Der Erfolg der Aktionen gegen den diesjährigen Naziaufmarsch ist unbestreitbar: Gerade einmal 170 Nazis liefen eine einzige Straße auf und ab. 300 Meter hin, 300 Meter zurück. Eine kurze Kundgebung im Steinrader Weg, der Seitenstraße direkt hinter dem Bahnhof, das war’s! Nicht einmal zwei Stunden, die überwiegend mit Warten und Herumstehen verbracht wurden, hat dieser für die Nazis erfreulich traurige „Trauermarsch“ gedauert. Überall rund um den Aufmarsch waren Blockaden von Nazigegner_Innen, an denen sich nach unseren Schätzungen gut 1000 Menschen aktiv beteiligt haben, während weitere 1500 an der Hauptkundgebung des Bündnisses „Wir können sie stoppen“ vor dem Bahnhof teilgenommen haben.
Lübeck war damit nur ein Baustein einer ganzen Reihe von Aufmärschen, die durch ein (in dieser Form neues) Konzept von spektrenübergreifenden Massenblockaden verhindert werden konnten. Der wichtigste und nachhaltigste Meilenstein hierin waren die Aktionen in Dresden am 13. Februar, mit denen der bislang größte Aufmarsch Europas für die Nazis zum Fiasko gemacht wurde. Die jüngsten Beispiele sind die überwiegend erfolgreichen antifaschistischen Aktionen am 1. Mai in Berlin, Rostock und Erfurt.
Entsprechend frustriert und verunsichert zeigt sich im Nachhinein auch die Lübecker und norddeutsche Naziszene. Es gibt interne Diskussionen, ob der seit 2006 alljährliche Aufmarsch im Jahr 2011 überhaupt in Lübeck stattfindet. Auf der Hauptmobilisierungsseite der Nazis im Internet ist seit dem 27.03. (!) zu lesen, dass Infos „in den nächsten Tagen“ folgen würden, obwohl dort in allen Jahren zuvor noch am Abend des Aufmarsches der Termin für das Folgejahr bekannt gegeben wurde. Auch der Lübecker Ordnungsbehörde liegt noch keine Anmeldung für 2011 vor. Das sollte und wird uns nicht in Sicherheit wiegen, macht aber deutlich, dass die antifaschistischen Erfolge der letzten Monate bei den Nazis Wirkung zeigen.
Während die Niederlage der Nazis also offenkundig ist, muss die antifaschistische Mobilisierung trotzdem differenziert beurteilt werden. Neben realen Fortschritten und ermutigenden Erfahrungen gibt es auch deutliche Defizite, die nicht verschwiegen werden sollen.
Die Stimmung in Lübeck im Vorfeld des Naziaufmarsches war für uns Antifaschist_Innen nicht einfach. Durch die alljährliche Wiederholung der Aufmärsche und die Tatsache, dass nach 2006 eigentlich alle Blockadepläne an der Polizeiübermacht und fehlender Entschlossenheit gescheitert waren, machte sich Resignation und Desinteresse breit. Warum sollte 2010 gelingen, was 2009 und 2008 gescheitert war? Diese Stimmung haben wir vor allem unter Schüler_Innen und Jugendlichen häufig wahrgenommen, die ansonsten immer eins der stärksten Mobilisierungspotenziale dargestellt hatten.
Hinzu kam ein starker medialer Gegenwind. Gezielt wurde in der Lokalpresse Angst vor Eskalation und Gewalt bei den Aktionen geschürt. Dabei hat sich insbesondere die Gewerkschaft der Polizei unrühmlich hervorgetan, die nicht nur in öffentlichen Erklärungen gegen die Blockaden Stimmung machte, sondern sogar innerhalb des Lübecker DGB durchsetzte, dass dieser die antifaschistischen Aktionen 2010 nicht mehr unterstützte. Vor allem beklagte sich die GdP über den Ablauf der Kundgebung vor dem Bahnhof im Jahr 2009, weil dort aus ihrer Sicht vom Lautsprecherwagen aus gegen die eingesetzten Polizist_Innen „gehetzt“ worden wäre. Da sich dieser Vorwurf direkt an die Adresse von Avanti richtet, möchten wir festhalten, dass seinerzeit lediglich angemessen der Prügeleinsatz gegen die anreisenden Antifaschist_Innen aus Hamburg kommentiert wurde, die unter massiver Gewaltanwendungen aus dem Bahnhof gedrängt wurden, um eine Blockade auf der Rückseite zu verhindern. Gleichwohl zeigte die Debatte einmal mehr, wie groß die Unterschiede zwischen den Bündnispartner_Innen insbesondere dann sind, wenn es um das Verhältnis zur Staatsmacht geht.
