Über Neumünster hört mensch normalerweise nicht viel Gutes. Das vielfältige und bekannte Naziproblem in Neumünster, ihre Strukturen wie der „Club 88“, die Übergriffe aus den Kneipen Titanic und Holstenbörse auf BesucherInnen der AJZ, ein landesweit überdurchschnittliches Wählerpotenzial für die NPD etc., sind nach wie vor vorhanden. Der „Club 88“ steht bei vielen Leuten als Synonym für die Stadt Neumünster, von antifaschistischer Arbeit und Widerstand hört mensch dagegen leider seltener. Dies soll allerdings kein einfaches Lippenbekenntnis gegen Nazis sein – es ist vielmehr eine Bestandsaufnahme eines akuten Problems…
Mit diesem Papier wollen wir die Ereignisse zum 11. „Club 88“ Geburtstag am 29. September und zum darauf folgenden Naziaufmarsch am 24. November 2007 aus unserer Sicht erklären. Wir wissen, dass Neumünster längst nicht die einzige Stadt mit einem Naziproblem ist, es ist aber auf der anderen Seite auch ein Paradebeispiel dafür, wie es im allgemeinen im Moment um autonome Antifapraxis bestellt ist, wie undefiniert unsere Bündnispolitik ist und welche Probleme damit einhergehen. Unser Anliegen ist es daher auch unseren Arbeitsprozess so weit wie möglich transparent und für alle nachvollziehbar zu machen. Mit der Perspektive auch nächstes Mal weiterzumachen, den Nazis in Neumünster und dem „Club 88“ die Suppe zu vermiesen, wollen wir unseren aktuellen Diskussionsstand vorstellen und einen weiteren Beitrag in die Debatte über antifaschistische Organisation und Praxis in Neumünster und Schleswig Holstein geben.
Aktivitäten gegen Nazis in Neumünster und gegen den „Club 88“ im speziellen sind, wie wir in unserem Aufruf [1] zur antifaschistischen Demonstration am 29.9. bereits erklärten, schon immer vorhanden gewesen und immer von verschiedenen Gruppen und Bündnissen geprägt gewesen. Begonnen als eine Art Netzwerk, ist der Vorbereitungskreis zum 29.9 ein Zusammenhang aus Gruppen und Einzelpersonen der autonomen Antifa aus verschiedenen Städten Schleswig Holsteins, an dem natürlich auch die Antifa Neumünster beteiligt ist. Wir haben im Sommer 2007 zu den ersten Vorbereitungstreffen eingeladen, von denen einige wirklich gut besucht waren und bei denen verschiedene Gruppen ihre Teilnahme zugesagt haben. Mit den Erfahrungen der letzten Jahre im Hinterkopf haben wir uns zum Ziel gesetzt die Aktionen gegen den „Club 88“ Geburtstag wieder größer zu machen, dass heißt wir wollten statt der bisher üblichen Praxis nur an der AJZ rumzuhängen, mit einem Festival auf dem Großflecken den Nazis wieder die gesamte Innenstadt als Freiraum nehmen. Gleichzeitig war es uns wichtig unsere eigene Sichtweise auf die Ereignisse und unsere eigenen Inhalte in die Öffentlichkeit zu tragen.
Es geht uns darum die autonomen Antifastrukturen auch und gerade in Neumünster zu stärken. Denn häufig sind es diese, also unsere Strukturen, die auch abseits von Großereignissen wie Naziaufmärschen kontinuierlich aktiv sind und vor Ort antifaschistisch arbeiten und den Nazis auf der Straße entgegentreten. Wegen der in unserem Aufruf [1] zum 29. September beschriebenen aktuellen Bündnissituation in Neumünster haben wir uns entschieden eine kämpferische und autonom organisierte Demo zu machen, denn es gab in der Vorbereitung einige Diskussionen über unsere Zusammenarbeit als autonome Antifa mit den bürgerlichen antifaschistischen Kräften. Es wurde scharfe Kritik an diesen formuliert und es war klar, dass wir keine Lust hatten uns an diesem Tag reinreden zu lassen. In den 11 Jahren in denen es den „Club 88“ in Neumünster nun gibt, haben diverse Bündnisse Versuche gestartet gegen den „Club 88“ vorzugehen. Meistens initiiert von Antifagruppen, gab es Beteiligung von Verbänden und Vereinen aus Neumünster, teilweise auch von bürgerlichen Parteien. Das Problem ist, dass diese Bemühungen auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsens getragen wurden, der einzig und allein die Nazis als Problem darstellt. Rassismus wird abgelehnt, aber es wird ignoriert, dass Nazis nur in einem gesellschaftlichen Klima existieren können, dass ihnen die Grundlage dazu bietet. Für uns ist es unstrittig, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem als eine der entscheidenden Ursachen für die Existenz und das weitere erstarken von Nazis zu sehen ist. Zu der Frage, inwieweit eine antikapitalistische Weltanschauung der BündnispartnerInnen als Voraussetzung für antifaschistische Bündnisarbeit vorhanden sein muss, gibt es im Vorbereitungskreis unterschiedliche Meinungen.
