Extremismusansatzes ist nicht neu: Er verstellt den realistischen Blick auf die politischen Zielvorstellungen der Neonazis. Wenn von »Rechtsextremismus« gesprochen wird, sind meistens NPD, Freie Kameradschaften, Autonome Nationalisten usw. gemeint. Diese zeichnen sich durch eine stringente nationalsozialistische Programmatik aus. Der Begriff »Rechtsextremismus« verwischt diese Kontinuitätslinie und stellt den (Neo-)Nazismus in erster Linie als Demokratiefeindschaft dar. Dabei sind völkische Kapitalismuskritik und ethnopluralistischer Rassismus mehr als das. Es sind aktuelle Antworten auf kapitalistische Krisenerscheinungen, die auch unter formalen »DemokratInnen« auf Zustimmungen treffen. Gerade dieses gesellschaftliche Zustimmungspotential für Versatzstücke nationalsozialistischer Ideologie wird durch das formalistische Schema des Extremismusansatzes wegdefiniert. Gegen jeden Extremismusbegriff Mittlerweile ist die Extremismusformel in Wissenschaft und Zivilgesellschaft etabliert. Wer heute erfolgreich Mittel akquirieren will, muss sich an professionalisierten Strukturen messen lassen und das Antragsbusiness beherrschen. Antragssprache und Zielvorgaben haben sich in die Alltagssprache und Prioritätensetzungen eingeschlichen. Auch so geht Unabhängigkeit verloren. Ob kritische WissenschaftlerInnen, Mobile Beratungsteams oder auch Antifagruppen: Die meisten lehnen die Extremismusformel ab, arbeiten aber weiter in »Bündnissen gegen (Rechts-)Extremismus«. Allen offenen Briefe und Konferenzen zur Kritik an Förderpolitik und Extremismusbegriff zum Trotz, stellen sie sich weiter als »RechtsextremismusexpertInnen« vor oder betonen, dass »der Rechtsextremismus« ein grösseres Problem als »der Linksextremismus« sei. Damit reproduzieren sie die antiextremistische Logik und nehmen deren politische Konsequenzen billigend in Kauf. Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Bekämpfung von Neonazis und deren Ideologie(elemente) bleibt die größtmögliche finanzielle und informelle Unabhängigkeit und die konsequente Thematisierung neonazistischer Ideologeme und deren struktureller Verankerung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Letzteres ist ohne die konsequente Zurückweisung der Extremismusformel nicht zu haben. Das heißt, sich endlich von eingeschliffenen Begrifflichkeiten zu verabschieden. Und es gilt, sich nicht nur gegen die Neuausrichtung der Förderprogramme, sondern konsequent gegen den dahinter liegenden Gesamtansatz zu positionieren. Das bedeutet auch, Abhängigkeiten, die sich aus staatlicher Förderung ergeben, kritisch zu reflektieren und sich notfalls Fördervorgaben zu verweigern, die auf ein Antiextremismusbekenntnis hinauslaufen. Das kann negative Auswirkungen auf die eigene Beratungsarbeit oder berufliche Karriere haben, aber auch positive, weil es zu einer (Re)politisierung führt. Weil die öffentliche Positionierung gegen den Extremismusansatz die eigene politische Marginalisierung, Kriminalisierung und das Ende der Förderung bedeuten kann, macht eine konsequente und politisch begründete Verweigerungshaltung nur Sinn, wenn sie im Bündnis unabhängiger Antifagruppen, kritischer WissenschaftlerInnen und zivilgesellschaftlichen Organisationen geschieht: Es ist Zeit für einen konsequenten Abschied vom staatlich verordneten Antiextremismus und seinen Begrifflichkeiten. |
|