Trotz dieser Störmanöver gelang es insgesamt, die Basis für Blockadeaktionen deutlich zu verbreitern. Nach jahrelangem Zögern war es 2010 erstmals möglich, dass das Bündnis offen zu Blockaden aufrief. Insbesondere für unsere kirchlichen Bündnispartner_Innen war dies ein großer Schritt, der jahrelange Vorarbeit gebraucht hat. Mit der „Lübecker Erklärung“ gab es dieses Jahr ein schließlich von fast 1000 Personen unterzeichnetes Dokument, das die eigene Bereitschaft zum Zivilen Ungehorsam gegen Naziaufmärsche erklärte. Wir hätten uns gewünscht, dass dies für viele Unterzeichner_Innen nicht nur ein Lippenbekenntnis geblieben wäre, sondern wir sie am 27.03. tatsächlich an den Blockadepunkten gesehen hätten. Dennoch war diese Erklärung eines der wichtigen Elemente, um im Vorfeld die Legitimität unserer Aktionen herzustellen.
Eindeutig ist für uns, das eine Erklärung in Zukunft die eigenen Aktionen nicht als ‚gewaltfrei‘ bezeichnen kann und wird. Sicherlich wird es in Lübeck erneut Bündnisarbeit geben und in der Zusammenarbeit mit diesem sind wir uns zwar einig, das von unseren Massenblockaden – sollte es diese im nächsten Jahr wieder geben – keine Eskalation ausgehen soll. Dennoch ist die Prognose ‚gewaltfrei‘ in einer von uns unterstützten Erklärung vor dem Hintergrund scheinbar legitimer ‚Staatsgewalt‘ falsch!
Dennoch für Lübeck bedeutete diese Erklärung den Sprung, Blockaden nicht mehr im Kontext der durch die Medien beschworenen brennenden Innenstadt zu sehen, sondern diese als legitimes Mittel gegen Nazis zu akzeptieren. Und schließlich auch, diese zumindest in Lippenbekenntnissen zu befürworten. So sprachen sich Politiker_Innen Lübecks öffentlich für die Blockaden aus und riefen die Lübecker_Innen zur Teilnahme auf! Diese Teilnahme gerade der Bürger_Innen Lübecks beschränkte sich dann aber leider auf einige wenige. Im Wesentlichen wurden diese von den Linksradikalen gerade auch aus anderen Städten getragen. So war das Aktionskonzept zwar ein voller Erfolg, dieses aber sicher auch, weil allen die Blockaden von Dresden noch im Kopf geblieben sind und an diese fast nahtlos angeknüpft werden konnte. Mit einer größeren Präsenz wäre dieses sicher noch viel leichter möglich gewesen. Dennoch hat sich wieder gezeigt, das Blockaden funktionieren – auch in Lübeck!
Mobilisierung
Die Mobilisierung lief insgesamt zu langsam und viel zu schleppend an. So war der Termin wie zuvor auch bereits ein Jahr früher bekannt und dennoch begannen wir erst sechs Wochen vor dem eigentlichen Aktionstag mit der Mobilisierung. Auch machten wir unser geplantes Aktionskonzept viel zu spät für andere Gruppen transparent um sich auf dieses vorbereiten zu können.
Dennoch: die einzelnen Punkte auf der Route waren an den richtigen Stellen und haben es unmöglich gemacht eine Ausweichroute oder eine Räumung durch die Bullen zu legitimieren. Die einzelnen Punkte ähnlich wie in Dresden bestimmten Gruppen klar zuzuordnen und aus Lübeck selbst nur die Organisation von zweien zu übernehmen und zwei weitere an andere Gruppen aus anderen Städten abzugeben hat sich hierin bewährt. So waren wir hauptsächlich in die Orga der beiden Punkte im Steinrader Weg involviert und erst später nach der Räumung der ersten Blockade in die Orga an anderen Punkten. An dieser Stelle schon einmal einen großen Dank an die Genoss_Innen außerhalb Lübecks!
Als wunderbare Organisations- und Mobilisierungsgrundlage hat sich hierzu der mit Karte versehene Flyer erwiesen, mit dem es leicht möglich war, die Route und die notwendigen Blockadepunkte nachzuvollziehen. Dieser war als Papierflyer und im Internet verfügbar – in diesem haben wir das Mobilisierungspotential sicherlich noch unterschätzt und werden in Zukunft größeres Gewicht auf die Mobilisierung über soziale Netzwerke im Netz legen. Aber auch das Verteilen und Plakatieren des Info- und Mobimaterials ist viel zu kurz gekommen und hätte von uns viel früher organisiert werden müssen. Ebenso hätten noch viel stärker Veranstaltungen in anderen Städten forciert werden sollen, um deutlicher zu machen, was unser Aktionskonzept bedeutet und was wir uns für Lübeck gewünscht haben.