Indiskutabel wird das ganze jedoch an dem Punkt, wenn bürgerliche Demonstrationen noch nicht einmal mehr gegen Nazis, sondern gegen „Gewalt und Extremismus“ ausgerichtet sind, zumal es häufig vorkommt, dass in diesem Zusammenhang gegen „Extremismus“ beider Seiten argumentiert wird, was natürlich absoluter Quatsch ist, da es emanzipatorisch und kritisch denkende Menschen mit Nazis und damit ihren Verbrechen gleichstellt. Diese „Extremismus“-These, die von vielen Funktionären der bürgerlichen Parteien vertreten wird, beinhaltet unter anderem auch, dass WiderstandskämpferInnen der NS-Zeit, die heute in der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten) organisiert sind, alljährlich in den Verfassungsschutzberichten erwähnt werden, und somit damalige KZ-Häftlinge mit Alt- und Neonazis, Opfer mit Tätern, auf eine Stufe gestellt werden.
Diese Sichtweise manifestierte sich seitens der Bürgerlichen in Neumünster immer wieder ganz praktisch. 2003 wurde der Antifa Neumünster auf der Demo gegen den Naziaufmarsch anlässlich der „Wehrmachtsausstellung“ das Rederecht entzogen, da die bürgerlichen VertreterInnen im „Bündnis gegen Rechts“ augenscheinlich beleidigt waren, weil der Antifa-Block die eigentliche Demospitze überholte, da sich die Grüne Angelika Beer dort medienwirksam präsentierte. Im Frühjahr 2006 distanzierte sich Ver.di nach der Demo gegen die Kneipe „Titanic“ aufgrund von Rangeleien mit den Cops von der gesamten Demo, weil sie ihrem „Ansehen“ geschadet habe. Der städtische „Runder Tisch für Toleranz und Demokratie“ hatte im Herbst 2006 die gemeinsam geplanten Gegenaktivitäten gegen den 10. „Club 88“ Geburtstag verhindert, in dem er sich inhaltlich gegen die Verwendung des Begriffes „antifaschistisch“ wendete. Wen wundert’s? Dies führte dazu, dass die „FreibadheldInnen“ die Initiative ergriffen und eine kurzfristige Antifademo organisierten, was trotz oder auch wegen eines rotzigen Aufrufs immer noch besser als nichts war. Klar ist somit, dass es das „Bündnis gegen Rechts“ als Schnittstelle zwischen bürgerlichen und autonomen AntifaschistInnen vor dem 29. September 2007 faktisch nicht mehr gab und nur noch von den Neumünsteraner Antifas am Leben erhalten wurde.
Wir kamen also zu dem Ergebnis, dass wir 2007 keinen Wert darauf legen eine inhaltlich verwaschene Bündnisdemo mit bürgerlichen Kräften in Neumünster zu machen, zumal wir immer wieder die Erfahrung machen mussten, dass solche Demos zusätzlich von bestimmten Leuten vereinnahmt werden, die damit gar nix am Hut haben (siehe oben). Dass es auch dieses mal wieder dazu kam, später mehr. Gleichzeitig haben aber die GenossInnen aus Neumünster gesagt, dass für sie eine komplette Aufgabe der Bündnisarbeit nicht in Frage kommt und ihr Ziel auch wieder der Aufbau neuer Bündnisstrukturen im Rahmen des „Bündnis gegen Rechts“ ist. Dies kann allerdings nur auf Grundlage eines inhaltlichen Minimalkonsens geschehen, der nicht in die oben beschriebenen Denkmuster verfällt. Ein erster Schritt in diese Richtung scheint getan, da dass neue Bündnis an einer inhaltlichen Stellungsnahme arbeitet, die der „Kieler Erklärung“ des Runden Tisch gegen Faschismus entnommen wurde, welche klare kapitalismuskritische Aussagen enthält.