Aktionen
Für die Blockaden war es entscheidend, möglichst früh auf der Straße zu sein, um die weiträumigen Absperrungen der Bullen durchfließen zu können. Im Steinrader Weg auf die Straße zu gelangen war uns nur möglich, indem wir vor den Bullen vor Ort waren und uns schnell und entschlossen auf der Straße hinsetzten. Stehend oder in Kleingruppen wäre es unmöglich gewesen, die Straße und damit die Route der Nazis zu blockieren. Nur das schnelle und nicht auf die Bullen reagierende auf die Straße laufen und dieses in der gesamten Gruppe, hatte die Blockaden ermöglicht und auch später den ‚aktiveren‘ Bürger_Innen Lübecks Anschluss geboten. Dennoch gelang es uns auch bei den frühen Aktionen im Steinrader Weg Bürger_Innen bereits im Vorfeld in unser Aktionskonzept mit einzubeziehen und die Blockade anschlussfähig zu gestalten. Hier wird der kritisch diskutierte Begriff der ‚Gewaltlosigkeit‘ in der Lübecker Erklärung sicherlich eine Rolle gespielt haben. Die Bullen reagierten auf die Blockaden im Steinrader Weg zunächst noch sehr aggressiv und konfrontativ. Da sie aber nicht sofort räumen konnten, wir waren ein wenig zu überraschend für feststehende Befehle, beruhigten sie sich und konnten nachdem die Blockade an der St. Lorenz Kirche immer größer wurde, diese nicht mehr ignorieren oder einfach mal schnell räumen.
Da der Zugang in den Steinrader Weg leider nicht gegeben war und die Bullen auch den Weg aus dem Bahnhof heraus sperrten, konnte die erste Blockade auf der Route nicht gehalten werden und wurde schließlich nach 3 (?) Stunden geräumt. Die Bullen waren hierbei alles von rücksichtslos bis brutal nur nicht ‚deeskalativ‚. Weiter schienen sie sich in ihrer Rolle ausgesprochen wohl zu fühlen, wie einige Tritte nach am Boden sitzenden Blockierer_Innen verdeutlichten. Die Demobeobachter_Innen vor Ort dokumentierten hierbei alle Übergriffe der Bullen und später auch die illegale Bewaffnung einiger Einsatzbullen in Form von Quarzsandhandschuhen und anderem. Richtig war an dem Konzept in jedem Fall früh zu beginnen um so an die entscheidenden Punkte zu gelangen und sich setzen zu können. Das derart viele Punkte zugleich oder nahezu gleichzeitig besetzt wurden, spielte herzu weiter eine entscheidende Rolle. Besonders gefreut hat uns aber auch die Eigendynamik, die die Situation vor Ort produziert hat, in dem sich an der Ziegelstraße ein Blockadepunkt bildete, der vollkommen selbstorganisert und nicht vorbereitet entstand und die Nazisroute entscheidend blockiert hat!
Auch den Menschen, die geräumt wurden oder aus anderen Gründen nicht gleich an einer Blockade teilnehmen konnten, war es möglich in das betroffene Viertel zu gelangen und auf vielen unterschiedlichen Wegen ihren Teil beizutragen. Die enorme Präsenz der Antifaschst_Innen hat es den Bullen verunmöglicht, alle Zugänge abzuriegeln, die Blockaden zu beobachten und zugleich die Nazis zu beschützen. Überall im Viertel waren wir unterwegs, auf den Blockaden und auf allen Straßen dort wo die Nazis marschieren wollten und sollten waren wir! Wir haben ihnen weder den Tag, noch Lübeck noch das Viertel überlassen!
Unterschiedliche Aktionen am gleichen Ort haben in Lübeck und bei uns unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Angefangen davon den Nazi-Lauti anzugreifen bis zu den dezentralen Aktionen fanden neben den Blockaden andere Aktionen und Konzepte Raum in Lübeck. Den Nazi-Lauti anzugreifen empfanden wir dabei etwa zu unentschlossen – das Ding fuhr ja hinterher noch 300 Meter! ‚Mut zur Lücke‘ mit dem Konzept der dezentralen Aktionen befürworten wir gerade auch unter dem Gesichtspunkt produktiver Zusammenarbeit. Dahingegen betrachten wir die Aktionen in der Innenstadt kurz gesagt als überflüssig. Politisch waren sie für die weitere Arbeit in Lübeck einfach kontraproduktiv, da gegenüber den bürgerlichen Kräften in der Stadt schwer zu legitimieren. Im Gesamtkontext erschienen die Aktionen zusammenhangslos und wenig nutzbringend und auch wenn unsere Erklärung Zeit gebraucht hat, fragen wir uns dennoch wo ein Statement zu diesen Aktionen bleibt?
Die Auseinandersetzungen um die Araltankstelle herum, waren dagegen unnötig, unter anderem auch, da wir bereits gewonnen hatten. Hier spielten aber sowohl das Verhalten der Bullen als auch Alkohol – der auf politischen Aktionen generell nichts verloren hat – eine große Rolle. Das Ganze war bereits gelaufen und die Nazis hatten schon die Stadt verlassen, als die Situation eskalierte, die sich schließlich dann aber auch mit eben dieser Information beruhigen lies. In diesem Zusammenhang müssen wir noch einmal unsere Informationsstrukturen genauer in Augenschein nehmen, um etwa zu beleuchten, wieso eine solch wichtige Information scheinbar nicht überall ankommen konnte.
Bündnis
Das Bündnis ‚Wir Können Sie Stoppen‘ hat im Vorfeld wichtige Arbeit geleistet, indem es produktiv an der politischen Stimmung und dem Gefühl der Bürger_Innen zu den Aktionen gegen den Naziaufmarsch gearbeitet hat. Das Bündnis konnte gerade weil es sich aus verschiedenen Positionen der bürgerlichen Gesellschaft zusammen setzt, direkt in diese hineinwirken und eine Stimmung erzeugen, in der den Bullen schließlich nichts anderes mehr übrig blieb, als den Naziaufmarsch nach gelungenen Blockaden abzusagen. Auch hat es die Kundgebung und die Gedenkveranstaltung vor dem Bahnhof organisiert, mit der es einen Anlaufpunkt für viele Bürger_Innen geschaffen hat, die nicht an anderen Aktionen teilnehmen würden. Auf diese Weise aber auch eine legalistische Blockade geschaffen, die verunmöglichte, dass die Nazis auf der Vorderseite des Bahnhofs herausgehen konnten. Darüber hinaus hat das Bündnis als solches allerdings wenig beigetragen.
Nazis
Die Nazis selbst waren in einem sehr unspektakulären Umfang vertreten und sicher auch schon von den vorherigen Niederlagen angegriffen beziehungsweise gelähmt. Interessant stellte sich hier dar, dass kaum lokale Bekanntheiten der Naziszene auftauchten und etwa Lemke, der bisher immer der Anmelder des Naziaufmarsches gewesen ist, überhaupt nicht anwesend war. Seine Rolle wurde komplett von Wulff und stellvertretent Roland Fischer übernommen, die schließlich auch die Absage der Veranstaltung hinnehmen mussten. Neben ihm waren Groneman (macht unter anderem die Seite ‚Bombenterror‘) und andere für die faschistischen Zusammenhänge weniger wichtige Nazis anwesend.
Auch der von den Nazis bisher immer als eigentlicher Erfolg gehypte Tag der sogenannten ‚Mahnwache‘ war in diesem Jahr eine komplette Niederlage für sie. Es waren am 20.03. lediglich wenige Nazis in der Lübecker Innenstadt und diese fanden keinerlei Sprachrohr für ihre Propaganda. Sie mussten schnell wieder verschwinden und es fand faktisch keine Veranstaltung der Nazis statt.
Ausblick
Wir haben gewonnen und das mit einer Eindeutigkeit, wie sie in Lübeck schon lange nicht mehr möglich gewesen ist. Auch wenn sich einige gesellschaftspolitische Mitspieler_Innen wie die Gewerkschaft aufgrund des Drucks der GdP, von der antifaschistischen Arbeit abgewandt haben, spielt für uns die Bündnispolitik weiter eine entscheidende Rolle. Was in diesem Jahr gut funktioniert hat, muss im nächsten besser werden!
In Lübeck bedeutet dieses für uns Blockaden noch deutlicher stark zu machen und zu erreichen, das die Bürger_Innen Lübecks ebenfalls an diesen teilnehmen und sich aktiv den Nazis in den Weg stellen.
An dieser Stelle vielen Dank an alle Antifaschist_Innen die am 27.03.2010 in Lübeck waren oder auf anderem Weg die Niederlage der Nazis möglich gemacht haben! We can stop it! Wir haben sie aus Lübeck rausgeworfen und werden es wieder tun!
Avanti – Projekt undogmatische Linke – Lübeck