Für den 29. September 2007 riefen wir also unter dem Motto „11880 – Keine Verbindung zur Nation! 11 Jahre Club 88 – 0 Toleranz für Nazistrukturen“ zu einer autonomen Antifademo auf und organisierten für den Abend ein Festival auf dem Großflecken in der Innenstadt, bei dem mehrere Bands spielten. Hier waren stets einige hundert Menschen anwesend, die Nazis konnten sich so nicht ungestört in der Innenstadt bewegen. Dass zu der Demo am Mittag ungefähr 600 Menschen kamen hat uns gefreut. Leider hat das Wetter nicht mitgespielt, vielleicht wären wir sonst noch mehr gewesen. Wir sind auf einer relativ langen Route durch die Innenstadt gelaufen, vorbei an der Polizeiwache, wo es einen Redebeitrag über AnarchistInnen im Knast und einen der Antirepressionsgruppe 1. April aus Kiel gab. Andere Redebeiträge wendeten sich gegen den nationalistischen Alltag, gegen rassistische Abschiebepraxis und klärten über Nazistrukturen in Neumünster auf. Wir wollten eine Demo in der Innenstadt und nicht zum oder am „Club 88“ vorbei, weil wir erstens eingeschätzt haben, dass wir noch nicht so viele werden, dass wir uns sicher vor Polizei und Nazis in Gadeland bewegen können und zweitens, weil wir unseren Schwerpunkt von vorneherein auf das Festival in der Innenstadt legten, bei dem die Demo enden sollte. Aber auch so waren die Bullen massiv präsent und provozierten immer wieder mit einzelnen Gewahrsamnahmen und der ständigen Filmerei.
Und damit wären wir bei einem Kritikpunkt unsererseits: Die Demokultur hier scheint mal wieder eine Auffrischung der Basics vertragen zu können, denn auf der Demo am 29.9. wurde nur sehr wenig in Ketten gelaufen, was es den Bullen leicht machte einzelne Leute raus zu greifen. Zudem waren viele TeilnehmerInnen stark alkoholisiert, warfen mit Bierflaschen zu unnötigen Zeitpunkten auf die Bullen oder auch einfach nur auf die Straße, so dass diese erstmal „sauber“ gemacht werden musste damit der Lauti nicht durch Scherben fährt (solch ein Verhalten war leider nicht nur dort zu beobachten, auch auf anderen Demos bekommen die ersten Reihen in unschöner Regelmäßigkeit Flaschen, Böller und ähnliches in den Rücken geworfen). Zudem verstehen anscheinend viele Leute nicht warum solches Verhalten die Demo gefährdet. Probleme haben wir auch mit einigen Parolen. Als Reaktion auf die Bullenkameras ist „Kameramann Arschloch!“ in Ordnung, in Neumünster war sie allerdings die lauteste und meistgerufene Parole überhaupt und wurde auch gegen Pressefotografen und sogar unsere eigenen Fotografen eingesetzt. Natürlich ist es richtig gegen Bullenkameras vorzugehen, aber wer auf eine Demo geht und sich nicht vermummt oder zumindest eine Sonnenbrille auf hat, muss damit rechnen, dass sie/er eventuell in den Medien zu sehen ist. Und wer sich angesichts solcher Anfeindungen gegenüber unseren Fotografen im nachhinein beschwert, dass keine Bilder auf Indymedia gepostet werden, hat da einiges nicht verstanden. „Ein Baum, ein Strick, ein Nazigenick“ zu rufen trotzt jedem angeblichen Geschichtsbewusstsein und ist zudem höchst problematisch, da der Tod von Menschen gefordert wird. Diese Parole wurde von den Nazis gebraucht, nur dass es nicht „Nazigenick“ sondern „Judengenick“ hieß… Wir fordern jedeN auf gegen das Rufen dieser Parole auf unseren Demos zu intervenieren!
Das Festival war aufgrund des Wetters nicht mehr ganz so gut besucht wie die Demo, war aber trotzdem gut und wichtig. Es gab warmes Essen für die Leute und weitere Redebeiträge. Auffallend war, dass die Polizei am Rand massiv Kräfte zusammenzog und gegen Ende immer wieder einzelne Leute provozierte und mit Gewalt drohte. Erwähnenswert sind (leider) auch die verbalen Ausfälle des Rantanplan Sängers, „Ernst Röhm hat seinen SA-Männern in den Arsch gefickt“. Diese wurden von vielen Anwesenden als schwulenfeindlich interpretiert und der Sänger wurde daraufhin angesprochen. Er wehrte ab und meinte das wäre nicht so. Auf einem Konzert in Kiel wiederholte der Sänger diese Ansage mit der Begründung, er wäre in Neumünster dafür angelabert worden und er dürfe das so sagen. Mittlerweile hat Rantanplan dazu auf www.myspace.com/rantanplan Stellung bezogen und sich gegen diese Interpretation gewehrt.
Wir danken allen die uns geholfen haben und besonders den GenossInnen, die gewährleistet haben dass es auf dem Festival nicht zu Zwischenfällen kam.
Wir denken wir können im großen und ganzen erstmal von einem guten Tag reden, an dem wieder viele Leute gegen die Nazis und den „Club 88“ in Neumünster auf die Strasse gegangen sind und gegen Nationalismus und Rassismus demonstrierten. Die Berichterstattung über den 29. September in den bürgerlichen Medien war größtenteils „positiv“, jedoch wurden unsere Inhalte und die Tatsache, dass es eine autonome Demo war, natürlich nicht dargestellt. Vielmehr stellte sich die grüne Kriegstreiberin Angelika Beer wieder medienwirksam in ihrem Wahlkreis Neumünster vor die Kameras und behauptete, die antifaschistische Demo initiiert und ein Zeichen für die Demokratie gesetzt zu haben. Wir weisen diese Vereinahmungsversuche zurück und stellen hiermit klar, dass Angelika Beer nichts mit der Aktion am 29.9. zu tun hatte und wir natürlich nicht mit ihr zusammenarbeiten wollen und dies auch nicht tun! Quasi als Nebeneffekt wurden erstmals in der Lokalpresse (Holsteiner Courier) die Kneipen Titanic und Holstenbörse als neue Nazitreffpunkte genannt. Das Bündnis gegen Rechts fand mit den Aktivitäten um den 29.9. zu neuer Aktivität – u.a. mit Öffentlichkeitsarbeit gegen eine von Klemens Otto mitorganisierte Fight-Night im Dezember 2007, sowie mit der oben erwähnten inhaltlichen Debatte um ein Grundsatzpapier. Erstmals gab es Protest gegen den „Club 88“ Geburtstag, der auch Einfluss auf den Ablauf der Nazifeier hatte. Direkt dadurch, dass die Nazis aus der Innenstadt ferngehalten wurden und sich nicht wie in den vergangenen Jahren überall ausbreiten konnten und indirekt, dass durch die erreichte Öffentlichkeit Stadt und Bullen zu einem rigideren Vorgehen gegen die Nazifeier als in der Vergangenheit griffen [2]. Die Feier wurde ihnen von den Bullen vermiest und 30 Nazis wurden in Gewahrsam genommen, wo wir bei einem anderen viel diskutierten Thema wären.
Im Zusammenhang mit der Auflösung der Nazifeier haben wir uns viele Gedanken über den Umgang der Polizei mit den Nazis und unsere Bewertung dessen gemacht. Wir müssen eine Stelle unseres Aufrufs zum Naziaufmarsch korrigieren, in der es heißt: „Die temporären Versuche von Polizei und Behörden Naziveranstaltungen und Demonstrationen zu behindern resultieren aus der gleichen Sichtweise, aus der auch gegen linke und antifaschistische Aktionen vorgegangen wird.“ Dies stimmt insofern nicht, weil wir erkennen müssen, dass der Staat die Nazis in Wirklichkeit oftmals an der langen Leine laufen lässt und ihnen nur dann dazwischenfunkt, wenn es irgendeinem Ansehen schadet. Die Fälle der mit Waffen und Drogen handelnden V-Männer in NRW und der vom LKA gefälschten Straftatenstatistik in Sachsen sind nur die Spitze des Eisberges und belegen die reale Vorgehensweise von Polizei, Justiz und Staat im Umgang mit Neonazis. Gegen sie wird eine Alibirepression angewandt, die nur dann zuschlägt wenn sie wirklich mal gefährlich oder dumm genug sind, dem „öffentlichen Interesse“ in die Quere zu kommen. Auch bei uns im Vorbereitungskreis ist die Frage offen wie mensch den Nazis nun am Besten begegnet. Einige verweisen auf bestimmte Gesetze in der BRD die besagen, dass jegliche Naziorganisationen zu verbieten und aufzulösen sind, wie es die Kampagne „no npd“ der VVN-BdA fordert. Andere sind der Meinung, dass staatliche Repression gegen egal wen von Grund auf nicht in unserem Interesse ist, keine Forderungen an den Staat gestellt werden sollten und antifaschistische Politik auch gegen den Staat gerichtet werden muss. Klar ist aber allen, dass der Staat sehr wohl zwischen „links“ und „rechts“ differenziert. Massenhafte Razzien gegen militante Neonazis gibt es äußerst selten. Den G8-Gipfel in Heiligendamm aber nahmen Polizei und Justiz zum Anlass tiefe Einblicke in Strukturen der radikalen Linken zu gewinnen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen durchzuführen – einen umfassenden Tritt in den Arsch der Pressefreiheit, der Meinungsfreiheit und des Briefgeheimnisses ganzer Stadtteile und Städte. Üble Folgen sind die laufenden §129(a) Verfahren und die damit verbundene Überwachung gegen verschiedene linke AktivistInnen und deren Umfeld, auch aus Schleswig Holstein, mit denen wir uns solidarisieren. Dass diese Verfahren mittlerweile vom BGH als teilweise rechtswidrig eingestuft wurden, ist dabei kein Trost für uns. Klar ist aber deswegen auch, dass wir weiterhin auch auf der Strasse antifaschistisch aktiv bleiben, weil wir wissen, dass es Nazis erst nicht mehr geben wird, wenn wir in einer aufgeklärten, emanzipatorischen und freien Gesellschaft, die wir jetzt nicht haben, leben. Der Weg dorthin und die aktuellen Methoden müssen weiter diskutiert werden.
Obwohl der Tag im Nachhinein größtenteils motiviert hat, haben wir es leider nicht geschafft uns in den Wochen danach zur Nachbereitung zu treffen. Als wir dies machen wollten, hatte uns schon die Nachricht erreicht, dass die Nazis eine sog. „Antirepressionsdemo“ am 24. November 2007 planten. Auch wenn uns klar war, dass wir was unternehmen mussten, kamen wir nicht aus den Socken. Dann überschlugen sich die Ereignisse ein bisschen, als relativ schnell ein Aufruf zu einer Gegendemo von einem bürgerlichen Bündnis raus kam, an dem auch die Antifa Neumünster beteiligt war, die sich aber auch als Teil unseres Zusammenhanges versteht. Als UnterzeichnerInnen des Aufrufs traten aber auch die Jusos (SPD) und die Grünen auf. Einige im Vorbereitungskreis waren darüber angesichts der vorausgegangenen Diskussion ein wenig verwundert, da wir damit wieder die gleiche Situation hatten wie vor dem 29. September und sich auch diesmal an keiner inhaltlosen „Gegen Nazis“-Demo beteiligen wollten. Als großes Problem stellte sich dabei die mangelnde interne Kommunikation unsererseits raus und damit waren wir in einer Situation die wir so nicht wollten, weil einige unseren Zusammenhang als „gespalten“ sahen. Wir haben uns dann zusammengesetzt und über die Situation diskutiert, herausgekommen ist dabei der Plan, die geplante Bündnisdemo und die angekündigte Blockade durch ein weiteres Aktionskonzept zu unterstützen. Wir haben dies in einem eigenen Aufruf [3] erklärt und zum 24.11. zu dezentralen Aktionen gegen den Naziaufmarsch aufgerufen.
Dass dies alles relativ kurzfristig geschah und somit unsere Handlungsfähigkeit extrem einschränkte, merkten wir leider am Ablauf des Tages. Zum Start der Bündnisdemo waren ca. 500 Menschen gekommen, unserer Einschätzung nach vor allem bürgerliche AntifaschistInnen und SchülerInnen. In diesem Moment haben wir noch gehofft, dass damit das dezentrale Konzept angenommen wurde und viele Leute in der Stadt unterwegs waren. Auf der Auftaktkundgebung der Bündnisdemo hielt die Gruppe Zunder Kiel einen Redebeitrag unter anderem gegen die Vereinnahmung der antifaschistischen Aktionen in Neumünster und die Politik der Grünen Angelika Beer. Zeitgleich war die Situation in der Stadt leider so, dass es doch nur sehr wenige Zusammenhänge gab, die nicht an der Demo teilnahmen um schon währenddessen Richtung Naziroute zu kommen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir unseren Aufruf erst relativ kurzfristig veröffentlichen konnten und so viele Leute davon nichts mitbekommen haben. Auch gab es am gleichen Tag in Mölln eine weitere autonome Antifademo in Gedenken an die Brandanschläge vor 15 Jahren, an der sich noch mal ca. 200 Antifas beteiligten. Die Situation in der Nähe der Naziroute war deshalb lange Zeit für die Cops sehr übersichtlich. Kleinere Gruppen Antifas wurden immer wieder vertrieben und die Nazis konnten sich ungehindert sammeln, wobei es auch eine größere Gruppe Nazis gab, die direkt nach dem Abmarsch der Bündnisdemo vom Bahnhof aus zu Fuß zum Sammelpunkt der Nazidemo ging. Die TeilnehmerInnen der Bündnisdemo konnten von der Polizei lange aus dem Aufmarschgebiet rausgehalten werden, die geplante Blockade kam nicht zustande. Die ca. 150 Nazis konnten nur einmal gestoppt werden, als ca. 60-70 AntifaschistInnen auf dem Sachsenring eine Sitzblockade machten. Diese Blockade ließ sich von den Bullen allerdings sehr schnell an die Seite drängen. Aus irgendeinem Grund ließen die Bullen die Nazis aber dennoch nicht die geplante Route laufen und leiteten sie in einer kleinen Runde einmal um den Rudolph-Weissmann-Platz rum. Das mag natürlich auch daran gelegen haben, dass mittlerweile mehr und mehr GegendemonstrantInnen in den Bereich gelangten, kann aber aufgrund der leider sehr wenigen und erfolglosen direkten Aktionen gegen die Nazis nicht als Hauptgrund gewertet werden. Als die Nazis dann wieder am Ausgangspunkt waren, wurde die Situation auf unserer Seite völlig chaotisch. KeineR wusste wo die Nazis genau waren und was überhaupt los war, hunderte AntifaschistInnen hielten sich im Bereich Großflecken auf und wussten nicht, was sie tun sollten. Hier stellte sich leider eine Panne unsererseits als großes Problem dar. Wir wollten zum 24.11. ein Infonetz aufbauen um die Leute mit den nötige Informationen zu versorgen. Dies ist im Vorfeld innerhalb unserer Strukturen an Verplantheit und personellen wie technischen Schwierigkeiten erst kurz vorher gescheitert. Wir denken, dass dieses Infonetz im Nachhinein die Situation für uns und alle Anderen in Neumünster erheblich verbessert hätte. Zu dem ganzen Desaster kam hinzu, dass die Nazis es schafften in dem Moment wo schon viele Antifas auf dem Heimweg waren, eine Spontandemo vom Rudolph-Weissmann-Platz zum Bahnhof durchzusetzen. Hierbei kam es zwar noch vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen Bullen, Nazis und Antifas (bei denen der frisch aus dem Knast entlassene Neumünsteraner Nazikader Peter Borchert gleich wieder festgenommen wurde), doch sie konnten hier trotzdem relativ ungestört zum Bahnhof marschieren. Die Nazis feiern natürlich auch gerade wegen dieser Spontandemo, in Schleswig-Holstein für sie eher ungewohnt, den Tag als großen Erfolg. Auf unserer Seite gab es ca. 300 Platzverweise, 25 Gewahrsamnahmen und 5 vorläufige Festnahmen durch die Bullen, von denen alle am gleichen Abend wieder raus kamen. Im Nachhinein haben wir Gerüchte gehört, dass an diesem Tag als Antifas getarnte Nazis umherlaufende Gruppen von GegendemonstrantInnen „angeführt“ haben sollen und sie so bewusst in falsche Richtungen, einmal sogar wohl in eine Bullenkontrolle geführt haben. Inwieweit das stimmt, können wir allerdings nicht sagen. Sollte das jedoch stimmen, stellt dies ein neues Problem dar mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, zumal sich solche Gruppen eigentlich auch nicht „lenken“ lassen sollten… [4]
Die Bullen konnten sich also freuen mal wieder relativ erfolgreich und ohne große Probleme für den Schutz der Nazidemo gesorgt zu haben. An die 150 Nazis aus Schleswig-Holstein, Hamburg und anderen Bundesländern marschierten somit fast störungsfrei durch Neumünster und demonstrierten „gegen staatliche Repression“ und für den „Club 88“. Sicherlich taten die Bullen einen großen Teil dazu bei, doch wir müssen auch selber sehen, dass wir es nicht geschafft haben genug AntifaschistInnen in das Aufmarschgebiet zu bekommen um die Nazidemo zu stoppen. Das lag auch daran, dass die Bündnisdemo zwar den Plan hatte die Naziroute zu blockieren, die Route dieser Demo aber wie erwartet von der Stadt verboten und geändert wurde. Der Endpunkt der Bündnisdemo war zu weit weg von der Naziroute, ein durchkommen war nicht möglich und es war für die Bullen relativ leicht die DemoteilnehmerInnen zu kontrollieren. Wir halten es nach wie vor für richtig bei Naziaufmärschen neben den obligatorischen Gegendemos (mal ganz abgesehen von politischen Differenzen) immer zu dezentralen Aktionen aufzurufen und diese zu planen, um ein möglichst effektives und direktes Vorgehen von Vielen gegen die Nazis zu erreichen.
Um unserem Anspruch, der Stärkung regionaler Antifastrukturen in Neumünster, gerecht zu werden, werden wir in Zukunft weiter versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten kontinuierlich in Neumünster zu arbeiten. Parallel werden wir rechtzeitig mit der Planung antifaschistischer Aktivitäten zum möglichen 12. Geburtstag des „Club 88“ beginnen. Hierbei sehen wir eine Zusammenarbeit mit dem neuen „Bündnis gegen Rechts“ als durchaus erstrebenswert an, solange ein solidarischer und fairer Umgang miteinander und eine inhaltliche Grundlage gewährleistet sind.
Wir wollen erreichen, dass Aktivitäten von Nazis und dem „Club 88“ jedes Mal antifaschistisch beantwortet werden, wir wollen die bedeutenden „Club 88“-Geburtstagsfeiern nicht ungestört ablaufen lassen und in nicht allzu ferner Zukunft dazu in der Lage sein, solche Aktivitäten auch komplett zu verhindern. Wir denken, dass aufgrund der Bedeutung die der „Club 88“ für die norddeutsche und bundesweite Naziszene leider hat, dies auch weiterhin ein kontinuierliches Thema für die autonome Antifa in Schleswig-Holstein sein sollte. Wir werden voraussichtlich als speziell auf Neumünster fokussierter Vorbereitungskreis so nicht weitermachen, sondern in dem überregional organisierten BAAN (Bündnis Autonomer Antifas Nord / www.baanord.tk) aufgehen und dort weiterarbeiten. Denn Neumünster ist nicht die einzige Stadt die ein Problem mit Nazis hat, und Nazis sind nicht das einzige Problem das wir bekämpfen. Uns geht’s ums Ganze, um die Überwindung des Kapitalismus und aller anderen Unterdrückungsverhältnisse, dafür streiten wir nicht nur in Neumünster sondern überall dort, wo wir es für wichtig halten.
Also heißt es auch weiterhin:
Club 88 dichtmachen – sofort!
Naziveranstaltungen verhindern – zusammen – mit allen Mitteln!
Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus bekämpfen – immer und überall!
Für eine antifaschistische Gegenkultur!
Vorbereitungskreis 29.9. (Februar 2008)
www.club88-schliessen.tk
Demo 29.9.07:
[1] Aufruf: http://home.arcor.de/c88s/aufruf.html
[2] Artikel und Redebeiträge: http://de.indymedia.org/2007/10/195814.shtml
Naziaufmarsch 24.11.07:
[3] Aufruf: http://home.arcor.de/c88s/11880v2.pdf
[4] Artikel und Redebeiträge: http://de.indymedia.org/2007/11/200522.shtml